Die mediale Integration

Bei den in Deutschland lebenden Türken kann man nicht von einer "medialen Parallelgesellschaft" sprechen

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Schon seit Monaten wird das Thema Integration auf medialer und politischer Ebene heftig diskutiert. Die Geschehnisse auf der Rüttli-Schule in Berlin-Neukölln, die Einführung eines bundeseinheitlichen Einbürgerungstests und die Urteilsverkündung im Mordfall Hatun Sürücü ließen die Debatte nach einer in Deutschland existierenden Parallelgesellschaft in den Vordergrund treten. Als einer der wichtigsten Gründe für die Nicht-Integration der Migranten gilt deren mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache. Dies hat nicht nur eine Isolation der Migranten innerhalb der deutschen Gesellschaft zur Folge, sondern verwehrt ihnen auch den Zugang zu Informationen aus deutschen Medien. Nicht ohne Grund hätte also die türkischsprachige "Hürriyet" mit 110.000 Auflage pro Tag eine höhere Auflage als die überregionale "taz". Doch wie eine Studie des Essener Zentrums für Türkeistudien aus dem Jahr 2004 zeigt, lebt zumindest der Großteil der 2,6 Millionen Deutschtürken alles andere als in einem "Mediengetto", trotz der großen Vielfalt an türkischsprachigen Medien auf dem hiesigen Markt.

In jeder deutschen Großstadt gibt es sie, die Kieze, die vorwiegend von Migranten bewohnt werden. Egal ob in Kreuzberg, Neukölln oder im Duisburger Stadtteil Marxloh, bei einem Spaziergang wähnt man sich in diesen Stadtteilen wie in einer anderen Welt. In den Schaufenstern werden Puppen mit Kopftüchern ausgestellt, aus den Imbissbuden dringt orientalische Musik auf die Straße und die Anzahl an Teestuben ist größer als die an Kneipen. Hier wird deutlich, dass Deutschland schon seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist, auch wenn so manche Politiker der Unionsparteien dies noch vor zehn Jahren verneinten.

Zum typischen Erscheinungsbild in diesen Bezirken gehören auch die unzähligen Satellitenschüsseln, die an Balkonen oder Fenstern angebracht sind und den Migranten den Konsum von Fernsehprogrammen aus ihren Herkunftsländern ermöglichen. Wenn man dann noch die vielen nicht-deutschsprachigen Zeitungen hinzunimmt, die an den Kiosken verkauft werden, könnte man meinen, in Deutschland fände auch eine "mediale Gettoisierung" statt. Allein die türkischstämmigen Migranten, haben neben den zwei großen türkischsprachigen Tageszeitungen "Hürriyet" und "Türkiye" noch eine große Auswahl an anderen Blättern, wie z.B. der "Milliyet" oder der "Zaman". Auch die anderen großen Migrantengruppen haben die Möglichkeit, ihre Informationen aus "muttersprachlichen" Zeitungen zu beziehen. So gehört in Berlin die russischsprachige Tageszeitung "Russkij Berlin" genauso zum Sortiment eines Zeitungsladens wie der "Tagesspiegel" oder die "B.Z".

Vorläufer im 19. Jahrhundert

Es ist kein neues Phänomen, das sich auf dem hiesigen Zeitungsmarkt beobachten lässt. Vielmehr haben Zeitungen, die ihre Leserschaft unter den in Deutschland lebenden Einwanderern suchen, eine gewisse Tradition. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Polen aus den Ostprovinzen des damaligen Kaiserreiches ins Ruhrgebiet einwanderten, wurde zwischen Dortmund und Duisburg der Versuch gestartet, eine eigene polnischsprachige Presselandschaft aufzubauen. 1886 erschien als erste die Zeitschrift "Jednosc", deren Erscheinen wegen mangelnder Abonnenten zwar noch im selben Jahr eingestellt wurde, die aber dennoch als Vorbild für die nachfolgenden polnischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften fungierte.

Auch deutsche Verleger nahmen sich an der "Jednosc" ein Beispiel und versuchten eigene Blätter herauszugeben, aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Doch die berühmteste und erfolgreichste Zeitung unter den Ruhrpolen, war die vom Bistum Posen/Gnesen mitherausgegebene Zeitung "Wiarus Polski". Die Bewahrung des katholischen Glaubens und der eigenen nationalen Traditionen in der Diaspora, war das Hauptziel dieser Zeitung. Durch die Berichterstattung über das Leben in der neuen Heimat hatte die Zeitung jedoch auch einen großen Beitrag zur Integration der Ruhrpolen geleistet - von den Herausgebern ungewollt.

Türkische Medien

Ende der 60er Jahre, erschienen mit "Tercümen" und "Aksam" die ersten türkischen Zeitungen auf dem deutschen Markt. Von Anfang an unterlag der türkische Zeitungsmarkt in Europa einer starken Fluktuation - viele Zeitungen hatten nur eine kurze Erscheinungsdauer. Heute gibt es in Deutschland sieben überregionale Tageszeitungen, die alle zu türkischen Medienkonzernen gehören, mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen.

Die erfolgreichste und bekannteste türkischsprachige Zeitung ist die "Hürriyet". Mit einer täglichen Auflage von 110.000 Exemplaren hat sich das konservative Blatt, das sich stark an der Boulevardpresse orientiert, auch in Deutschland zu einer lauten, ernst genommenen und für deutsche Partner interessanten Pressestimme entwickelt. So existiert zwischen den Redaktionen der "Bild" und der "Hürriyet" eine Kooperation (vor einigen Wochen gab der Chefredakteur der "Bild", Kai Diekmann, der türkischen Zeitung ein langes Interview), und im letzten Bundestagswahlkampf, unterstützte die "Hürriyet" sogar den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, nachdem sich dieser für den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen hat und als erster deutscher Politiker eine Wahlkampfveranstaltung auf dem Gelände des Verlags in der Nähe von Frankfurt/Main abhielt.

Der Erfolg der "Hürriyet", beruht vor allem auf ihren 1972 eingeführten "Europa-Seiten". Als erste türkischsprachige Zeitung erkannte sie, dass sich die Interessen der in Europa lebenden Migranten von denen der Leser in der Türkei unterscheiden. Es genügte nicht mehr, bloß über die Geschehnisse in der Türkei zu berichten, man war gezwungen, auch über die politischen und gesellschaftlichen Themen in den neuen Heimatländern zu schreiben. Für viele türkische Migranten war es damals, und ist es aufgrund der schlechten Sprachkenntnisse der älteren Migranten auch noch heute die einzige Möglichkeit, sich über Themen wie die Rentenpolitik zu informieren. Mittlerweile haben alle im europäischen Ausland erscheinenden türkischen Zeitungen "Europa-Seiten". Allein in Deutschland, wo die meisten türkischen Migranten leben, hat jede Zeitung eigene Redaktionen sowie ein Netz von 130 regionalen Journalisten, deren Berichterstattung sich unter den Lesern großer Beliebtheit erfreut.

Die türkischen TV-Anstalten haben sich ebenfalls dieser Entwicklung angeschlossen. Sowohl der staatliche Sender "TRT" als auch die privaten Anstalten wie "Show TV" oder "ATV", betreiben in Deutschland eigene Redaktionen, die Sendungen für die Deutschtürken produzieren. Doch diese Programme sind Ausnahmen, da die Istanbuler Privatsender die Türkei als ihren Hauptmarkt ansehen und die staatliche Rundfunkanstalt mit ihrem Ableger "TRT-Int" es als ihre Hauptaufgabe ansieht, die Verbundenheit der Migranten mit der Türkei aufrechtzuerhalten und zu fördern. Trotzdem ist "TRT-Int" der meistgesehene türkisch-sprachige Sender unter den in Deutschland lebenden türkischstämmigen Migranten.

Gleichzeitige Nutzung von Medien in deutscher und türkischer Sprache

Im Rahmen einer repräsentativen, telefonischen Mehrthemenbefragung von 1.000 erwachsenen türkischstämmigen Migranten in NRW, die das in Essen ansässige Zentrum für Türkeistudien einmal jährlich im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit und Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen durchführt, wurde im Sommer 2004 auch die Nutzung deutscher und türkischer Medien untersucht. Das Ergebnis der Untersuchung war damals durchaus überraschend, auch für die Organisatoren der Untersuchung.

94 Prozent der türkischstämmigen Migranten nutzen ihre Zweisprachigkeit und konsumieren deutsche und türkische Medien. Bloß 3,5 Prozent gewinnen ihre Informationen allein aus türkischen Medien und 2 Prozent nur aus dem deutschen Medienangebot. 0,5 Prozent gaben an, gar keine Medien zu nutzen. Es stellte sich auch heraus, dass Frauen häufiger türkische Medien nutzen als deutsche. Jüngere Migranten dagegen tendieren mehr zu deutschen als türkischen Medien, im Gegensatz zu den 60-Jährigen und Älteren, die wegen ihrer Sprachkenntnisse stärker auf die türkischen Medien zurückgreifen.

Interessanterweise nutzen trotzdem 86,2 Prozent der türkischen Einwanderer der ersten Stunde aus den 60er und 70er Jahren, die niemals ausreichend Deutsch gelernt haben, da sowohl sie selber als auch die deutsche Gesellschaft von einer Rückkehr ausgegangen sind, das Medienangebot beider Länder. Natürlich spielt auch die Schulbildung eine wichtige Rolle bei der Mediennutzung. Es lässt sich feststellen, dass die Migranten mit hoher Schulbildung sowohl türkische als auch deutsche Medien nutzen, wobei mit immer höherer Bildung der Migranten verstärkt deutsche Medien konsumiert werden.

Nutzung deutscher und türkischer Medien nach soziodemographischen Merkmalen

Aus der gleichzeitigen Nutzung deutscher und türkischer Medien dürfte man darauf schließen, dass die deutschen Sprachkenntnisse der türkischstämmigen Migranten besser sind, als allgemein behauptet. Doch hier liegt die große Schwäche der vor zwei Jahren geschaffenen Studie, denn die befragten Migranten mussten ihre Deutschkenntnisse selber bewerten. So mancher dürfte also seine Sprachkenntnisse überbewertet haben. Aber trotz diesem Makel ist es überraschend, dass selbst 83,2 Prozent derjenigen, die ihr Deutsch als schlecht oder gar sehr schlecht beurteilen, beide Medienangebote nutzen.

Zudem lässt sich auch feststellen, dass sehr gute oder gute Deutschkenntnisse das Interesse an türkischen Medien nicht schwächer werden lassen. Vielmehr scheinen die deutschen Medien allein nicht das Informations-, und Unterhaltungsbedürfnis der Deutschtürken durch ihre Inhalte abdecken zu können, weshalb sich auch diejenigen mit guten oder sehr guten Deutschkenntnissen gleichzeitig türkischer und deutscher Medien bedienen.

Mit großem Vorsprung ist das Fernsehen das meistgenutzte Medium unter den Deutschtürken. Über 90 Prozent lassen sich von den verschiedenen TV-Anstalten unterhalten und informieren. Dabei ist der Konsum zwischen türkischen und deutschen Sendern ziemlich ausgeglichen. Mit 92,2 Prozent hat das türkische Fernsehen gerade mal einen Vorsprung von 0,4 Prozent gegenüber dem deutschen TV. Über die temporäre Nutzung lässt sich aus der Studie des ZfT jedoch nichts Genaueres schließen. Als Richtwert kann man aber eine Umfrage aus dem Jahr 2003 hinzunehmen, die in Berlin unter 500 erwachsenen türkischstämmigen Migranten durchgeführt wurde. Gerade mal 43 Prozent gaben damals an, häufiger türkisches als deutsches Fernsehen zu schauen. 26 Prozent sagten aus, deutsches und türkisches Fernsehen in etwa gleichen Teilen zu nutzen und 31 Prozent bevorzugten eher das deutsche als das türkische Fernsehen.

Die beliebtesten deutschen Sender bei den Deutschtürken sind die Privatsender. Mit 57 Prozent steht "RTL" einsam an der Spitze, gefolgt von "Pro7" (42%). Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten belegen nur die dritten und vierten Plätze. Hier zeigt sich ein Unterschied zu den deutschen Zuschauern. Wie eine Allensbach Umfrage im Jahr 2004 ergab, bevorzugen jene die öffentlich-rechtlichen Sender gegenüber den Privaten. Daraus dürfte man schließen, dass die Deutschtürken vor allem aus Unterhaltungsgründen deutsche Sender einschalten.

Das zweitbeliebteste Medium sind die Tageszeitungen. Hier haben die türkischsprachigen Blätter gegenüber den deutschen Zeitungen einen deutlichen Vorsprung von 10 Prozent. Dies dürfte für die durchaus doch nicht so guten Deutschkenntnisse der Migranten sprechen. Aber unter den Migranten, die eher deutsche Zeitungen lesen, zeigt sich eine Gemeinsamkeit mit dem deutschen Leser - die "Bild" ist auch unter den Deutschtürken die meistgelesene deutsche Tageszeitung.

Bei Radio, Wochenzeitungen und Internet werden die deutschen Angebote von den Migranten favorisiert. Dieses Ergebnis muss man jedoch mit Vorsicht betrachten, denn es werden vor allem die multikulturellen Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eingeschaltet. Auch das Informationsmedium Internet darf man nicht überschätzen, obwohl es unter den Migranten eine immer wichtigere Bedeutung gewinnt. Aufgrund der Schulbildung und des eingeschränkten Zugangs, ist es noch ein sehr exklusives Medium, welches vor allem von den gut ausgebildeten und wohlhabenden Migranten genutzt wird.

Nutzung deutscher und türkischer Medien nach Art der Medien (Mehrfachnennungen, Prozentwerte) ©Dirk Halm, Zentrum für Türkeistudien

Wie Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien betont, gibt es im Zusammenhang mit der Mediennutzung noch viele unbeantwortete Fragen für die Forschung. Welche Sendungen wurden von den Migranten bevorzugt? Welche Unterschiede im Medienverhalten gibt es zwischen den einzelnen Generationen? Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Zuschauern mit Migrationshintergrund und denen ohne? Doch als Fazit lässt sich durchaus feststellen, dass in Deutschland zumindest medial keine Parallelgesellschaft entstanden ist und eine Integration erfolgte.

Am effektivsten für die Integration sind aber Medien, die von Migranten für Migranten gemacht werden. Dadurch würde das breite Themenspektrum abgedeckt werden, welches die Migranten und ihr Leben betrifft.

Dirk Halm

Die ersten Medienformate gibt es schon. So feierte vor einigen Monaten der Sender "TD1" (Türkisch-deutsches Fernsehen in Berlin) sein 20-jähriges Jubiläum, und dies in den heiligen Hallen des Roten Rathauses in Berlin. Nicht ohne Grund, denn unter den Berliner Deutschtürken ist der Lokalsender mit 37 Prozent das meistgesehene Programm. Ebenso erfolgreich unter den türkischstämmigen Migranten in Berlin ist der Radiosender "Metropol FM", der ebenfalls von Migranten für Migranten gemacht wird. Das jüngste Medium dieser Art ist der in Duisburg ansässige TV-Sender "Kanal Avrupa".

Seit dem 1. Januar 2005 sendet der Sender sein Programm in den ganzen Kontinent hinaus, da als Zielpublikum nicht nur die türkische Community in Deutschland angesehen wird, sondern auch die restlichen 1,4 Millionen türkischstämmigen Migranten in den anderen Ländern Europas. Das ändert aber nichts am Ziel des Senders, wie Seran Sargur, der General-koordinator von "Kanal Avrupa" sagt: "Das Fundament unseres Senders ist nicht die Sehnsucht nach der Heimat, sondern die Sehnsucht nach dem Heimischen."