"Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte"

Seite 2: "Die Drehtür von C. Wright Mills funktioniert heute global"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Da lässt sich das Weltwirtschaftsforum in Davos anführen.

Dieter Plehwe: Ja, Davos bietet einen schönen Ansatzpunkt mit seinem internationalen Zusammenspiel von Machteliten aus der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Christina Garsten und Adrienne Sörborn haben ein Buch zum WEF geschrieben, das im kommenden Jahr bei Stanford University Press (Discreet Power. How the World Economic Forum Shapes Market Agendas) erscheint.

Aber es ist schon überraschend, wie wenig z.B. über die laufende Arbeit des WEF geforscht, recherchiert, berichtet und gesprochen wird. Über das jährliche Treffen im Frühjahr in Davos wird ja nicht zuletzt aufgrund der regelmäßigen Proteste oft berichtet, aber eine Analyse der über das ganze Jahr laufenden Arbeit der vielen Arbeitskreise etc. wird dabei kaum geleistet. Als Philipp Rösler von der FDP von Berlin zum WEF wechselte, hätte es ja einen guten Ansatzpunkt gegeben. Zuletzt nutzte er das Sprungbrett, um beim chinesischen Staatskonzern HNA einzusteigen.

Die Drehtür von C. Wright Mills funktioniert heute global. Bilderberg ist gegenüber Davos intransparent und geheimnisumwittert, aber das World Economic Forum ist im Hinblick auf die Frage der Verflechtung von Machteliten viel wichtiger und interessanter.

Die Wissenschaft tut sich aber schwer mit der Erforschung dieser machtelitären Strukturen.

Dieter Plehwe: Leider. Gerne wird die Machteliten- bzw. Machtstrukturforschung als Verschwörungstheorie diffamiert. Nur wenige Professoren wie der kürzlich verstorbene Hans-Jürgen Krysmanski oder Michael Hartmann haben sich davon nicht beirren lassen. Im Gegensatz zu Verschwörungstheorien ist die Machtelitenforschung natürlich empirisch orientiert und fundiert.

Mit der seit ein paar Jahren laufenden Debatte über die "Post-Demokratie", den schwindenden Einfluss demokratisch legitimierter Parteien und Parlamente zu Gunsten von nationalen und internationalen Eliten, Kommissionen, Gremien und Institutionen ("Troika", EZB, Schiedsgerichte etc.) wird in der Wissenschaft aber immerhin die Debatte zur anti-demokratischen Technokratie aktualisiert. Gegenüber den wissenschaftlich-technischen Experten der 70er Jahre stehen dabei heute die finanzwissenschaftlichen, ökonomischen und juristischen Experten im Zentrum des Geschehens.

Die aktuelle Aufregung über die neuen rechten, neo-nationalistischen Parteien wird aber vermutlich wieder davon ablenken, sich genauer mit den transnational vernetzten Machteliten zu beschäftigen. Transnational bedeutet übrigens keineswegs kosmopolitisch. Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte. Im Kreise der Neoliberalen scheiden sich die Geister zum Beispiel durchaus an der Personenfreizügigkeit, nicht aber bei der Frage der Kapitalmobilität und dem universellen Anspruch bei der Verfügungsgewalt über Besitz und Kapital.

"Die Neoliberalen waren sich seit der Großen Depression darüber im Klaren, dass der Kapitalismus nicht aus sich selbst heraus stabil ist"

Zur Mont Pèlerin Society: Was hat es mit ihr auf sich?

Dieter Plehwe: Zum Verständnis der Mont-Pèlerin-Gesellschaft ist eine andere Kritik der generellen Technokratiethese wichtig. Mit dem Aufstieg von Reagan und Thatcher Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre wurde deutlicher, dass es noch nicht einmal in den westlichen Industriegesellschaften einen technokratischen Konsens gab. Die neoliberalen Berater der Republikaner und der Tories kämpften darum, die sozialliberalen Technokraten der Demokraten und von Labour zurückzudrängen. Es muss also um ein besseres Verständnis der politisch konkurrierenden Machteliten und Technokratenkreise gehen.

Die Mont-Pèlerin-Gesellschaft wurde 1947 gegründet, weil Intellektuelle wie Hayek oder Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow in Deutschland sich gegen den gemischtwirtschaftlichen und makroökonomischen Planungsansatz der (Nach)-Kriegszeit und den konjunkturpolitischen Ansatz der Keynesianer stellten und nach Alternativen zum Aufbau des Wohlfahrtsstaates suchten. Wäre es bei der sozialen Marktwirtschaft nach Erhard gegangen, hätte es keine Generationenrente gegeben, sondern eine private Rentenversicherung, zum Beispiel.

Die Neoliberalen waren sich zwar seit der Großen Depression darüber im Klaren, dass der klassische Liberalismus versagt hatte, dass der Kapitalismus nicht aus sich selbst heraus stabil ist. Aber ihr Verständnis von den Aufgaben des Staates für die Gewährleistung und Sicherung von Marktwirtschaft und politischer Ordnung, inklusive der sozialen Mindeststandards, unterschied sich erheblich, zum Teil fundamental vom Verständnis der Sozialliberalen und Sozialdemokraten, ganz zu schweigen von den Kommunisten.

Mont Pélerin ist gleichwohl nur aus der doppelten Frontstellung gegen laisser faire und gegen "Kollektivismus" zu verstehen. Wenn die Neoliberalen mit Marktradikalen und Anhängern des Laisser-faire gleichgesetzt werden, dann gerät die überaus wichtige Bedeutung des Attributs "neo" aus den Augen.

Was sind ihre Ziele?

Dieter Plehwe: Es handelt sich bei den Mont-Pèlerin-Mitgliedern ja nicht um eine Partei. Deshalb ist es nicht einfach, eine knappe und klare Vorstellung von Zielen im Sinne von Programmpunkten zu bestimmen.