Digitale Chartastimmung

Seite 2: Rechtliches

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Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum. Was so verboten ist, dass man es bestrafen muss, regelte stets das Strafgesetzbuch, das die Grenzen der in Art. 5 GG verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit bei Beleidigung und unwahren Tatsachenbehauptungen zog. 1959 diskutierte man die Verabschiedung eines Ehrenschutzgesetzes. Damals waren die Zeit-Leute offenbar noch auf Zack und beteiligten sich an der Gründung des Deutschen Presserats, der gesetzgeberische Eingriffe in die Pressefreiheit überflüssig machte.

Für private Kommunikation schufen nicht dummbatzige Parlamentarier, sondern fähige Richter einen sachgerechten Rechtsrahmen und entwickelten das ungeschriebene, gleichwohl ausführlich beschriebene allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Dieses lässt ein breites Spektrum zu, in dem gestritten wird - allen wird man es nie recht machen können. Doch derzeit sieht kein Jurist Anlass, das ausgewogene System des Ehrenschutzes grundsätzlich zu ändern. Jeder hat daher das Recht, unzensiert seine Meinung zumindest einmal zu sagen, muss jedoch ggf. bereit sein, Konsequenzen zu tragen, wenn er daneben haut. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und war es nie.

Das ist kompliziert, aber im Grundsatz gar nicht so verkehrt. Bei aller berechtigten Kritik im Einzelfall: So ist Presserecht nach wie vor kein Volkssport, sondern ein Tummelplatz für Eliten (wie etwa die maßlosen Zeit-Prozesshanseln, die sogar Satiriker einschüchtern wollen).

Und nun versteigen sich also die von der Zeit Gesalbten zu einer Charta, in der sie mal locker Rechtssätze mit Feststellungen vermengen. In etwa so, wie man sich die pädagogisch gelenkte Meinungsbildung in der DDR vorstellen könnte. Dann, ausgerechnet unter einem "Artikel 5", äußern die Digitalcharterer ihre Privatauffassung von Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum:

Artikel 5 MEINUNGSFREIHEIT UND ÖFFENTLICHKEIT
(1) Jeder hat das Recht, in der digitalen Welt seine Meinung frei zu äußern. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.
(3) Ein pluraler öffentlicher Diskursraum ist sicherzustellen.
(4) Staatliche Stellen und die Betreiber von Informations- und Kommunikationsdiensten sind verpflichtet, für die Einhaltung von Abs. 1, 2 und 3 zu sorgen.

Bei Punkt 2 sah sich der Autor zur Überprüfung veranlasst, ob Rainer Wendt vielleicht auch schon unterschrieben hat.

Drei Fragen drängen sich auf:

  • Wer hat denn allgemein darüber zu befinden, was "Hetze", "Mobbing" oder "gefährdende Aktivitäten" sein sollen?
  • Wer hat im konkreten Fall zu überwachen und zu entscheiden, was im konkreten Fall erlaubt ist und was nicht?
  • Und wie soll dieses "verhindern" denn aussehen? Und wie soll eine Prävention in Einklang mit dem Zensurverbot gebracht werden?

Was "Hetze" ist, liegt im Auge des Betrachters: Twitterer im linksextremen Bereich nennen Kritiker gerne "Hater" und sind schneller mit Nazi-Vergleichen bei der Hand, als Godwins Gesetz erlaubt. In diesem Spektrum wird es auch als eine Art E-Sport gepflegt, Mitmenschen nachdrücklich zu provozieren, um sich bei Reaktion in der Opferrolle zu profilieren - und das Recht zu beanspruchen, mit aller Härte zurückzuschlagen. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, ihre Gegner oder vermeintlichen Gegner mit diversen -ismus-Keulen öffentlich mundtot zu machen und damit sozial zu erledigen. Genau Leute aus diesem selbstgefälligen Spektrum haben am Mittwoch die "Digitale Charta" am Lautesten gefeiert.

Doch Meinungsfreiheit ist nun einmal nur dann etwas wert, wenn man auch Meinungen zulässt, die man eben nicht teilt. Ideologen haben mit diesem Konzept häufig ein strukturelles Problem. Jedenfalls aber besteht ein Zielkonflikt mit dem unter (3) formulierten Gebot, einen pluralen öffentlichen Diskursraum sicherzustellen.

Den Kaffee auf den Monitor spuckt man jedoch, wenn man unter (4) den Ruf nach dem Staat liest. So mag es ja durchaus angehen, wenn man Admins privater Foren Handreichungen zum gesitteten Miteinander und maßvollen Blocken gibt. Doch hier wird gefordert, dass der Staat die in (2) genannten - sehr unscharf umrissenen - Taten nicht nur nachträglich sanktionieren, sondern VERHINDERN soll.

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