"Die russischen Oligarchen wurden vom Westen bislang immer gehegt, gepflegt und gepampert"

Seite 3: Kein automatisches Wachstum, weder in Entwicklungsländern noch in Osteuropa

Wir sind jetzt von Russland in die Ukraine gekommen. Wenn man sich, Herr Flassbeck, EU Berichte zur Ukraine ansieht, dann waren die stets voller mit Klagen über Korruption und Misswirtschaft, über Missbrauch von Fördergeldern und Budgethilfen.

Wieso, denken Sie, hält man in Brüssel weiterhin an der Gleichung fest, dass mehr freier Markt plus weniger Misswirtschaft eine goldene Zukunft für die Ukraine bedeutet.

Heiner Flassbeck: Das Problem dabei ist, dass die Grundprämisse schon nicht stimmt, die Annahme nämlich, dass "freier" internationaler Handel in irgendeiner Weise automatisch zur Integration und zum Aufholen von Ländern führt. Man unterstellt einfach, dass diese Länder über die globale Marktintegration automatisch ihre Nischen finden und es ihnen gut geht. Diese These ist einfach grundfalsch, sie wird schon seit 100 Jahren in den Entwicklungsländern widerlegt, und nun seit 30 Jahren in Osteuropa.

Und sie wird heute überall dort widerlegt, wo die EU Einfluss besitzt. Das gilt, auch dazu habe ich einen Beitrag verfasst, auch für andere Teile Osteuropas, die Mitglied der EU sind. Bulgarien etwa, das dieser Tage schon wieder von einer Regierungskrise erschüttert wird, ist das Land mit dem rasantesten Bevölkerungsrückgang, ich glaube, weltweit. Und das zeigt, dass die Leute da einfach vollkommen unzufrieden sind. Und in anderen osteuropäischen Ländern läuft es nicht besser.

Dahinter steht diese unsinnige ökonomische Theorie des Freihandels. Man setzt alles auf freie Kapital-, Güter- und Arbeitsmärkte – und dann wird alles gut. Das ist eben grundfalsch.

Welchen Platz hätte eine westorientierte Ukraine im europäischen Wirtschaftsgefüge und welchen Platz hätte Russland, wenn es seine Kriegsziele verfehlt?

Heiner Flassbeck: Na ja, das mit Russland ist eine komplizierte Frage. Wie man sich da weiter politisch verhält, will ich mal nicht versuchen zu prognostizieren. Vernünftig aber wäre, da wieder Öffnungen hinzubekommen, allerdings wohlüberlegt.

Aber die Ukraine und andere Länder sollte man eben nicht nur aufnehmen, wenn sie bestimmte formale Kriterien erfüllen. Denn was kommt danach? Dann lassen wir sie im Regen stehen, dann müssen sie eben selber zurechtkommen.

Es gibt neben Bulgarien eine ganze Reihe von Ländern, die eigentlich gescheitert sind, auch die baltischen Länder. Die sehen nur deswegen nicht so schlecht aus, weil sie enorme Abwanderung haben. Sie hätten sonst eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent. Das alles funktioniert nicht, aber wir machen konsequent die Augen zu, um es nicht sehen zu müssen.

Aber wir tun so, als könne man jetzt einfach noch mal fünf Länder aufnehmen und darauf hoffen, dass es denen dann plötzlich gut geht. Der europäische Binnenmarkt, ich habe es in einem der Teile geschrieben, ist eher eine Bedrohung als eine Wohltat für diese Länder – weil er selbst nicht funktioniert, unter anderem, weil Länder wie Deutschland und die Niederlande ihn mit ihren Leistungsbilanzüberschüssen 20 Jahren zerstören.

Was also muss besser gemacht werden? Die drei wichtigsten Punkte, Herr Flassbeck.

Heiner Flassbeck: Man braucht schon Austausch, aber auf gleicher Augenhöhe. Das heißt, es dürfen nicht einfach die Märkte geöffnet werden, vor allem nicht die Kapitalmärkte. Die Länder, über die wir nun gesprochen haben, müssen eine vorsichtige Integration erleben, eine gesteuerte Integration, die von einem vernünftigen Währungssystem getragen wird. Wir müssen bereit sein, deren Währungen zu unterstützen und stabil zu halten in den Grenzen, die von den Inflationsdifferenzen vorgegeben werden

Zugleich, und das wäre das Wichtigste, um überhaupt weiterzukommen, braucht es beim Einstieg in den großen europäischen Binnenmarkt eine Protektion für die heimischen Produzenten. Man braucht Industriepolitik und aktive Handelspolitik, um zu verhindern, dass die heimischen Produzenten alle pleitegehen und alles nur noch importiert wird.