Digitales Marionettentheater, analoge Science-Fiction

Herbert W. Frankes "Der Kristallplanet" als Figurenspiel

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Man hat sich dran gewöhnt. Wer sich aktuelle Filme wie „Pirates of the Caribbean 3“ oder den neuen „Harry Potter“ ansieht, denkt wohl schon gar nicht mehr groß nach, was da noch herkömmliche Fotografie plus Schauspielerei und was Computergraphik ist. Oder ob man das nicht auch einfacher haben könnte. Die Technik ist da, also muss sie auch andauernd genutzt werden.

Wenn nun aber ein Pionier der Computergraphik sich erstmals einer ausgesprochen analogen Kunstform zuwendet, verdient das durchaus Aufmerksamkeit. Der Wissenschaftler, Science-Fiction-Schriftsteller und Computerkünstler Herbert W. Franke hat sich ausgerechnet das possierliche Marionettentheater Bad Tölz ausgesucht, um unter der Regie von Albert Maly-Motta sein Stück „Der Kristallplanet“ aufführen zu lassen.

Ist Science-Fiction schon nicht unbedingt das typische Genre für das Figurentheater - den meisten dürfte höchstens noch "Robby, Tobby und das Fliewatüüt" in Erinnerung sein: Die Verbindung aus Marionetten und Computergraphik ist noch etwas ungewöhnlicher.

Bild: Herbert W. Franke

In dem Stück reist ein Forschungsteam zu einem fernen Planeten, wo es fremde Lebensformen antrifft, Wesen, die ungemein höher entwickelt sind als der Mensch und zu einem harmonischen Dasein gefunden haben. Aber auch ein alter Wissenschaftler taucht auf, der dort bei einer früheren Expedition seinen Frieden gefunden hat.

Diesmal jedoch ist die Expedition überwacht von der argwöhnischen, gegenüber allen Neuerungen feindseligen Regierung der Menschen. Zwei der Wissenschaftler wollen mit einer Kristallprobe zur Erde zurückkehren, und die Regierung lässt aus Angst ihr Raumschiff sprengen. Ein Kristallregen ergießt sich über die Erde und es steht zu hoffen, dass sich dadurch auch dort mal intelligentes Leben ausbreitet.

"Der Kristallplanet" bei Telepolis zu lesen

Bei 'Der Kristallplanet' handelt es sich um eine gemächliche Nachdenkerei über Überwachung, Forschung, Selbsterforschung und die Glücksfähigkeit des Menschen. Die Umsetzung mit Marionetten bietet dazu noch eine sehr naheliegende Assoziation an: Die stets überwachten Forscher werden verkörpert von an Fäden hängenden Figuren.

Im Mikrokosmos des Figurentheaters drängen sich aber auch einige verzwickte Stilfragen auf. Wie vertragen sich etwa Darstellungsformen verschiedener Ästhetik? Wieviel Digitales verträgt herkömmliche analoge Kunst? Das Kino ist dem Fortschritt schon in die Falle getappt und zeigt heute möglichst alles, was man zeigen kann, in der irrigen Ansicht, dadurch steigere sich das Drama – 20 000 Orcs sind da vermeintlich spannender als 2000 Orcs. Das Figurentheater hingegen hat immerhin noch den Ruf, dass man darin mit nur zwei Kartoffeln eine gute Geschichte erzählen kann.

Bild: Herbert W. Franke

Aber auch Angehörige dieser traditionsreichen Kunst leben eben in der Gegenwart, und die Tölzer haben sich erlaubt, neue Wege zu beschreiten und recht fleißig zu experimentieren.

Zum Beispiel nutzten sie auf Anregung Frankes die Beschaffenheit von Kristallen, um daraus mit Hilfe von mikroskopischer Fotografie Planetenlandschaften zu simulieren. So schwebt nun eine Marionette durch eine sehr pittoreske, organische Kulisse, das eben nicht gemalt, gebastelt oder im Computer entworfen wurde. Jedes Darstellungsmittel war also recht, wobei sich die Tölzer Marionettenspieler als versierte Techniker in allen möglichen Ressorts erwiesen.

Computergraphiken werden einerseits als Bühnendekoration, andererseits quasi als Kinobild projeziert; Marionetten wurden gefilmt und in die Graphik eingearbeitet; und Franke selbst wird in der Inszenierung eingeblendet als der alte zur Erleuchtung gelangte Wissenschaftler. Ein bestens animiertes Raumschiff schwirrt daher, dann wiederum wackeln die Astronauten sehr analog durch ihre Schaltzentrale. Aus der Anlage tönen perfekte Sprecherstimmen, hinter der Bühne rumpelt der Umbau. Und wenn dann zu den digitalen Bildern der Theaterdampf daherwabert, fühlt sich der Zuschauer wie im Geruchskino. Das Tölzer Marionettentheater ist derzeit der rechte Ort, um ein wenig über ästhetischen Crossover zu grübeln.

Nächste Aufführung am 28.Juli, weitere Termine im Herbst unter www.marionetten-toelz.de