"Diebe und Kerkermeister" in Spanien aus der Regierung vertreiben
Sehr wahrscheinlich ist, dass der spanische Regierungschef Mariano Rajoy mit den Stimmen der Basken und Katalanen abgewählt wird
Das Spiel ist praktisch vorbei für den Mariano Rajoy. Das hatte Telepolis längst angekündigt. Inzwischen will seine Volkspartei (PP) nicht einmal mehr wirklich ausschließen, dass Rajoy schon vor der Abstimmung über sein Schicksal am Freitag zurücktreten könnte. Jedenfalls brodelt die Gerüchteküche in Spanien, bevor am Donnerstag damit begonnen wird, über den Misstrauensantrag der Sozialdemokraten (PSOE) gegen den noch amtierenden Regierungschef Mariano Rajoy im Parlament zu debattieren. Allerdings schält sich inzwischen ziemlich klar heraus, dass PSOE-Chef Pedro Sánchez am Freitag vermutlich doch noch zum Regierungschef gewählt werden wird. 2016 war ihm dies nicht gelungen.
Seine Lage hat sich inzwischen ziemlich verändert, nachdem er von den rechten Regionalfürsten in seiner Partei abgesägt und über Urwahlen von der Basis erneut zurück auf den Chefsessel der PSOE gehoben worden war. Seine Sozialdemokraten hatten zwischenzeitlich gegen seinen Willen die PP wieder an die Macht gebracht und damit ein zentrales Wahlversprechen gebrochen. Das will Sánchez nun korrigieren und Kapital daraus schlagen, dass erstmals vergangene Woche mit Rajoys PP eine Partei als "Nutznießer" der Korruption verurteilt wurde, die ein "effizientes System institutioneller Korruption" betrieben habe. Nun hat es die Parteirechte schwer, erneut zu verhindern, dass ein Regierungswechsel nur mit den Stimmen der Linkspartei Podemos (Wir können es) und baskischer und katalanischer Regionalparteien möglich ist.
In jeder westeuropäischen Demokratie hätte Rajoy längst abtreten müssen, da die Schmiergeldkassen seit langem bekannt waren. Dafür hätte er die politische Verantwortung übernehmen müssen, selbst wenn er davon unbelastet gewesen wäre. Aber Rajoy klammert sich an die Macht, obwohl sogar der Nationale Gerichtshof seine Zeugenaussagen als unglaubwürdig eingestuft hat. Er hatte die Aufklärung in dem riesigen Korruptionssumpf seiner Partei frech für "nicht sachdienlich" erachtet, ein Unding in einem Rechtstaat.
Jahrzehnte der Korruption, Rajoy mittendrin
Die Richter gehen zwischen den Zeilen davon aus, dass der Ministerpräsident im Zeugenstand gelogen hat. Das wäre ein weiterer Grund für einen Rücktritt oder seine Abwahl. Dass er von den Schmiergeldkassen nichts gewusst haben will, über die sich die Korruptionspartei Jahrzehnte illegal finanzierte, glauben ihm also nicht einmal mehr die Richter. Ohnehin sind die Vorgänge nun wirklich längst klar und ausgiebig dokumentiert.
Schmiergelder flossen über Jahrzehnte von Unternehmen, während Rajoy bereits in der Parteiführung war. Im Gegenzug gab es dafür dort lukrative öffentliche Aufträge, wo seine Parteikollegen regiert haben. Das haben auch Unternehmer in schon abgeschlossenen Verfahren zugegeben. Verwaltet hat die Schmiergelder der ehemalige PP-Schatzmeister Luís Bárcenas, der mit zwei anderen PP-Politikern sofort wegen hoher Fluchtgefahr inhaftiert worden ist, obwohl das Urteil noch angefochten werden kann. Nach den Aufzeichnungen von Bárcenas soll ein "M. Rajoy" - der von allem nichts gewusst haben will - in Bargeldumschlägen sogar die höchste Gesamtsumme als "Zusatzlohn" erhalten und so direkt von Schmiergeldern profitiert haben - unversteuert versteht sich.
Ciudadanos wollen den Misstrauensantrag nicht unterstützen
Trotz allem klammern sich Rajoy und seine PP weiter an der Macht fest. "Ich habe ein Mandat der Bürger", dementierte Rajoy Rücktrittsgerüche am Mittwoch. Er will angeblich sein Amt bis 2020 ausführen, erklärte er. Aber die Rücktrittsgerüchte reißen trotz allem nicht ab. Nur die rechten Ciudadanos (Bürger/Cs), einst als Korruptionsbekämpfer angetreten, halten neben seiner PP noch am Chef der Korruptionspartei fest.
Die Cs wollen den PSOE-Antrag nicht stützen, weil damit keine sofortigen Neuwahlen verbunden sind. Denn sie wollen den Skandal nutzen, um die PP ganz am rechten Rand zu beerben. So führt sich die angebliche Anti-Korruptionspartei auch in dieser Frage selbst vor. Im Zweifelsfall hat sie lieber eine völlig korrupte postfaschistische Partei an der Regierung statt ein Bündnis aus linken Parteien. Die Linksparteien wollen dagegen vermeiden, dass die spanischen Nationalisten aus der Situation auch noch Kapital schlagen. Deshalb will Sánchez zunächst Spanien stabilisieren und aus dem "Korruptionssumpf" holen und erst in geraumer Zeit dann Neuwahlen ansetzen.
Die Basken sind das Zünglein an der Waage
Weiter wird von allen Seiten um die Gunst der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) gebuhlt. Von der hängt es ab, ob Sánchez gewählt und Rajoy gestürzt wird. Die PNV will, dass der PP-Haushalt, kürzlich mit ihren Stimmen verabschiedet, bei einem Regierungswechsel unangetastet bleibt. Zudem fordert sie, dass endlich die Zwangsverwaltung Kataloniens fällt. Das hatte die PNV den Katalanen schon für eine Zustimmung zu Rajoys Haushalt versprochen. Doch dann blockierte Rajoy. Er veröffentlichte einfach die Namen der Minister nicht im Gesetzesblatt, da zwei von ihnen in Untersuchungshaft sitzen und zwei im belgischen Exil weilen. Das ist illegal und wurde von Verfassungsexperten auch als "stiller Staatsstreich" bezeichnet.
Am Dienstag hat der neue katalanische Regierungschef Quim Torra nach Rücksprache mit den Gefangenen und Exilierten die Liste seiner Kabinettsmitglieder dann doch verändert, um die Blockade auszuhebeln. Er hat gleichzeitig eine Klage gegen Rajoy wegen "Rechtsbeugung" angekündigt. Sogar der spanische Justizminister drängt jetzt darauf, möglichst schnell die katalanische Regierung zu bilden. Denn damit fällt die Zwangsverwaltung automatisch. Alle PNV-Forderungen wären erfüllt.
"Umso schneller die Minister ins Amt eingeführt werden, umso schneller kann die Regierung die Arbeit aufnehmen und können wir zur demokratischen Normalität zurückkehren", hörte man neue Töne von Rafael Catalá. Mit Rajoy hatte er lange mit allen Mitteln jede Regierungsbildung torpediert, um die Zwangsverwaltung in Katalonien so lange wie möglich zu erhalten. Eigentlich wollte die PP mit den Cs sogar Neuwahlen erzwingen. Doch das scheiterte daran, dass sie die Stimmen der Basken für den Haushalt brauchte.
Die PNV ist offensichtlich bereit, nachdem sie die Katalanen mit ihrem Wortbruch erzürnt hatte, nun gemeinsam den Misstrauensantrag zu stützen, um Rajoy und die PP zu beseitigen. Wenn Sánchez genug Stimmen bekomme, werde man ihn unterstützen, hört man aus der Parteizentrale in Bilbao unter der Hand. Offiziell lässt die Partei aber noch alles offen. Das dürfte Kalkül sein, damit Rajoy und die PP die Lage über einen Rücktritt doch noch einmal verkomplizieren. Die PNV hat sich jedenfalls bei der PSOE, mit deren Unterstützung sie im Baskenland regiert, schon die Zusage von Sánchez geholt, dass an Investitionen im Baskenland nicht gerüttelt werde.
"Poetischer Akt der Gerechtigkeit"
Festgelegt hat sich die Republikanische Linke (ERC). Sie hat zwar keine große Lust, mit der PSOE zu stimmen, die die Repressionspolitik der PP in Katalonien bisher vorbehaltlos unterstützt hat. Es sei aber "keine Option, sondern eine Pflicht, die Diebe und Kerkermeister zu vertreiben", erklärte der ERC-Parlamentarier im Madrider Parlament Gabriel Rufián. Da die PdeCat von Carles Puigdemont derweil auch schon erklärt hat, gemeinsam mit der ERC zu stimmen, hat Sánchez genug Stimmen zusammen, um mit der PNV zum Präsidenten gewählt zu werden.
Es dürften noch einige weitere Stimmen hinzukommen, die dann eigentlich nicht mehr gebraucht werden. Zwar hat auch der Chef der linken baskischen EH-Bildu kaum Hoffnungen in Sánchez, aber man werde die Menschen nicht enttäuschen. "Keine Minute länger" dürften Rajoy und die PP regieren, sagte Arnaldo Otegi und hofft auf ein gemeinsames Votum aller baskischer und katalanischer Parteien. Es sei ein "poetischer Akt der Gerechtigkeit", wenn nun ausgerechnet Basken und Katalanen Rajoy und die PP absägen würden.
Insgeheim hoffen aber alle Parteien, dass mit einer neuen Regierung auch neue Möglichkeiten entstehen. Das gilt genauso für Verhandlungen mit den Katalanen oder über den Friedensprozess im Baskenland, wo Rajoy bisher jegliche Gespräche boykottiert hat. Nicht einmal die Tatsache, dass die baskische Untergrundorganisation ETA nun Geschichte ist, ändert daran etwas. Und sollte, wider aller Erwartungen, die PNV doch erneut die PP stützen, erhält sie jedenfalls nicht die "Stabilität", die sie so gerne anführt. Podemos wird sofort einen Misstrauensantrag nachschieben, der auf Neuwahlen abzielt, um die rechten Cs. einzubinden und mit ihnen Rajoy dann doch zu stürzen. Mit anderen Worten: Rajoy ist so oder so am Ende.