"Die russischen Oligarchen wurden vom Westen bislang immer gehegt, gepflegt und gepampert"
- "Die russischen Oligarchen wurden vom Westen bislang immer gehegt, gepflegt und gepampert"
- Die Macht und das Scheitern des Westens in Osteuropa
- Kein automatisches Wachstum, weder in Entwicklungsländern noch in Osteuropa
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Heiner Flassbeck über russische Oligarchen, das Scheitern von Demokratisierung und Aufbau im postsowjetischen Raum sowie die Verantwortung des Westens
Herr Flassbeck, in den vergangenen Wochen hat die Europäische Union mehrfach russische Oligarchen sanktioniert. Was ist ein Oligarch und gibt es eigentlich auch deutsche, französische oder US-Oligarchen?
Heiner Flassbeck: Oligarchen im eigentlichen Sinne vielleicht nicht, aber es gibt Monopolisten im Westen, die mindestens so problematisch wie die Oligarchen sind. Was mich doch sehr erstaunt: Warum hat man die Oligarchen 30 Jahre lang in Ruhe gelassen und im Westen sogar als Marktlösung gefeiert, und warum verfolgt man sie jetzt gerade? Ist die Tatsache, dass es sich um russische Bürger handelt, plötzlich schon hinreichend für eine Verfolgung?
Die Sanktionen hatten begrenztem Erfolg, wie Presserecherchen zeigen. Sie haben schon vor Wochen in einem Dreiteiler beschrieben, wie der Aufstieg der Oligarchen mit der westlichen Russland-Politik zusammenhängt, die im Kern nach dem Ende der UdSSR auf eine Marktliberalisierung hingewirkt hat. Kämpft Brüssel gegen das Resultat der eigenen, der westlichen Politik?
Heiner Flassbeck: Ja, der Westen ist im Kern verantwortlich für das, was in ganz Osteuropa seit dreißig Jahren geschehen ist. Da ist es mehr als verwunderlich, dass man 30 Jahre nach dem Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft jetzt eine "Systemrivalität" auch mit China ausruft. Das zeigt nur, dass die Verantwortlichen in Brüssel und Berlin überhaupt keinen Plan haben.
Sie sehen eine entscheidende Rolle im Modernisierungsprozess, der vom Westen forciert wurde.
Heiner Flassbeck: Der ganze Modernisierungsprozess, vorwiegend in Russland, war eine schlichte Katastrophe – angeleitet vom Westen, vom Internationalen Währungsfonds, das muss man immer bedenken. Dazu gehört ohne Zweifel der Privatisierungsprozess, der unter den Augen und unter der Aufsicht des Westens abgelaufen ist. Und jetzt, nach 30 Jahren, entdeckt man auf einmal, dass die Nutznießer dieses Prozesses vielleicht keine weiße Weste haben? Das ist schon eine lange Erkenntnis-Verzögerung.
Hinzu kommt, dass die russischen Oligarchen vom Westen bislang gehegt, gepflegt und gepampert wurden. Man hat ihnen all die schönen Produkte verkauft: die Luxusuhren, die Yachten und was weiß ich noch was. Und jetzt auf einmal sagen fast alle unisono: "Ach, das könnten ja Verbrecher sein." Der Westen macht sich mit seiner Doppelmoral im Moment weltweit unglaublich lächerlich.
Ist Wladimir Putin denn auch ein Oligarch oder hält er die Oligarchen in Schach?
Heiner Flassbeck: Das ist schwer zu beurteilen, aber es spricht mehr für letzteres als für ersteres. Er ist jedenfalls deswegen an die Macht gekommen, weil die Oligarchen und Herrn Jelzin unter Anleitung des Westens ein absolutes Chaos angerichtet hatten.
Es gab in den 90er-Jahren eine gewaltige Währungskrise, bei der in Russland unendlich viel Geld verloren wurde und die Spekulanten unendlich viel Geld gewonnen haben. Die westlichen Spekulanten, muss man wieder dazusagen, einschließlich der deutschen Banken.
Und, ja, danach ist Putin an die Macht gekommen und ich vermute, er hat ein Stillhalteabkommen mit den Oligarchen geschlossen, nach dem Motto: Ich tue Euch nichts, wenn ihr Euch aus der Politik raushaltet.