Die deutsche Wirtschaft und die russischen Energieressourcen

Die neue Energiestrategie des Kreml - Teil 2

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Bundeskanzler Schröder setzt auf eine möglichst enge Verflechtung der deutschen mit der russischen Wirtschaft - nicht zuletzt, um auch in Krisenzeiten die Energieversorgung (Go East, Forget Europe - Teil 1) zu sichern. Dafür ließ er auch deutsche Unternehmen bei der Jukos-Zerschlagung agieren.

"Ein unglaublicher Vorgang" echauffierte sich Robert Amsterdam, Anwalt des inhaftierten ehemaligen Jukos-Eigners Michail Chodorkowskij, über Gerhard Schröders nachdrückliche Aufforderung im Herbst 2003 an die deutsche Energieindustrie, mehr in Russland zu investieren. Jeder Beteiligte verstand damals, was Schröder meinte: Das Jukos-Kernstück, der Förderbetrieb Juganskneftegas, sollte versteigert werden - und die deutsche Industrie sollte sich nun engagieren. Doch die zeigte sich zunächst zurückhaltend, drohten die Jukos-Eigner doch weltweit mit Anfechtungsklagen. Ende November hatte sich aber die Stimmung bei einem Treffen der Industrie mit Schröder im Berliner Hotel Adlon bereits gedreht - denn nicht zuletzt das größte deutsche Bankhaus, die Deutsche Bank, plante sich bei dem Geschäft zu beteiligen.

"Es ist ein großer Skandal", wetterte Amsterdam Ende des Jahres in der internationalen Presse, dass Deutschland über seinen Erfüllungsgehilfen, der Deutschen Bank, die Kreml-Politik der Zerschlagung von Jukos unterstütze. Tatsächlich hatte die Deutsche Bank - die mit einer 40-Prozent-Beteiligung am russischen Brokerhaus in Russland bereits bestens aufgestellt ist - Gasprom in einem Strategiepapier geraten, nicht nur Juganskneftegas zu übernehmen, sondern auch bei den Ölkonzernen Sibneft und Surgutneftegas einzusteigen.

Der staatliche Energiekonzern Gasprom ist in Russland nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein politisches Schwergewicht, generiert er doch satte 8 Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts und 20 Prozent der Steuereinnahmen. Fast die Hälfte der russischen Elektrizität werden von Gasprom produziert. An der russischen Gasförderung hält Gasprom einen Anteil von 90 Prozent - das sind rund 20 Prozent der Weltproduktion.

Die Deutschland AG ist bei Gasprom als größter ausländischer Investor direkt beteiligt: E.ON hält über ihre Tochter Ruhrgas 6,5 Prozent. Schröder will diesen Anteil gerne vergrößern, angeblich, um nicht den Amerikanern das Feld zu überlassen. Nicht zuletzt deshalb hatte er auch per Ministererlaubnis die Fusion von E.ON und Ruhrgas gegen das Kartellamt durchpauken lassen. Vor wenigen Tagen erst lobte der Vorstandsvorsitzende der E.ON Ruhrgas AG, Burckhard Bergmann, denn auch geradezu begeistert die russische Politik: Russland habe sich als verlässlicher Erdgaslieferant gezeigt und die Voraussetzungen für eine Energiepartnerschaft hätten sich unter Präsident Wladimir Putin noch "entscheidend verbessert".

Auch eine Frage der nationalen Sicherheit

In Russland begreifen nicht wenige Politiker die Energiestrategie als Frage der nationalen Sicherheit. Nach Angaben der KfW-Entwicklungsbank kommt der Ölsektor immerhin für mehr als 20 Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts sowie 40 Prozent der Exporterlöse auf, obwohl hier nur ein Prozent der Beschäftigten tätig ist. Der gestiegene Ölpreis spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Er belebt die Konjunktur, saniert den Staatshaushalt und schafft Spielräume zur Reduzierung von Armut. Gleichwohl werden strukturelle Probleme derzeit nicht angepackt. KfW-Analyst Kirk Mildner erkennt in der zunehmenden Abhängigkeit von den Erdölerlösen einen gewichtigen Grund für das Bestreben des Kremls, den Erdölsektor stärker unter staatliche Kontrolle zu bekommen. Mildner: "Die Regierung Putin wird immer abhängiger von den Erdöleinnahmen zur Finanzierung ihrer populistischen und autokratischen Politik."

Für die Ersteigerung von Juganskneftegas Ende 2004 sollte ein Bankenkonsortium unter Beteiligung der Deutschen Bank, der amerikanischen JP Morgan, der britisch-deutschen Dresdner Kleinwort Wasserstein, der niederländischen ABN Amro und der französischen BNP Paribas Gasprom einen Kredit von 7,5 Milliarden Euro gewähren. Nachdem die Jukos-Eigner jedoch in Texas in letzter Minute einen Gerichtsbeschluss gegen die Versteigerung erwirkten, schien das Risiko offenbar zu groß. Die Scheinfirma Baikalfinanzgruppe kam bekanntlich als einzige Bieterin zu Zug - und reichte die Beute wenige Tage später an den Energiekonzern Rosneft durch, der bald mit Gasprom fusionieren will.

Zwar soll Juganskneftegas angesichts der kritischen Rechtslage bei der Fusion mit Gasprom erstmal außen vor bleiben - die überdies von der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein vorbereitet wird. Doch wird dies wohl nur eine Frage der Zeit sein. Ein US-Bundesrichter bezweifelte nämlich das Recht von Jukos, in den USA vor Gericht ziehen zu können, nachdem die Deutsche Bank Einspruch gegen den texanischen Gerichtsbeschluss eingelegt hatte. Die russische Zeitung "Gaseta" verwies zudem darauf, dass Gasprom seine Lieferpläne für die USA zurückziehen würde, falls Jukos am 16. Februar vor Gericht Recht erhielte. Das wären immerhin 20 Prozent der geplanten Flüssiggas-Lieferungen - und kein zu vernachlässigendes energiepolitisches Argument. Ob amerikanische Richter sich jedoch von solchen Erwägungen beeindrucken lassen, wird sich erst noch zeigen.

Eine weitere Verflechtung der deutschen mit der russischen Wirtschaft ist deutsche Regierungspolitik

Doch selbst wenn es auf absehbare Zeit nicht zu einer staatlichen Einverleibung von Juganskneftegas kommen sollte, würde das Unternehmen an Rosneft allein schon durch das kürzlich abgeschlossene Chinageschäft gebunden bleiben, meint die russische Zeitung "Kommersant". Rosneft unterzeichnete nämlich recht fix nach dem Erwerb der Jukos-Tochter mit chinesischen Unternehmen, unter anderem mit der China National Petroleum Corporation (CNPC), einen bis 2010 laufenden Vertrag über die Lieferung von knapp 50 Millionen Tonnen Erdöl. Einen Löwenanteil davon wird Juganskneftegas liefern.

Eine möglichst enge Verflechtung der deutschen mit der russischen Wirtschaft ist ohne Frage deutsche Regierungspolitik, denn nur so erhält sich Deutschland seinen Einfluss auf seinen Hauptenergieversorger Russland. Zwar kamen Deutsche Bank und E.ON via Gasprom bei der Jukos-Zerschlagung bislang nicht zum Zuge - gleichwohl bleibt die Deutsche Bank ein aktiver Spieler, und die deutsche Wirtschaft gut aufgestellt: E.ON und Gasprom wollen bis 2012 für rund 5 Milliarden Euro eine Gaspipeline von Sibirien durch die Ostsee nach Deutschland bauen. E.On erhält für sein Engagement hier erstmals nicht nur Handels-, sondern auch Produktionsrechte.

Der größte deutsche Erdgas- und Erdölproduzent Wintershall will gemeinsam mit Gasprom über das gemeinsame Unternehmen Achimgas in den kommenden Jahren in Sibirien investieren. Außerdem hat Wintershall 2004 einen Anteil von 70 Prozent an der russischen Explorationsgesellschaft Megatron NVK erworben, die im russischen Shelf des Kaspisees einen Block mit vielversprechenden geologischen Strukturen besitzt. Gasprom selbst ist mit 35 Prozent an der Wintershall-Vertriebstochter Wingas beteiligt. Die Verflechtung ist also bereits recht weit vorangeschritten.

Auch jenseits des Öl- und Gassektors boomt die deutsch-russische Zusammenarbeit. Inzwischen sind über 3.500 Unternehmen in Russland vertreten, darunter Obi, Marktkauf, Rewe und Douglas. Der Versicherungskonzern Allianz ist seit seinem Einstieg beim viertgrößten russischen Versicherer Rosno das größte ausländische Versicherungsunternehmen in Russland. Die Hannover-Messe im April, die Russland als Partnerland präsentiert, soll dieser Entwicklung weiteren Schub verleihen.