Die syrische Sackgasse

Seite 3: Über grundlegende Fragen wird nicht öffentlich gesprochen

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Deutschlands Rolle in dem beschriebenen Sumpf bleibt diffus und die Bereitschaft von Merkel, Steinmeier und von der Leyen, hier ohne Not aktiv mitzumischen und den fragwürdigen Einsatz noch dazu im Eiltempo durchs Parlament zu peitschen, offenbart mehr Hysterie und Orientierungslosigkeit als Sachverstand.

Zumal über die grundlegenden Fragen nicht öffentlich gesprochen wird. Wessen Pipelines soll dieser Krieg am Ende nun eigentlich schützen? Und mit welcher Berechtigung wird über das syrische Volk zunächst ein jahrelanger Bürgerkrieg und nun ein noch größeres internationales Gemetzel gebracht? Was ist mit dem internationalen Recht, was mit dem Grundgesetz (Verbot von Angriffskriegen)? Gibt es noch irgendwelche Anstrengungen oder auch nur den Willen der Regierung, sich daran zu orientieren? Oder begreifen die Eliten solche Regelwerke bloß noch als "fakultativ", als politische Möglichkeit, die allenfalls unter Vorbehalt gilt?

Der Strafrechtler Reinhard Merkel (nicht verwandt mit der Kanzlerin) wies schon vor zwei Jahren, noch vor der Debatte um den IS, in der FAZ mit Blick auf den Syrienkonflikt auf grundlegende Mängel im Rechtsverständnis hierzulande hin:

Soweit ich sehe, ist schon die Grundfrage kaum gestellt, geschweige denn beantwortet worden: die nach der Legitimität der bewaffneten Rebellion in Syrien. Bei welchem Grad der Unterdrückung darf der berechtigte Widerstand gegen dessen Herrschaft zum offenen Bürgerkrieg übergehen? Und war diese Schwelle in Syrien erreicht, als die Unruhen begannen?

Denn war sie es nicht, dann war das Anheizen des Aufstands von außen verwerflicher noch als dieser selbst. Wie selbstverständlich scheint man vorauszusetzen, der legitime innere Widerstand gegen einen Diktator wie Assad schließe stets die Erlaubnis zur Gewalt ein. Aber das ist falsch. (…) Die Entfesselung flächendeckender Gewalt bedarf auch und vor allem einer Rechtfertigung gegenüber den unbeteiligten Mitbürgern. Sie mögen den Aufstand mit guten Gründen ablehnen, ohne deshalb Parteigänger des Despoten zu sein. Vielleicht haben sie Frauen und Kinder, um deren Leben sie im Bürgerkrieg fürchten müssen.

Dann hätten sie nicht nur ein Recht, sondern die moralische Pflicht, eine Rebellion, die ihre Schutzbefohlenen mit dem Tod bedroht, unbedingt zu verwerfen. Zehntausende Frauen und Kinder sind im syrischen Bürgerkrieg umgekommen. Was legitimiert dessen Protagonisten, den Getöteten und deren Angehörigen ein solches Opfer zuzumuten?

Reinhard Merkel

Und, so darf man ergänzen, was legitimiert die ursprünglichen Unterstützer von Terroristen in einem fremden Land, dieses fortan auch persönlich zu bombardieren? Welche Maßstäbe werden hier eigentlich gerade nicht gebrochen? Sehr viele Fragen, doch auf dem Weg in die nächste außenpolitische Sackgasse bleibt offenbar keine Zeit mehr für Antworten.