Dinosauriermaschinen und die Lust am Hacken

Seite 6: Von der Lust am Computer

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Wer Programme schreibt oder die Hardware entwirft, ist es die Lust, alle Einzelheiten richtig zu machen. Ein falsch plaziertes Symbol oder eine falsche Verbindung im Schaltkreis kann fatal sein. Eine solch komplizierte Struktur einfach nur richtig funktionieren zu lassen, erzeugt bei bestimmten Menschen ein tiefes Gefühl der Befriedigung. Ein Programm zu schreiben oder einen Chip zu entwerfen, gleicht der Arbeit an einem riesigen Puzzle, wobei man die Regeln aufregenderweise niemals ganz kennt. Wenn man an einem wirklich neuen Design arbeitet, dann ist das so, als mache man etwas, was niemand jemals zuvor versucht hat. Es ist ein neues Land, und wenn der Hack nicht funktioniert, dann muß man sich etwas ausdenken, um es richtig zu machen. Ich habe das in meiner Science-Fiction-Erzählung "The Hacker and The Ants" dargestellt:

Hacken gleicht dem Bau einer großen Kathedrale mit Zahnstochern, abgesehen davon, daß dann, wenn ein Zahnstocher nicht an seinem Platz ist, der ganze Bau verschwindet. Und dann muß man die unsichtbare Kathedrale suchen und sich überlegen, welcher Zahnstocher falsch plaziert ist. Debuggers machen das ein wenig einfacher, da ein wirklich ausgefeiltes Programm auf dem letzten Stand auch die Fehler finden kann, weswegen dies der Situation gleicht, daß man nach einem fehlenden Zahnstocher mit einer von einem Schlaganfall gelähmten Hand sucht.

Aber da ist doch die Schönheit eines dunklen Traums vom Messer eines Hackers, das gegen eine verborgene Wand stößt, die man nur selbst sehen kann, über die man sich nur als Programmierer mit den ganz neuen Werkzeugen beklagt, die man während der Arbeit entwickelt hat, den speziellen neuen Zahnstocher- und Puzzleteilen und dem Rasierapparat für Fehler - man selbst ganz alleine mit den eigenen wunderbaren Werkzeugen.

Hacker sind oft Menschen, die keine gute Beziehungen mit anderen Menschen haben. Sie genießen es, so viel Zeit mit der Interaktion mit einem Computer ohne Gefühlen verbringen zu können. Die Reaktionen des Computers sind klar und Objektiv. Anders wie beispielsweise ein Vater oder eine Mutter oder auch ein offizieller Boß teilt der Computer keine Fehlermeldung einfach nur deswegen mit, weil er die eigene Haltung oder Erscheinungsweise nicht mag. Ein Computer hört niemals auf den Bombast der großen Männer in der Universität oder auf das abschätzige Gerede der Cheerleader, er vernimmt nur die logischen Arabesken der ehrlichen Hacker.

Jeder, der einen Computer besitzt, ist notwendigerweise ein bißchen ein Hacker. Selbst wenn man lediglich ein Textverarbeitungsprogramm und ein wenig E-Mail verwendet, erhält man schnell den Eindruck, daß der Raum innerhalb des eigenen Computers ein Ort ist, an dem man gut arbeiten kann. Man ist stolz auf die erlernten Tricks, mit denen man seine Maschine richtig funktionieren läßt. Dank des eigenen Wissens sind die Dokumente gesichert, kommen die Mitteilungen und gelangen zu ihrem Bestimmungsort.

Im Unterschied zur wirklichen Welt ist die Welt des Computers sicher und kontollierbar. In ihm geschieht alles auf logische Weise. Zumindest geht man davon aus. Der Computer gilt als Schutzburg vor dem unvorhersehbaren Chaos der zwischenmenschlichen Beziehungen und der tyrannischen Irrationalität der Gesellschaft. Wenn etwas mit dem eigenen Computer nicht so richtig funktioniert, wenn man beispielsweise mühsam die Lernkurve für ein neues Programm hinaufklettert oder, noch schlimmer, eine neue Hardware oder ein neues Betriebssystem installiert, können Angst und Ärger über Gebühr wachsen. "Das sollte der Teil der Welt sein, den ich kontrollieren kann!" Aber anders als in der wirklichen Welt erweisen sich alle Probleme als lösbar, manchmal einfach dadurch, daß man andere fragt, oder manchmal, indem man sich ein neues Zubehör kauft oder ein Techniker mit seiner heilenden Hand eingreift. Die Welt der Computer ist ein Platz, an dem alles ein gutes Ende nimmt.

Attraktiv an den Computern ist auch, daß sein Bildschirm ein Fenster in jede mögliche Wirklichkeit sein kann. Besonders wenn man schreibt oder Grafikprogramme benutzt, hat man die Möglichkeit, Welten zu erkunden, die kein menschliches Auge jemals zuvor gesehen hat. Wirkliche Reisen mit dem Körper sind mühsam, und eine Reise in den Weltraum ist praktisch unmöglich. Aber mit dem Computer kann man direkt und so, wie man ist, zu neuen Ländern (frontiers) aufbrechen.

Die Unmittelbarkeit der Antworten eines modernen Computers gibt dem Benutzer das Gefühl, daß er mit etwas interagiert, das wirklich und fast lebendig ist. Der Raum hinter dem Bildschirm geht in den wirklichen Raum über, und der Benutzer betritt eine Welt, die halb wirklich und halb computererzeugt ist: das Land des Cyberspace. Wenn man nach einer langen Computersitzung nach außen geht, sieht die Welt mit ihren materiellen Objekten und ihren wahrscheinlichen Prozessen, mit den geheimnisvollen Computergrafiken und Computercodes anders aus. Manchmal erkannt man neue Aspekte der Wirklichkeit. Eines der primären Ziele von Gnarly! ist es, einige dieser flüchtigen Einsichten einzufangen und zu verstärken.

Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß Fernsehen insgesamt etwas Schlechtes ist. Es ist irgendwie traurig, vor einem flackernden Bildschirm zu sitzen, ihn anzustarren und manipuliert zu werden. Mit einem Computer umzugehen, ist interaktiver als Fernsehschauen, und das scheint positiver zu sein. Aber auch wenn das stimmt, so ähneln Computer Fernsehern und sind daher bis zu einem gewissen Grad Mächte des Bösen. Daran wurde ich gerade gestern eindrucksvoll erinnert, als mein Sohn Rudy jr. und ich in den Freizeitpark Boardwalk in Santa Cruz gingen.

Rudy ist jetzt 24 Jahre alt. Daher waren wir ganz cool und machten nur zwei Fahrten. Die erste war der Big Dipper, eine wunderbare alte Achterbahn aus Holz, die direkt an der Monterey Bay steht. Die vorbeisausende Luft war kühl und salzig, die Farben leuchteten hell und vom Sonnenlicht erfüllt und die Wägen bewegten sich durch einen langen Soundtunnel, der sich aus den Schreien, dem Geratter, der Volksfestmusik und den entfernten Wellen bildete.

Die zweite Fahrt unternahmen wir in der Virtuellen Realität. Neun Menschen mußten sich einen Campingwagen ohne Fenster auf hydraulischen Gestellen quetschen. An der Vorderseite des schlecht belüfteten Wagens befand sich eine große Leinwand, der die Ansicht einer Fahrt aus der Ich-Perspektive zeigte: einer Fahrt auf einer Achterbahn! Wenn das virtuelle Bild herunterfiel und holperte, bockten die hydraulischen Gelenke und wackelten, um zu versuchen, die kinästhetische Illusion zu erzeugen, als sei man wirklich im Cyberspace der virtuellen Fahrt. Verglichen mit der noch frischen Erinnerung an die wirkliche Achterbahn, war die VR-Fahrt ausgelutscht.

Im Vergleich mit der Wirklichkeit, werden Computer stets schlechter sein. Aber es gibt die Computer, damit wir sie benutzen, und wenn wir sie vernünftig einsetzen, dann können sie uns lehren, die Wirklichkeit besser zu genießen als jemals zuvor.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer