DocMorris und Spam-Mails in einem Topf
PR-Offensive der Pharmaindustrie - Teil 1
Seit einigen Monaten laufen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bemerkenswert reißerisch aufgemachte und gleichzeitig bemerkenswert identische Beiträge. Sie tragen Titel wie "Piraterie-Mafia", "Gefälschte Medikamente" oder "Die Pillen-Dealer.
Ihr Tenor ist jeweils, dass über "das Internet" bestellte Medikamente angeblich eine Gefahr für die Bevölkerung wären. Mit dem bemerkenswert unscharf gewählten Begriff, der auch für andere Kampagnen gerne genutzt wird, wirft man dann so unterschiedliche Phänomene wie DocMorris und Spam-Mails in einen Topf:
Medikamente sind in der Apotheke relativ teuer. Bei einer Bestellung im Internet kann der Kunde viel Geld sparen. Zum Beispiel das Schmerzgel Voltaren: In der Apotheke kostet eine Tube 12,95 Euro, im Internet 9,85 Euro. Das Erkältungsmittel Meditonsin kostet in der Apotheke 17,98 Euro, im Internet nur 12,65 Euro. Die Billigangebote sind verlockend, aber das Risiko ist groß: 10 Prozent aller Internet-Medikamente sind gefälscht.
Zu solchen Behauptungen kommt dann eine Reihe von Experten zu Wort, die fast ausnahmslos aus den Reihen der Pharmaindustrie und der Apothekenlobby stammen. Allerdings bleiben die geäußerten Vorwürfe zu den "gefälschten" Medikamenten bemerkenswert vage: "In letzter Konsequenz", so ist zu hören, könnten sie "alle erheblichen Krankheiten nach sich ziehen" und "sogar tödlich sein." Konkrete Fälle werden dabei allerdings ebenso wenig genannt wie genaue Risiken.
"In letzter Konsequenz" können jedoch auch die "Originalmedikamente" der Pharmaindustrie erhebliche Nebenwirkungen nach sich ziehen oder sogar tödlich sein. Und anders als bei den "gefälschten" Medikamenten gibt es hier auch zahlreiche konkrete Beispiele - von Contergan bis Lipobay. Im Vergleich dazu wirken die Vorwürfe gegen die "Fälscher" geradezu harmlos: Im Endeffekt weiß man nichts über deren Herstellungsprozesse, vermutet aber, dass die Substanzen "teilweise" nicht in Fabriken, sondern in "Garagen" in China und Indien hergestellt werden - und zwar mit "gebrauchtem" Laborequipment.
Weil man an konkreten Gefahren offenbar wenig vorweisen kann, setzt man auf etwas im Fernsehen bewährtes, nämlich auf Ekel, und lässt Privatfahnder der Pharmaindustrie von Spuren von Kakerlaken erzählen, die angeblich in einem Medikament gefunden wurden. Allerdings wird ebenso offen gelassen, ob diese Spuren nun tatsächlich gesundheitsgefährdend waren, wie Verunreinigungsfälle aus der Pharmaindustrie unerwähnt bleiben - obwohl es auch hier wesentlich schlimmere Fälle gab, etwa beim Blutverdünnungsmedikament Heparin.
Wenn eine in Deutschland nicht zugelassene Arznei mit 90 statt 100 Prozent Wirkstoffgehalt das Schlimmste ist, was die Autoren eines Beitrags für das ARD-Magazin Plusminus konkret finden konnten, dann scheint sich das Risiko für unversicherte und mittellose Kranke möglicherweise durchaus in einem Bereich zu halten, der - im Vergleich zu den Alternativen - vertretbar erscheint:
ARD-Exclusiv testete die Shops. Kurze Zeit nach der Bestellung landen die gefälschten Medikamente auf dem Redaktionstisch.
Ein Teil der Zuschauer (etwa jene, die sich als Selbständige keine Krankenversicherung leisten können1) dürften dieses Ergebnis anders aufgenommen haben, als von ARD Exclusiv beabsichtigt: Sie erfuhren, dass es Anbieter gibt, bei denen offenbar nicht nur Kreditkartennummern gesammelt und im Höchstfall Zuckerplacebos geliefert, sondern echte Wirkstoffe verkauft werden. Außerdem, dass einige von ihnen Garantien geben und Medikamente mehrmals verschicken, falls sie unterwegs irgendwo hängen bleiben.
Und noch eine weitere gute Nachricht hatte ARD-Exclusiv für unversicherte und mittellose Kranke: "Der Zoll selbst kann gegen die verbotenen Importe nur wenig tun: Die Pharmamafia nutzt geschickt private Kuriere und Postdienste, um die verbotene Ware an den Mann zu bringen." "Die Spur zu Onlineshops und Absendern", so die Autoren des Beitrags, "führt meist in ein Dickicht von Tarnadressen, deshalb schlagen die Ermittler der Weltzollorganisation Alarm." Ermittler der Brüsseler Weltzollorganisation WCO wohlgemerkt - nicht etwa solche der Weltgesundheitsorganisation WHO.
"Die Gewinnspannen", so das SWR-Magazin Odysso, "sind zum Teil höher als im üblichen Drogenhandel." Danach lassen sich mit "Rohstoffen im Wert von 100 Euro [...] bis zu 10.000 Euro verdienen." Dass die Gewinnspannen tatsächlich so hoch sein können, ist durchaus nicht unwahrscheinlich. Dies liegt vor allem daran, dass Pharmakonzerne in Deutschland für ihre Produkte Phantasiepreise verlangen dürfen und durch das Zulassungsrecht billigere Alternativen zu teuren Medikamenten für illegal erklären können - so geschehen beispielsweise durch den Novartis-Konzern, der ein in der Augenheilkunde verwendetes Präparat für 300 Euro Behandlungskosten pro Patient vom Mark nahm und es durch ein fast identisches für 15.000 Euro ersetzte.
"Forschung ist die beste Medizin" heißt es in einer als solchen gekennzeichneten Werbespotreihe der Pharmaindustrie. Doch ist es wirklich effizient, kostengünstig und verantwortlich, diese Forschung über als Krankenversicherungsbeiträge und Monopolpreise getarnte Subventionen von der Pharmaindustrie durchführen zu lassen? Nimmt man die Argumente aus dem Apothekengesetz ernst, dann müsste man sie auch auf die Pharmaindustrie anwenden: Und weil Einzelpersonen angeblich nicht das Kapital für aufwändige Forschung aufbringen, müsste man diese dann wieder in öffentliche Hände legen - was ihr durchaus zugute kommen könnte, wenn man die ausgesprochen mageren Ergebnisse der letzten Jahre mit solchen aus Zeiten vergleicht, in denen der medizinische Fortschritt in weitaus stärkerem Ausmaß staatlichen Instituten und Universitäten überlassen war und Patente weitaus weniger großzügig verteilt wurden.
Teil 2: Mit den Opfern der Gesundheitsreformen wird für eine noch lückenlosere Durchsetzung von Monopolrechten getrommelt