Die nützliche Erfindung der "Pro-Russen"

Fussnoten

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Nicht vergessen werden darf, dass sich die progressiven Kräfte, die den Maidan ins Leben riefen, letztlich nicht durchsetzen konnten. Die neuen Herren Kiews sind mit Arsenij Jazenjuk, Alexander Turtschinow oder Petro Poroschenko Angehörige der traditionellen Polit-Elite des Landes. Jazenjuk war zuvor bereits Parlamentspräsident und Außenminister, Turtschinow war Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU. Beide gelten als Zuarbeiter Julia Timoschenkos. Oligarch Poroschenko war Direktor der Nationalbank sowie Außen- und Wirtschaftsminister - letzteres unter Janukowitsch und Asarow. Diese Männer stehen eher für einen Elitentausch als für eine Revolution. Das wissen auch viel Maidan-Anhänger und stehen der Übergangsregierung skeptisch gegenüber.

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Genau wie Asarow und Janukowitsch zuvor bezeichnen auch Jazenjuk und Turtschinow die Aufständischen der Gegenseite als "Terroristen" und werfen ihnen vor, vom Ausland bezahlt und gelenkt zu werden. Beide Staatsführungen starteten "Anti-Terror-Operationen" und beriefen sich dabei auf dieselben Strafrechts-Paragraphen.

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Ausgenommen davon ist die Krim. Hier hieß es tatsächlich Ukraine gegen Russland, welches aber auch Unterstützung durch viele Krimbewohner hatte. Die Halbinsel war jedoch in vielerlei Hinsicht (ethnisch, historisch und geopolitisch) ein Sonderfall. Deswegen ist die Krimkrise als Folie für die restliche Ukraine eher ungeeignet.

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Presseclub vom 4. Mai (ab 10:07). Hoffmann spricht später von einem "Bürgerkrieg ohne Bürger".

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Dass auch in der Ostukraine eine große Mehrheit der Menschen (70 Prozent) für die Einheit des Landes ist, zeigt eine Umfrage des US-amerikanischen Pew-Instituts in der Ukraine. Für regionale Sezessionen sind im Osten nur 18 Prozent.

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So schreibt etwa Dana Schülbe auf rp-online (8. Mai): "So richtig traut die internationale Gemeinschaft den Worten Putins nicht". Auch in vielen anderen Berichten ist die Rede davon, dass die internationale Gemeinschaft über Putin "entsetzt" sei oder dass er international isoliert sei. Viele lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Staaten werden hier aber in eine Art ideologische Geiselhaft des Westens genommen.

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Konsequenterweise lassen sie einige Autoren deshalb auch gleich weg: So etwa bei Spiegel-Online oder direkt als Überschrift einer Bilderserie der Braunschweiger Zeitung. In einem Bericht bei Spiegel-TV (11. Mai, ab 21:12) fragt der Reporter einen Donezker Polizisten (auf Englisch), was er davon hält, dass "Russen" im Gebäude sind.

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Hierbei geht es vor allem um die Ausrüstung einiger Kämpfer mit teuren Gewehren, die es ausschließlich in der russischen Armee geben soll. Dazu gibt es aber nur inhaltlich dünne Artikel wie diesen bei Zeit-Online (15. April) oder diesen bei taz.de (14. April).

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Spiegel-Online zu den US-Fotos vom bärtigen Mann.

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Ein Hochstapler hatte sich in einer ostukrainischen Stadt als Offizier der russischen Armee ausgegeben. Viele deutsche Medien haben die Geschichte gern geglaubt. So etwa Ulrich Krökel von Zeit-Online (15. April) oder Armin Körper vom ZDF (Heute-Journal, 14. April), der sagte: "Wenn es noch Zweifel gab, ob russische Militärs hier aktiv sind, dann sind die jetzt wohl ausgeräumt." Claus Kleber entschuldigte sich ehrlicherweise dafür. Die Zeit-Autoren Kai Biermann und Meike Dülffer haben sich journalistisch-vorbildlich um eine Klärung bemüht.

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Klaus-Dieter Frankenberger: "Reaktion unterschätzt, Interessen gewahrt" (faz.net, 8. Mai): "Die Bilder von Leuten, die plötzlich das Kommando haben, Gerüchte, russische Spezialkräfte operierten in diesem Gebiet, und Vermutungen, der Kreml ziehe die Fäden, sind schon jetzt kein PR-Brüller [für Putin]."

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Stabilität und staatliches Gewaltmonopol in der Ukraine stellen erst seit dem Sieg der Maidan-Bewegung wieder wichtige Werte für deutsche Journalisten dar. So spricht etwa ein Text auf Tagesschau.de (5.Mai) davon, dass die ukrainische Armee lediglich versuche, "die staatliche Ordnung in Slawjansk wieder herzustellen". Was das konkret bedeutet, zeigt dieses Video aus Krasnoarmeijsk. Sogenannte Nationalgardisten erschießen dabei mindestens einen unbewaffneten, friedlich dastehenden Mann (bei 0:17 zu sehen).

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Einige von zahlreichen Beispielen: "Solange der Westen nicht das Heft des Handelns in die Hand nimmt - nicht mit Waffen, sondern mit echten, spürbaren Sanktionen -, so lange macht Wladimir Putin, was er will." (Cathrin Kahlweit, süddeutsche.de, 11. Mai), auch Majid Sattar (faz.net, 4. Mai), Carsten Luther (Zeit-Online, 12. Mai) oder Michal Kokot (Zeit-Online, 13. Mai) kommentieren so.

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Bilder von Kämpfern in Berkut-Uniformen gibt es etwa in einem Artikel auf fr-online (27. April) oder in der Printausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (8. Mai, S. 3).

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Reporter der New York Times sind da weiter. In einem Artikel vom 3. Mai erfahren sie, dass es Ukrainer sind, die im Osten der Ukraine gegen ukrainisches Militär kämpfen. Dass sich unter den Bewaffneten in der Region auch russische Freischärler und Privatsöldner befinden könnten, ist durchaus plausibel. Die Beschäftigung ausländischer Söldner aufseiten der neuen Kiewer Regierung ist jedoch genauso gut annehmbar.

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Auch dies ist eine beachtliche Parallele zu den Vorkommnissen in der Westukraine von Dezember bis Februar. Damals kamen die Medien ebenfalls trotz der beachtlichen Organisation und Kampfkraft der Maidan-Bewegung nicht auf die Idee, dass es sich dabei um vormals offizielle Sicherheitskräfte handeln könnte.

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Rund 3000 Berkut-Angehörige sollten zu ihrem Verhalten bei den Protesten befragt werden. (NZZ, 27. Februar)

20

Beispiele: russischsprachiges BBC-Video bei YouTube, YouTube-Video aus Mariupol vom 9. Mai.

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Spiegel-Online, 16. April schreibt bspw. über zwei Frauen, die Panzer stoppen wollen: "Sie glauben, was die Kreml-treuen Kanäle ihnen ständig predigen."

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Siehe etwa Berlinertageszeitung.de, 22. Januar oder taz.de, 2. Februar.

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Ein Beispiel hierfür sind die Berichte über Geschehnisse in der südukrainischen Stadt Mariupol am 9. Mai. So gut wie alle deutschen Medien, wie hier exemplarisch angeführt das Handelsblatt, übernahmen unkritisch die Sprachregelung der Übergangsregierung: "20 Separatisten wurden getötet." Videos wie dieses und dieses bei YouTube zeigen hingegen, dass Regierungssoldaten unbewaffnete Zivilisten erschossen haben. Die Zusammenarbeit etwa des ZDF mit dem Ukraine Crisis Media Center, einer PR-Agentur der Kiewer Interims-Regierung, ist ein weiterer Beleg für gerngläubige Zusammenarbeit (Der Freitag, vom 7. April).

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Wenn aber mal kritisiert wird, dann wird auch gleichzeitig konsequent verharmlost. So etwa von Welt-Korrespondentin Julia Smirnova: Die ukrainische Armee gehe "ungeschickt" vor (Welt.de, 11.Mai) oder von SPON-Reporterin Raniah Salloum, die von einem "heiklen Feldzug" spricht (Spiegel-Online, 16. April).

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Golineh Atai in einer Live-Schalte im ARD-Presseclub am 4.Mai (die entsprechende Stelle findet sich ab 5:00). Ein anderes Beispiel ist Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung. Er bezeichnet die derzeitige Kiewer Regierung trotz Militäreinsatz in einem Kommentar (8. Mai) als "durchaus respektabel".

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Im Presseclub wurde Atais Aussage von keinem der fünf anwesenden Journalisten kritisiert.

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Beispiele: Welt.de, 11. Mai; Zeit-Online, 5. Mai, Deutsche Welle, 6. Mai (man beachte die rechtsradikalen Symbole an der Mauer vor dem Gewerkschaftshaus auf dem Foto zum Artikel)

28

Zu den Vorkommnissen in Odessa siehe etwa dieses Video bei YouTube.

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Verurteilt werden hingegen die Trauernden: Korrespondentin Katrin Eigendorf bezeichnet am 3. Mai in einem Bericht für das Heute-Journal (ab 9:00) aus Odessa eine alte Frau, die "Faschisten" für den Tod von mehr als 40 Menschen verantwortlich macht und ihnen den Tod wünscht, als "hasserfüllt und verblendet". Würde die Korrespondentin sich bei solch einem Fall in Deutschland ähnlich äußern? Eine Ausnahme ist Golineh Atai, die im Presseclub vom 4. Mai von "roher Gewalt pro-ukrainischer Demonstranten" spricht; dann jedoch wieder die haltlose Bemerkung macht, dass es solche Gewalt von Maidan-Anhängern bisher noch nicht gegeben habe.

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Es geht hierbei um den grundsätzlichen Widerspruch zwischen territorialer Integrität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Eine löbliche Ausnahme gibt es: Reinhard Merkel (faz.net, 7. April).

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US-amerikanische Rating-Agenturen stufen Russland trotz geringer Schulden in seiner Kreditwürdigkeit auf Ramsch-Niveau herab, US-amerikanische Kreditkartenfirmen stellen ihre Zusammenarbeit mit russischen Banken ein, westliche Investoren ziehen ihr Kapital in Milliardenhöhe aus Russland ab, vertraglich geregelte Geschäfte werden gestoppt. Diese Sanktionen stehen auf keiner offiziellen Liste. Die russische Wirtschaft soll auf eine Rezession zusteuern. Darunter werden in erster Linie die einfachen Menschen leiden und eben nicht die russischen Eliten.

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