"Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte"

Seite 3: "Viele Neoliberale sind keine lupenreinen Demokraten"

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Aber es gibt eine Grundsatzerklärung von 1947.

Dieter Plehwe: Ja, und darin wird betont, dass es um die Analyse und Erklärung der Krise der Gegenwart, also der Nachkriegszeit, ihrer moralischen und ökonomischen Ursachen gehe. Zu den Katastrophen zählten aus Sicht der Neoliberalen neben dem Nationalsozialismus (moralisch) die Planwirtschaft in der Sowjetunion und die Planungsansätze in USA und England (ökonomisch).

Die Lösungsansätze der Reformkräfte des New Deal, von Labour und Sozialdemokratie bedrohten nach Meinung der Neoliberalen die ökonomische Freiheit, die sie als Voraussetzung der politischen Freiheit ansehen. Die Gründungsmitglieder wollten deshalb eine Re-Definition der Aufgaben des Staates, um zwischen liberalen und totalitären Ordnungen klarer unterscheiden zu können.

Wir lesen also nichts von der häufig unterstellten Abschaffung des Staates. Totalitäre Ordnungen sind Neoliberalen zufolge solche, die ökonomische Freiheit beschränken. Hayek legte großen Wert auf den Unterschied zwischen autoritären Staaten, die ökonomische Freiheit sichern, und totalitären Staaten, die sie beschränken. Viele Neoliberale sind keine lupenreinen Demokraten. Neoliberale wollen ferner einen Rechtsstaat und soziale Mindeststandards ...

... die aber eingeschränkt werden sollen.

Dieter Plehwe: So ist es. Die sozialen Mindeststandards sollen ihrer Auffassung nach die private Initiative und das Funktionieren des Marktes nicht beeinträchtigen. Neoliberale kämpften und kämpfen ferner gegen den Missbrauch der Geschichte zur Förderung von ihrer Auffassung nach (ökonomisch) unfreien Gesellschaften, also gegen marxistische und andere historisch-relativierende geschichtliche Entwicklungsideen, und sie setzten sich für die Schaffung einer internationalen Ordnung ein, die Frieden, Freiheit und harmonische ökonomische Beziehungen gewährleisten solle. Auch hier bleibt im Gegensatz zum klassischen Liberalismus festzuhalten, dass es ein Verständnis der Notwendigkeit von institutionellen Arrangements der internationalen marktwirtschaftlichen Ordnung gab, diese also nicht als natürliche Gegebenheit nach dem Motto "Freihandel selbst schafft Frieden" vorausgesetzt wurde.

Gut, aber das sind ja alles erstmal recht allgemein Ziele.

Dieter Plehwe: Durch sie werden zunächst einmal akademische Forschung und Elitendiskurse in und zwischen verschiedenen Disziplinen und Professionen angeleitet. Konkretere Ziele wurden von einzelnen Mitgliedern oder Gruppen in ihren Kontexten häufig im Rahmen von weiteren Organisationen und Think Tanks bestimmt.

Haben Sie ein Beispiel?

Dieter Plehwe: In den 1950er Jahren in Deutschland wurde die Aktionsgemeinschaft für eine soziale Marktwirtschaft gegründet mit starker Beteiligung von Mont-Pèlerin -Mitgliedern, die Erhard gegen Sozialdemokraten und den christlichen Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU unterstützen sollte. Das Zusammenwirken von solchen Organisationen und der Mont-Pèlerin-Gesellschaft rückt gerade erst ins Zentrum der Aufmerksamkeit der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung.

Generell kann aber gesagt werden, dass die allgemeineren Ziele der Mont-Pèlerin-Gesellschaft einen großen Einfluss zum Beispiel auf die Entwicklung von politischen Konzepten etwa der Privatisierung und Liberalisierung hatte, die seit den 1980er Jahren in vielen Ländern eine große Rolle spielen. Bekannt sind auch neoliberale Pläne für Steuerreformen wie die flat tax von Alvin Rabushka oder - abgesehen vom Monetarismus im Allgemeinen - spezielle geldpolitische Instrumente wie das currency board zur Koppelung schwacher Währungen an starke Währungen.

Außerdem ist es beeindruckend, wie viele Mont-Pèlerin-Mitglieder an der Arbeit von Think Tanks in verschiedenen Ländern beteiligt sind. In Sachen organisierter Internationalismus hat der Neoliberalismus den Kommunismus und die Sozialdemokratie längst abgehängt.