Die gehäutete Familie

Fritz Lang und seine Frau, die Autorin Thea von Harbou, 1923 oder 24. Bild: W. Titzenthaler. Public Domain

Vom Wandel des Wohnzimmers - Teil 1

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Den im "Playboy" abkonterfeiten Damen scheint es an nichts außer einem zu fehlen. Richtig: Kleidung. Zwar verleiht ihre aseptisch polierte Haut ihnen repräsentativen Charakter. Sie sind als Playboy-Inventar so leicht zu erkennen und zu verwechseln wie Möbelstücke von IKEA, aber Repräsentation war einmal anders. Unter-, Über- und Reifröcke in Hülle und Fülle erhöhten den Liebreiz. Die Frau zog Kreise. Wie kommt es, dass die zweite Haut des "Leitbildes Dame", die Kleidung, auf die erste geschrumpft ist? Liegt es an der die Frau des Hauses kennzeichnenden dritten Haut, der "guten Stube"?

Diese Stube war nicht nur die Hülle der biedermeierlich geprägten Welt. Die Einrichtung wurde ihrerseits verhüllt mit Schonbezügen, Futteralen und Etuis. Ganz anders Hugh Hefners Magazin. Alles wurde aufgerissen. Aber wer den Playboy in den 50er und 60er Jahren las, wusste am Ende mehr über Inneneinrichtung als über Frauen. Die weltbesten Architekten und Designer durften sich im Blatt vorstellen.

Das Habitat des männlichen Jägers war das Apartment. 1959 kam, wenn auch nur als Kulisse einer vom Playboy gesteuerten Fernsehserie, das Penthouse hinzu. Die Frauen waren vor dem Hintergrund des Lifestyles austauschbar geworden. Das "Leitbild Mann" jener Zeit ist ein mobiler Junggeselle. Mit seiner weiblichen Bekanntschaft unterhält er sich über Nietzsche und Jazz, nicht über Familie.

Ging die Familie in der Nachkriegszeit kaputt, und verschwand mit ihr das geschlossene Wohnzimmer? Das wäre zu einfach. Die Dialektik liegt darin, dass mit ihrer Auflösung die Familie als imaginierter Archetypus wiederaufersteht, und sei es in Form der noch so kleinen Sitzgruppe mit benachbarter Nippes-Sammlung. Das hieß einmal "Herrgottswinkel".

Die Sitzecke als Insel der Familiarität innerhalb der eigenen Wohnung hat eine lange Vorgeschichte. Hatte mit dem Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert das liberale Bürgertum seine Salons noch der "freien Geselligkeit" geöffnet, begünstigte doch die Definition des Bürgertums durch Arbeit eine Trennung in einen privaten und einen beruflichen Bereich.

Die Schrumpfung der Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit, die am Hofe Ludwigs XIV. wie selbstverständlich das ganze Leben, Tag für Tag, bis zum Bett und dem Stuhlgang umfasst hatte, wich der Intimität. Die Stühle des Salons wurden halbkreisförmig um das Sofa gruppiert, welches seinerseits an den Rand rückte und Wangen bekam. Das Interieur schottete die Familie ab. Die gesprächigen Möbel wurden stumm und devot, sofern die "gute Stube" gegen eine alltägliche Benutzung abgesperrt wurde. Die Familie ist zweifach gesichert: nach außen und gegen sich selbst.

Das Interieur ist zum Etui des Privatmanns geworden, wie Walter Benjamin schreibt. Residuen des Öffentlichen erlebt er nur noch im Angstraum, wenn er, der fremde Gast im eigenen Zimmer, Spuren hinterlässt. Die Stunde des (bürgerlichen) Kriminalromans hat geschlagen. Vom Gesellschaftlichen ist nichts als Halluzination übriggeblieben. Die spätromantische Seele ist gespalten.

Bei den Königen war hingegen - und das bis zum Ersten Weltkrieg - der Leib gespalten, in einen politischen und einen natürlichen. Ihre "öffentliche Tafel" war hoheitliches Zeremoniell, ein Augenschmaus fürs Volk. Sie saßen exponiert und aßen meist allein. Vertreter des höchsten Adels fungierten, zumindest symbolisch, als Diener, und das Volk durfte aus respektvoller Entfernung zuschauen.1 Mit dem Essen wurde zugleich der politische (Staats-)Körper ernährt. Aber auch morgens und abends, beim rituellen Verlassen und Aufsuchen des Bettes, hielt Ludwig XIV. nach exakter Etikette Hof. Der Tagesablauf war eine rationale Mechanik. Die Dame empfing ihre Gäste nicht nur während der Toilette, sondern machte zu besonderen Anlässen wie der Entbindung von Erbfolgern sogar ihr Paradebett zum gesellschaftlichen Mittelpunkt. Das persönliche Leben war dem öffentlichen subsumiert. Für Diener und Wartende waren "Antichambres" vorgesehen.

Berliner Zimmer. Bild: Udo Ludo. Lizenz: CC-BY-ND-2.0

Die auf den absolutistischen König zugeschnittene soziale Rangordnung, der Status der Höflinge und die sich aus der Repräsentation ergebenden Funktionen spiegelten sich in einer Fülle von Zimmern wieder. Vom Empfangsraum über das Schreibkabinett bis zu Kabinetten für Kunstsammlungen waren die Zimmer in einer Reihe aufgefädelt (Enfilade). Ihre Funktionen umfassten den gesamten Tages- und Lebenslauf, und ihre Öffnungen zueinander unterstrichen die herrschaftliche Öffentlichkeit. Denn es gab keine Flure. Das Bürgertum orientierte sich am barocken Schloss und ließ sich mit Herrenzimmer, Musikzimmer, Raucherzimmer, mit Frühstücks- und Gartenzimmer nicht lumpen. Grenzen waren nicht mehr durch den Rang, vielmehr durch das Einkommen gesetzt, das außerhalb, etwa im Kontor, verdient wurde. Die Fassaden wurden klassizistisch geglättet.

Krankheit inbegriffen. Aus der Berliner Wohnungs-Enquête, um 1905. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Am Ende waren die gesellschaftlichen Zimmer geschrumpft und kongruent geworden, im Wohnzimmer. Das 20. Jahrhundert begann als eines der Raumknappheit. Ausgerechnet das Wohnzimmer hatte eine Entwicklung genommen, die zur Enge der restlichen Wohnung beitrug. Die "schöne" oder "gute Stube" war unberührbar, ein häusliches Heiligtum. Insbesondere auf dem Land wurden die schmucken Aussteuermöbel, welche auf dem offenen Brautwagen überführt wurden, in dieser Stube aufgestellt, die dann nur noch zu festlichen Anlässen geöffnet wurde.

Für das Foto wurde die gute Stube ausnahmsweise betreten. Bauernfamilie, 1980er Jahre. Bild: Herlinde Koelbl

Aber arm und reich gab es in welcher Gesellschaftsformation auch immer. Wenn der Hof des Meiers (oder die Domäne) das ungeteilte Größenmaß vorgab, ging es in der nicht so guten, weil einzigen Stube des kleinen Häuslers, der über ein Zweiunddreißigstel jener Besitzgröße verfügte, wuseliger zu. Häusliche Arbeiten wurden dort verrichtet, gelegentlich gehörten auch ein Kochherd und eine Schlafgelegenheit zum Inventar. Unter dem Kachelofen war Platz für das Hühnergitter, und das Jungschwein wurde nicht der Stube verwiesen, wenn es draußen kalt war.