Die fünfte Gewalt

The Revolution will be blogged - Teil 2

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Er hasse Blogs, bekennt Packer, gleichwohl sei er süchtig nach diesen "kleinen Spasmen an Beteuerungen", die einem dauernd das Gefühl gäben, das hier "einer (meistens der Blogger) gewinnt und jemand anderes verliert". Dieser besondere Zweig der vierten Gewalt bleibe vorwiegend in privaten Räumen. Hellköpfige Stubenhocker, die zwar meisterlich schreiben, nämlich Insider shorthand, würden in diesen Enklaven walten, exklusiv und abgeschirmt von der großen Öffentlichkeit. Für differenzierte Argumentationen und eine längere Analysen habe man dort nur wenig Sinn. Eine Headline nach der anderen. "Lesen Sie sie oft genug und jedes Thema wird draufgehen, tot sein."

Trotz seines pamphletistischen Abgesangs, der Mother-Jones-Journalist wird seiner Sucht nach Blogs wohl treu bleiben. Wie auch Steve Rubel, der, nachdem er eine Woche lang seine News nur aus Blogs bezogen hatte, bekannte, dass er sich Ein wenig nackt fühle.

Ganz so nackt und arm stand Steve Rubel nach seiner Blog-Only News Diät dann nämlich doch nicht da. Zwar konnte er von zwanzig Fragen zu aktuellen Ereignissen nur zwölf beantworten, schlecht informiert zeigte sich Rubel allerdings nur bei ziemlich nebensächlichen Fragen. Dass Paul McCartney in der Woche, als Rubel seine Informationen nur aus Weblogs bezog, Heroin- und Kokainkonsum zugegeben hatte, wusste Rubel zwar nicht; die Neuigkeit wird ihn aber wohl kaum überrascht haben.

Some news travels very quickly

Dafür wusste Rubel ganz gut über die Gründe, offizielle und spekulierte, von George Tenets Rücktritt als CIA-Direktor (vgl. CIA-Chef Tenet tritt überraschend zurück) Bescheid. Die Spekulationen über die wirklichen Gründe des Rücktritts seien schon "Minuten nach den ersten Meldungen" im Netz gewesen. Das überaus schnelle Reagieren der Blogosphäre gehört denn auch zu den positiven Erfahrungen, die Rubel aus seinem Experiment mitnahm: "Some news travels very quickly in the blog world."

Einige, aber nicht alle. Viele Blogs würden in ihren Diskussionen einen Tag hinter den News her sein. Wollte man auf der täglichen Höhe des Informationsstandes sein, würde er sich, so die Erkenntnis des Rubelschen Selbstversuches, lieber nicht auf einige Blogger verlassen, um Schritt mit den Ereignissen zu halten. Dieses Manko würde allerdings durch Service-Sites wie Blogdex, Memeorandom, Technorati, oder Blogsnow locker ausgeglichen. Diese Seiten, welche die populärsten News des Tages geordnet nach der Häufigkeit der Links, die Blogger auf diese Stories setzen, auflisten, würden den Leser ordentlich up to date halten, so Rubel.

Auch Rubel zieht ein Fazit, das seit geraumer Zeit in beinahe allen der unzähligen Berichte über das Blog-Phänomen zu lesen ist: Der Großteil der Blogs, die sich mit News befassen, ist weitgehend "sehr professionell", gut konzipiert, gut geschrieben und gut editiert. An der Spitze dieses Genres, dessen Basis aus mehreren Millionen Blogs besteht, gebe es Blogger, die eine glaubwürdige und professionelle Arbeit verrichten würden.

Diese Meinung wird mittlerweile von niemandem mehr ernstlich bestritten. Wie eine beachtenswerte, hintergründige und aktuelle Synopsis zum Stand der Diskussion über die journalistischen Möglichkeiten von Weblogs zeigt, sind jetzt auch anfängliche Skeptiker davon überzeugt, dass man mit den Möglichkeiten des Weblogs journalistisch auf eine Weise arbeiten kann, welche die Beschränkungen des herkömmlichen Journalismus überwindet.

Filtern, Medienkritik und Augenzeugenberichte

Noch vor zwei Jahren antwortete die Verfasserin des Weblog Handbook und Blogosphäre-Berühmtheit Rebecca Blood auf die Idee eines englischen Schreibers, der via Weblog vom "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung " (WSSD) in Johannesburg berichten wollte, ziemlich misstrauisch:

Weblogs als Journalismus? Wenn Sie mein Buch gelesen hätten, wüssten Sie, dass ich skeptisch bin - ich glaube, dass sich die Form durch Filtern auszeichnet, durch Medienkritik und Augenzeugenberichte, aber generell dafür ungeeignet ist, eine originale, vollständige Story eines Ereignisses zu liefern.

Zwei Jahre später im April diesen Jahres bezeichnete Blood die Berichterstattung des englischen Blog-Reporters vom Johannesburger Weltgipfel als journalistische Arbeit, weil sie den wichtigsten Standard erfülle, den der Verifizierbarkeit. Was dieses Kriterium angeht, so Blood, könne man viele Beispiele anführen, wo Blogger besser und sorgfältiger gearbeitet hätten als Journalisten in traditionellen Medien.

Doch darum geht es Blood in ihrem Verständnis der revolutionären Qualität, die Blogs für die Öffentlichkeit haben können, gar nicht so sehr. Dass aus dieser Sphäre eindrucksvolle journalistische Beiträge kommen können, ändert für sie nichts daran, dass das Besondere, Wichtige, Inspirierende, die Stärke der Blogosphäre woanders zu finden ist und eben nicht (nur) in der professionellen journalistischen Arbeit. Jede Absicht, Blogger über Definitionsversuche mit dem Journalisten-Etikett zu "erhöhen" - wenn man dies als Erhöhung verstehen wollte - lässt die "große Masse der Blogger außen vor, die das praktizieren, was ich partizipierende Medien nenne: Konturieren, Filtern, Kommentieren, in Kontext setzen und Verbreiten - durch Interaktion - von News reports, die andere produziert haben.

Aus meiner Sicht schenkt das journalistische Establishment dem Weblog-Universum nicht genug Aufmerksamkeit. Journalisten, die Weblogs lesen, neigen meist dazu, nur solche zu lesen, die von anderen Journalisten geschrieben werden, ein großer Fehler. Es gibt Hunderte von talentierten Amateuren, die jeden Tag auf ihren persönlichen Seiten klug und scharfsinnig schreiben. Diese Individuen halten sich nicht an journalistische Standards - und genau das ist ihre Stärke. Blogger sagen, was sie denken, und öffnen damit den Reportern ein Fenster zu den Ansichten derer, die außerhalb der Medien sind. Blogger finden oft Zugänge, die professionelle Reporter übersehen, stellen Fragen, welche die Reporter zu fragen versäumen.

Sherlock Holmes und seine Informanten aus der Baker Street

Journalisten könnten von den aufgegriffenen Themen der Blogger profitieren, ähnlich wie Sherlock Holmes von den Baker Street Irregulars. Blood betont den Unterschied zwischen "partizipierenden Medien", ergo den Bloggern, und den Journalisten . Gemeinsam ist ihnen, dass sie im selben Raum - online - existieren.

Da sind enorme Synergien zwischen den beiden möglich. Ich habe kein Verlangen, mein Weblog nach journalistischen Standards auszurichten oder den Journalismus nach meinem Bild zu verändern. Ich möchte Wege finden, die Stärke der beiden Welten zum gegenseitigen Vorteil beider auszunützen.

Während in den USA die Diskussionen darüber, ob Weblogs die neueste Ausgabe des New Journalism darstellen und wieweit sie überhaupt als Journalismus zu bezeichnen sind, wohl noch einige Zeit andauern dürften, scheint sich Potential von Weblogs als neue Informationsquellen in einem anderen großen Land ganz deutlich zu zeigen. Auf einem Weblog-Festival, das Anfang Juni in Iran abgehalten wurde, hob sogar ein offizieller Vertreter, Sohrab Razeghi, ein Loblied auf die revolutionären Qualitäten des Bloggens an: "Blogs und die Werte", so wird er zitiert, "die sie mit sich bringen, sind der Anfang einer modernen Gesellschaft in Iran. Die Offenheit, die Subversivität und der Sinn für Individualität, die sich bei den iranischen Weblogs zeigen, sind vollkommen neue Dinge in der Gesellschaft". Die Regierung solle die Blogger nicht unterstützen, sondern die persische Blogosphäre sich selbst überlassen und in jede Richtung gehen lassen, wohin sie wolle.

Die persische Blogosphäre

Eine etwas überraschende Erklärung angesichts der anhaltenden (vgl. Netz unter Kontrolle) staatlichen Zensurmaßnahmen im Iran gegen kritische Webseiten (vgl. Iran säubert das Netz), betroffen sind davon natürlich auch "subversive Blogs". Dass man vor Jahresfrist einen missliebigen Blogger, Sina Motallebi, wegen dessen Aktivitäten verhaften ließ, und der "Pionier einer modernen iranischen Gesellschaft" erst auf Druck der persischen Blogger wieder freikam (vgl. Der Streich der Wächter), zeigt, dass die Haltung der iranischen Führung gegenüber den neuen Informationsquellen zumindest nicht so eindeutig ist, wie es das obige Loblied verheißen mag. Wenn es nach Hossein Derakhshan geht, ist die neue, wohlmeinende Aufmerksamkeit, welche die Blogosphäre in Iran jetzt genießt, wahrscheinlich der Tendenz zu verdanken, dass mehr und mehr Internet-User in Iran und zunehmend auch Blogger ziemlich "unpolitische" Interessen haben und sich eher für Vergnüglicheres und Harmloseres begeistern - was letztendlich auch gute Geschäfte verheißt. Diese Entwicklung wollen auch die neuen Konservativen in Iran nicht versäumen.

Bei einer derart repressiven Medienpolitik wie in Iran wird vermutlich noch für einige Zeit gelten, was auch für die notwendige Korrektur der "eingebetteten" Mainstream-Medien während und nach dem Irak-Konflikt galt: kluge, an politischen Vorgängen (und deren Übermittlung) interessierte Blogger sind eminent wichtige Informanten und Informationsnetworker, die dort arbeiten und weitermachen, wo der hauptamtliche, von gängigen Interessen gesteuerte Diskurs und dessen Horizont aufhört. Das ist vielleicht nicht d i e große neue Informationsrevolution des WWW, die man in einer konservativ begreifbaren Form erwartet (wie sich etwa deutsche Feuilletonisten jahrzehntelang d e n großen Berlinroman erwartet haben), aber ganz sicher ein revolutionärer Aufbruch:

Die Groschenpresse des 21.Jahrhunderts?

Blogging ist tot, lang lebe Blogging. Ich vermute, dass wir über die nächsten Jahre eine Menge Rufe zu erwarten haben, die uns suggerieren wollen, dass Blogging tot ist und ich vermute, dass sie Recht haben werden. Der Akt, einen "Weblog" als separate Einheit zu unterhalten, wird so etwas wie ein Anachronismus werden. Die viel größere Welt des kollaborativen Web publishing wird weiter wachsen und mit anderen Techniken konvergieren, einschließlich Instant Messaging und E-mail. Stellen Sie sich vor, dass Sie heute jemand fragt, ob Sie ein E-mailer sind. Diese Frage hatte vor 15 Jahren innerhalb einer bestimmten Gruppe Sinn. Ich habe das Gefühl, dass die Produktion von public media - ob in der Form von Weblogs, Wikis, kollaborativ gefilterten Lifelogs oder irgendeiner anderen Form, die ich nicht vorhersagen kann - die bewegende Kraft einer neuen Ära sein wird. Ich glaube, wir sehen auf die Groschenpresse des 21.Jahrhunderts, und dass, genau wie sich Technologie mit neuen Strukturen der Industrie, Kultur und Regierungsformen mitentwickelte, Weblogs eine neue Form von Masseninteraktion einleiten werden, "a new way of being". Ich glaube, dass wir eine Menge an Innovationen in Zusammenhäufungen und kollaborativen Filtern beobachten werden...Einiges wird so zahm sein wie die Entwicklung hin zu Gruppen-Blogs (..) und zu Nutzungen führen, die Pressezentralen ähneln können...Es würde falsch sein, das Potential von Mobiltelefonen mit Kameras und moblogging zu unterschätzen...Das Aufkommen dieser Kameras und anderer Mobil-Technologien wird eine völlig neue kollektive Form von öffentlicher Kontrolle hervorbringen.

"Blogologist" Alex Halavais zur Zukunft der Blogosphäre