Die totale Entzauberung des Fußballs

Seite 3: Die schweigenden Millionäre

Am Mittwochabend sah ich in der Tagesschau die Bilder vom heldenhaften Auftritt der deutschen Nationalmannschaft vor dem Spiel gegen Japan. Ich sah die Szene und hatte unmittelbar ein unabweisbares Gefühl von Peinlichkeit und Lächerlichkeit. Woher rührte dieses Empfinden?

Weil Millionäre so taten, als würde ihnen jemand der Mund verbieten. Dabei recken sich jedem, der das Hotel verlässt, zahllose Mikrophone entgegen, in der er hineinreden kann, was er will. Ganz anders als ihre iranischen Kollegen, die mit ihrem Schweigen beim Abspielen der Nationalhymne wirklich etwas riskierten, riskiert ein deutscher Spieler gar nichts.

Er kann sich gegen das Impfen äußern oder gegen das Mullah-Regime oder gegen die Diskriminierung von Schwulen, es geschieht ihm nichts. Außer möglicherweise Einbußen fürs Portemonnaie, aber wahrscheinlich nicht einmal das. Charakter haben heißt, über moralische Grundsätze zu verfügen, gepaart mit der Entschlossenheit und dem Mut, für diese auch dann einzutreten, wenn man auf Gegenwind und Widerstand stößt .

Das nannte man früher wohl "eine Haltung haben". Das heißt, die deutschen Spieler hätten bereit sein müssen, die Konsequenzen ihres Eintretens für Vielfalt und Menschenrechte auf sich zu nehmen.

Ihr Verhalten lässt nur den Schluss zu, dass es ihnen damit nicht wirklich ernst ist und dass ihnen der eigene Marktwert und Kontostand letztlich doch wichtiger sind. Kurzum: Es war und ist eine Farce. Dass sie dann auch noch gegen den krassen Außenseiter Japan verloren, verdoppelte die Lächerlichkeit noch einmal.

Wenn sie aus Protest gegen das Verhalten der Fifa nach Hause gefahren wären, wäre ihnen diese Blamage erspart geblieben. So werden sie nach der Niederlage am Sonntag gegen Spanien zum zweiten Mal hintereinander nach der Vorrunde ausscheiden und vollends blamiert nach Hause zurückkehren.

Ein Sieg gegen Spanien würde an ein Wunder grenzen. Aber Wunder gibt es im Fußball immer wieder mal. Dafür, dass sie sich ereignen, muss man allerdings bereit sein und auch etwas tun. Bei der 1966-er Weltmeisterschaft hatte Deutschland sein Gruppenspiel gegen Spanien übrigens mit 2:1 gewonnen. Aber das ist lange her.

Götz Eisenberg ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete als Gefängnispsychologe und ist Autor zahlreicher Bücher. Eisenbergs Durchhalteprosa erscheint regelmäßig bei der GEW Ansbach.