Diskussion über die Pandemiemaßnahmen und ihre Kritiker
- Diskussion über die Pandemiemaßnahmen und ihre Kritiker
- Wissenschaft im Dienste des Volkes?
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Es braucht nicht nur Mut zu einer Corona-Debatte, man muss sie auch führen
Die "Querdenker"-Demonstration von Leipzig hat die Kritik an den staatlichen Pandemie-Maßnahmen wieder in den Blickpunkt der Medien gerückt, wobei die Protestszene, wie gehabt, schnell in die Ecke von Rechtsextremen und Krawallmachern gerückt wird.1
Gleichzeitig begründet die Polizei ihre Zurückhaltung im Fall des Leipzigers Auflaufs damit, dass sie nicht mit Wasserwerfern gegen Alte und Kinder vorgehen könne. Am Abend desselben Tags konnte sie freilich in Leipzig mit Wasserwerfern, Polizeihunden und einem martialischen Aufgebot gegen jugendliche "Linksextreme" vorgehen, um eine brennende Barrikade zu löschen. Von Seiten der Politik, vor allem von Grünen und Linken, wird dann in der Folge mehr Gewalt gegen rechte Demonstranten gefordert. Politikern von CDU/CSU bis Linke, die sonst immer betonen, dass Gewalt kein Argument ist, ist Gewalt statt Argumente nur zu vertraut.
Peter Nowak wünscht sich jetzt in einem Beitrag auf Telepolis "Mut zum Streit über Corona" und sieht vor allem die Linke gefordert. Einen Mangel an Statements zur Pandemie kann man bei den Veröffentlichungen auf Telepolis eigentlich nicht feststellen. Aber nur selten wird - wie im Beitrag von Detlef Georgia Schulze - Bezug auf Beiträge anderer Autoren genommen. Von einem Streit kann also keine Rede sein, auch nicht von einer Diskussion, die auf die Klärung von Sachverhalten aus ist. Material für einen solchen Disput ist jedoch reichlich vorhanden, warum nicht damit beginnen?
Klärung vorab: Eine Diskussion über die Pandemiemaßnahmen und ihre Kritiker muss sich natürlich darauf verständigen, an wen sie sich wenden will. Als öffentliche Diskussion richtet sie sich an die Leser und Leserinnen von Telepolis und damit auch an (potentielle) Anhänger der "Querdenker" und nicht nur an die angesprochenen Autoren. Deren Argumente sind als Beiträge zu einer Klärung zu betrachten und daran zu messen, was sie in dieser Hinsicht leisten. Wenn es das Ziel ist, auch Sympathisanten der "Querdenker" zu erreichen, verbieten sich Charakterisierungen wie "Corona-Leugner". Denn das betreiben die Demonstranten meist nicht: Sie leugnen nicht das Virus, sondern stellen seine Gefährlichkeit in Frage.
Ebenso fällt der Titel "Covidioten" gleich ein Generalverdikt über die Adressaten und verabschiedet sich von jeder Auseinandersetzung. Auch die Fahndung nach Teilnehmern oder Drahtziehern aus dem rechtsradikalen Milieu kann man getrost dem Verfassungsschutz überlassen, denn ein solcher Nachweis dient in der Regel dazu, die Teilnehmer einer solchen Demonstration aus dem Kreis der anständigen Demokraten auszugrenzen und impliziert die Aufforderung nach Abgrenzung ohne jedes Argument.
Auch der Hinweis, dass der Corona-Protest ein Produkt der Krise sei, nimmt die Menschen nicht ernst; er spricht den Betroffenen ein eigenes Urteil ab. Wozu soll dann noch die Konfrontation mit ihrer "objektiven Funktion" (Leipziger Corona-Randale) dienen, wenn sie doch ganz durch ihre soziale Situation bestimmt sind? Einen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung hat Lorenz Borsche dagegen in seiner Einleitung zu "Vordenker der Querdenker" versucht.
Zur Pandemiebekämpfung
Bei den zahlreichen Beiträgen auf Telepolis zur Corona-Pandemie ist zudem nur schwer ein durchgehendes Thema auszumachen, werden doch sehr unterschiedliche Fragen behandelt: So geht es um die Wissenschaftlichkeit verschiedener Positionen (Borsche, Kuhbandner, Schulze, Rötzer), um die Legitimität von Maßnahmen (Thomae), um ihre Folgen (Malachowski), ihre Angemessenheit (Schappert) oder ihre Akzeptanz in der Bevölkerung (Kenius). Wobei diese Liste der Themen und Autoren keineswegs vollständig ist.
Wenn es aber um die Pandemiebekämpfung geht, dann sollte dies auch die Leitlinie der Debatte abgeben. Dabei wäre als erstes zu klären, was der Maßstab für eine gelungene Bekämpfung ist. Geht es um den Schutz der Bürger vor einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder geht es um das Funktionieren dieser Gesellschaft?
Es ist nicht immer klar erkenntlich, welchen Maßstab die Kritiker oder Befürworter der Pandemiemaßnahmen gewählt haben, wenn sie den handelnden Politikern Versagen oder Erfolg bescheinigen. Denn die beiden genannten Maßstäbe fallen nicht einfach zusammen, was die Politiker in ihren Ausführungen auch immer wieder deutlich machen: Einfach alle infektionsträchtigen Kontakte unterbrechen und sich auf die physische Versorgung der Bürger beschränken, das geht in dieser Gesellschaft gar nicht. Es müssen in ihr immer auch die Folgen für die Wirtschaft - und das heißt in erster Linie: für ihr Wachstum an Kapitalreichtum - mitbedacht werden. Das ist ja das Prinzip einer Gesellschaft, in der alles als Geschäft organisiert ist.
In ihr gilt nicht als das entscheidende Kriterium, ob die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Vielmehr sind Versorgung, Vergnügen oder lebenswichtige Dienstleistungen Mittel des Geschäfts; sie sind dazu da, um aus Geld mehr Geld zu machen. Und vom Gelingen des allgemeinen Geschäftsgangs sind im Prinzip alle Existenzen abhängig gemacht.
Der Bürger als Risikofaktor und Schutzobjekt
Weil das so ist, wird auch immer wieder von Maßnahmen, die das Fortschreiten der Pandemie eingrenzen könnten, abgesehen, so dass Kranke und Tote in Kauf genommen werden. Dies zeigt sich auch in den verschiedenen Diskussionen um die wissenschaftliche Begründung von Maßnahmen.