Die schleichende Ökonomisierung der Internetpolitik
Beobachtungen von der 25. ICANN-Tagung in Wellington
Wenn Paul Twomey, seit vier Jahren CEO der "Internet Corporation for Assigned Names and Numbers" (ICANN), über die Zukunft spricht, dann präsentiert er neuerdings vor allem Zahlen. Dabei hat Twomey jedoch weniger die Zahl neuer, von ICANN lizenzierter Top Level Domains oder die der neuen Anycast Rootserver im Auge, sondern das Volumen des Marktes, den ICANN verwaltet. Beim Domain Name-Markt im engeren Sinne gehe es mittlerweile um mehr als eine Milliarde Dollar. Rechnet man all die heutigen und zukünftigen Dienste hinzu, die die mit ICANN verbundenen Registries und Registrare anbieten, dann wachse dieser Markt bis zum Jahr 2010 auf rund zehn Milliarden. Verglichen mit dem bürokratischen Verwaltungsaufwand ähnlicher globaler Märkte, so Twomey, repräsentiere ICANN mit seinen knapp 50 Mitarbeitern und einem Budget von 20 Millionen US-Dollar ein geradezu sensationell günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Twomeys Wink mit dem ökonomischen Zaunspfahl zielt natürlich in erster Linie auf die Regierungen, denen er sagen will, dass sie ihre im Rahmen des WSIS-Prozesses entwickelte Politiken zum Thema "Internet Governance" mehr marktkonform ausrichten sollen, hänge doch vom funktionierenden Domain Name-System die wirtschaftliche Leistungskraft der nationalen eWirtschaft ab. Er macht damit aber auch deutlich, dass bei ICANNs zukünftigen politischen Entscheidungen die wirtschaftliche Komponente mehr und mehr eine führende Rolle spielen wird.
Der Gigant wird größer
Der in Wellington am heftigsten diskutierte Beschluss betraf dann auch eine politische Entscheidung, bei der es in erster Linie ums Geld ging: Der neue Vertrag zwischen ICANN und VeriSign über die Fortführung der Registry für die Top Level Domain .com. war Anfang März 2006 vom ICANN-Direktorium mit 9 zu 5 Stimmer bei einer Enthaltung angenommen wurden. Er hatte eine Protestwelle bei zahlreichen ICANN-Constituencies - von der Registraren bis zu den Nutzern - ausgelöst.
Der Vertrag, der .com de facto auf unbegrenzte Zeit an VeriSign übereignet und obendrein auch noch eine jährliche Preiserhöhung um sieben Prozent ermöglicht, zementiere auf Jahre hinaus eine Monopolstellung des sich immer weiter ausbreitenden Netz-Giganten, wandten die Kritiker ein und beriefen sich darauf, dass ICANN eigentlich gegründet wurde, um den Wettbewerb in diesem neuen Markt zu befördern. Stattdessen aber werde Straton Sclavos, der clevere CEO von VeriSign, mehr und mehr eine Art Bill Gates des Internet. VeriSign kontrolliert ja nicht nur den Domain Name-Markt, als die "Trust Company" ist VeriSign einer der führenden Konzerne für Internet Sicherheit, einem der dynamischsten und lukrativsten Felder der neuen Netzwerk-Generation.
Das Feuer, das von VeriSigns Kontrahenten angefacht wurde, verbrannte bei der Tagung in Wellington jedoch recht bald. So richtig überzeugen, dass ein alternativer Betreiber für .com besser für die globale Internetgemeinschaft sei, konnten die Argumente nicht. Wiewohl die Kritik, ICANN züchte einen Monopolisten - der im übrigen den Löwenanteil des ICANN-Budgets finanziert - und unterminiere den Wettbewerb, mehr als berechtigt ist, lief sie hinsichtlich des .com-Vertrages ein wenig ins Leere. Wer wäre denn in der Lage gewesen, problemlos die 50 Millionen Registranten unter .com von einem Tag auf den anderen zu übernehmen?
Die Kritiker, die jetzt sogar drohten, vor ein US-Gericht zu ziehen, hätten mal lieber bei der vor Jahresfrist erfolgten Neuvergabe der .net Registry - immerhin auch über sieben Millionen Registranten - ordentlich Krawall machen sollen. Damals gab es eine Ausschreibung. Fünf Bewerber hatten sich gemeldet und alle erhielten von den Evaluatoren gute Noten. Am Schluss aber gewann VeriSign. Hätte man .net z.B. den Mitbewerben DENIC - knapp zehn Millionen registrierter .de Namen - oder Afilias - knapp drei Millionen unter .info und nochmals rund fünf Millionen unter .org, wo Afilias das technische Backup macht - gegeben, wäre zumindest ein Wettbewerber geschaffen worden, der zwar noch immer nicht direkt an VeriSign herangekommen wäre, aber immerhin auch das Label eines "global players" hätte beanspruchen können.
Damals hielt sich der Aufschrei der heutigen Kritiker in Grenzen und auch ICANNs Governmental Advisory Committee (GAC) war sprachlos, obwohl es ja eigentlich im Verantwortungsbereich von Regierungen liegt, für einen fairen Wettbewerb in neuen Märkten zu sorgen. Das Argument "Wettbewerb" wurde jedoch vom ICANN-Direktorium zu jener Zeit gegen das Risiko abgewogen, den ein Transfer von Millionen von .net-Adressen (die überwiegende Zahl davon in den USA) für die "Stabilität und Sicherheit des Internet" hätte heraufbeschwören können. Die US-Regierung fand das gut, und die Europäische Union schwieg höflich zu dem Vorgang. So ist nun in einem dynamisch sich entwickelnden Milliardenmarkt eine ziemlich verzerrte Wettbewerbssituation entstanden, wo ein Riese von lauter Zwergen umgeben ist. Es wird eine Zeitlang dauern, bis sich ein Wettbewerber auf eine ernsthafte Verfolgung wird machen können.
Europa oder China: Wer wird Verfolger Nummer 1?
Ob ein solcher Wettbewerber aus Europa kommt, ist eher zu bezweifeln. Die dieser Tage in der Öffentlichkeit erzeugte Euphorie über die "Erfolgsgeschichte" von .eu - seit Anfang April 2006 kann man endlich unter dieser TLD Domains registrieren und es geht jetzt tatsächlich zügig voran - verdeckt etwas schamvoll die Tatsache, dass die Europäer die Entwicklung jahrelang verschlafen und dann die Einführung von .eu an ein qualvolles und zeitfressendes bürokratisches Verfahren gebunden haben, was dazu geführt hat, dass EURID, die neue .eu Registry, nun mit einem Riesenrückstand auf die Verfolgsjagd geht. Hätte 1997 der damalige EU-Kommissar Martin Bangemann nicht auf seinen Berater Christopher Wilkinson gehört, der anstelle einer "Handshake-Delegierung" von .eu a la Jon Postel eine "Kommunikation der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament" empfahl, um sich "rechtlich abzusichern", wäre eine .eu Registry heute möglicherweise ein ebenbürtiger Konkurrent von VeriSign. So aber wird EURID einen langen Atem benötigen, um überhaupt erst einmal auf das Niveau der deutschen DENIC zu gelangen.
Dabei spielt die eigentliche Zukunftsmusik in diesem Markt so und so in Asien. Und hier wird es möglicherweise noch viel schrillere Töne geben als bei den .net und .com Re-Delegierungen. Das ".com-Thema" war in Wellington schnell abgearbeitet, das "iDN-Thema" hingegen klopfte erstmals auch als wirtschaftliche Frage an ICANNs Türe. Bislang waren die sogenannten "internationaliserten Domain Names" - d.h. die nicht auf dem ASCII Code basierten TLD-Endungen - primär unter dem Aspekt der Machbarkeit als technische Problem oder unter dem der Sprachenvielfalt als politisches Problem diskutiert worden. In Wellington nun wurde stärker als zuvor die ökonomische Dimension sichtbar, die wiederum ihre spezifischen globalpolitisch-strategischen Implikationen hat.
Ausgangspunkt der neuen Diskussion ist der seit 1 März 2006 erweiterte Testversuch der chinesischen Regierung, Domain Name-Registrierungen in den TLDs unter .cn, .com und .net mit chinesischen Schriftzeichen zu ermöglichen. Die Zone Files mit den chinesischen Zeichen für die drei TLDs werden dabei in einem chinesischen Root-Server gehostet und ihre Publikation wurde vom chinesischen Ministerium für Informationsindustrie (MII) autorisiert (Clash im Internet?). Der Aufschrei der Internetgemeinschaft, China würde das Internet spalten, war aber zunächst unbegründet, denn im Rahmen des Testes wandelt der chinesische Server, sobald er eine Anfrage mit den chinesischen .com Zeichen erhält, diese in eine ASCII-Adresse unter .cn um. Damit entsteht kein "alternativer Internet Root", wohl aber werden die Keimzellen eines "erweiterten Internet Roots" sichtbar.
Bislang werden alle .com-Namen von VeriSign gemanagt. VerSign verwaltet auch die Masterkopie des Root Server-Systems. Die Publikation des .com Root Zone Files mit den ASCII-Zeichen wiederum autorisiert das US-Handelsministerium. Die chinesischen Vertreter in Wellington nun machten ziemlich deutlich, dass sie zwar nicht die Hoheit von ICANN und des US-Handelsministeriums über den Internet Root anfechten, dass sich aber VeriSign einem Trugschluss hingeben würde, wenn es davon ausgehen sollte, automatisch alle .com-Registrierungen in chinesischer Sprache, wie beim DNAME-Protokoll vorgeschlagen, zu erhalten. Die Chinesen wollen die .com-Registrierungen mit chinesischen Charakteren unter ihrer eigenen Kontrolle halten.
Zwar gibt es momentan in China gerade mal eine Million Domain Name-Registranten (sowohl in lateinischen ASCII als auch in chinesischen Zeichen), bei gegenwärtig 115 Millionen chinesischen Internetnutzern aber ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch diese Zahl explodiert. Von den bislang registrierten Domain-Namen in China sind 50 Prozent unter .cn und 40 Prozent unter .com. Der Rest verteilt sich auf .org, .net, .hk (Hongkong) und .mo (Macau). Bei etwas über 100 Millionen registrierter chinesischer Domain-Namen - eine nicht unrealistische Zahl bis zum Jahr 2010 - wären das knapp 50 Millionen .com-Namen, soviel wie VeriSign momentan im ASCII Code insgesamt unter .com verwaltet. Würde DNAME das von ICANN sanktionierte Protokoll, würde dieses Milliardengeschäft automatisch VeriSign zufallen. Eine solche wundersame Geldvermehrung wird aber wahrscheinlich nicht so ohne weiteres stattfinden.
Kaum sind also die WSIS-Stürme überstanden, steuert ICANN auf eine weitaus dramatischere Zerreißprobe zu. Inwiefern diese zukünftige Pokerpartie die beim WSIS eingeleiteten Prozess der "erweiterten Kooperation" (enhanced cooperation) beeinflusst und ob diese an Sprengkraft kaum zu überbietende Frage zum Thema des neuen Internet Governance Forum (IGF) wird (Ein virtuelles Mekka für Netizens?), ist im Moment schwierig zu prognostizieren.
Wer jedoch erwartet hatte, dass nach dem "Deal von Tunis" zwischen den USA und der EU die Luft raus sei aus der "Internet Governance-Kontroverse" (Erbsenzählen nach der Cyberschlacht), hatte die Rechnung ohne den chinesischen Wirt gemacht. Und dabei ist noch nicht einmal die Frage angesprochen, wer denn dann die Publikation der chinesischen Variante des .com Root Zone Files autorisiert: Das US-Handelsministerium (DOC) oder des Pekinger Ministerium für Informationsindustrie (MII)? Die Zeitbombe jedenfalls hat bereits angefangen zu ticken.