"Die russischen Oligarchen wurden vom Westen bislang immer gehegt, gepflegt und gepampert"
Seite 2: Die Macht und das Scheitern des Westens in Osteuropa
- "Die russischen Oligarchen wurden vom Westen bislang immer gehegt, gepflegt und gepampert"
- Die Macht und das Scheitern des Westens in Osteuropa
- Kein automatisches Wachstum, weder in Entwicklungsländern noch in Osteuropa
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Die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer, hat im Interview mit Telepolis geschildert, wie Deutschland nach dem Zusammenbruch der UdSSR die Möglichkeit hatte, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit im ehemaligen Sowjetraum zu fördern.
Auf diesen Punkt gehen Sie ja auch in Ihren Dreiteiler ein, wenn Sie beschreiben, wie Sie damals in einigen dieser Staaten unterwegs waren und wen Sie beraten haben. Dann kam der IWF. Mit welchem Ergebnis?
Heiner Flassbeck: Immer mit dem gleichen Ergebnis. Alles wurde frei, alles wurde zum Markt. Es hieß: Macht Eure Märkte auf und lasst westliches Kapital hinein, dann geht es Euch gut, dann geht es Euch besser.
Aber das war von Anfang an fundamental falsch. Nur in Osteuropa hat das zunächst niemand begriffen. Und der IWF hatte damals alle Macht, weil diese Länder alle Dollar brauchten, um im Westen, einkaufen zu können und um ihre Infrastruktur aufzubauen.
Dadurch hatten die Europäer wie auch die US-Amerikaner über den Internationalen Währungsfonds eine ungeheure Macht. Als sich negative Entwicklung abgezeichnet haben, hat man – freundlich ausgedrückt –geschlafen. Wahrscheinlich aber hat man Russland schlichtweg ins Verderben reiten lassen. Damals in den Ländern des ehemaligen Sowjetraums wurde wirklich jeder Unsinn gemacht.
Haben Sie Beispiele?
Heiner Flassbeck: Das wichtigste ist wieder die Privatisierung mit ihren Folgen für die Demokratisierung. Denn es ist ja völlig klar: Wenn ich ein Land habe, in dem plötzlich Hunderte von Leuten Milliardäre werden, weil sie sich das Volkseigentum angeeignet haben, dann übernehmen die erst mal die Macht und die Politik ist abhängig von diesen Leuten.
In so einer Situation kann man überhaupt keine lupenreine Demokratie installieren, um mal einen Begriff von Gerhard Schröder zu benutzen, selbst wenn man es wollte. Man hat aber auch Ländern wie Kasachstan ein kapitalgedecktes Rentensystem aufschwatzen wollen, eine ungeheure Blödheit.
Im Kontext des wütenden Ukraine-Krieges spielt das kaum eine Rolle, stattdessen wird viel über die Nato-Osterweiterung diskutiert und die Frage, wer wem wann etwas zugesagt hat. Hängt die ökonomische Entwicklung mit dem militärischen Konflikt zusammen?
Heiner Flassbeck: Ja, das denke ich schon. Es gibt in Osteuropa – und das, glaube ich, kann man Herrn Putin fast vom Gesicht ablesen – eine unglaubliche Frustration über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die Ukraine steht sehr schlecht da, aber um Russland steht es auch nicht viel besser.
Russland, und das hat Putin, glaube ich, wiederholt auch gesagt, ist zum Rohstofflieferanten degeneriert. Und das ist im Grunde das, was der Westen stets wollte: ein Rohstofflieferant, der technologisch nicht besonders weit aufholt und im Übrigen eine relativ schwache Regionalmacht bleibt, wie Herr Obama es einmal gesagt hat.
Das ist für Russland natürlich an sich eine Provokation gewesen, die zur Entfremdung vom Westen beigetragen hat. Im Zuge der politischen Auseinandersetzung und des Konfliktes über Grenzen und das Heranrücken der Nato hat er in zunehmender Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass da, wo der Westen militärisch vorgestoßen ist, hinterher immer Chaos die Folge war. In Libyen etwa, aber auch andernorts.
Und diese Gefahr ist auf einmal unmittelbar an die westrussische Grenze herangerückt, zunächst – wie gesagt – mit sehr negativen wirtschaftlichen Konsequenzen. Und die Ukraine ist ein katastrophales Fallbeispiel. In einem der Teile meines Artikels habe ich das beschrieben. Wenn die EU nun eine Aufnahme der Ukraine anbietet, dann kann man nur sagen: Um Gottes willen, wenn das passiert, wird alles noch viel schlimmer.