Persönlichkeitsrechte verletzen Dokudrama
Wie der Hersteller von Contergan die Ausstrahlung eines Fernseh-Mehrteilers verhindert
Guido Knopp macht`s möglich: Historische Stoffe werden durch die Vermischung von geschichtlicher Dokumentation mit Themen des Boulevards á la "wie viele Eier hatte Hitler" zu echten Quotenreißern. Bislang wurde mit dem Genre der Doku-Fiction und der damit verbundenen schmonzettenhaften Trivialisierung des Inhalts vor allem neoliberale Zukunftsängste beschworen ("Aufstand der Alten"), auf die unaussprechlichen und einzigartigen Leiden des von Adolf Hitler schmählich in den Untergang hineingerissenen deutschen Volkes als Opfer am Ende des Zweiten Weltkrieges ("Dresden", "Die Flucht") aufmerksam gemacht und das deutsche Weltkriegs-Trauma von der Nation im Rosemarie Pilcher-Format neu durchlebt. Steht aber zur Abwechslung einmal ein Mehrteiler mit einem interessanten Inhalt wie "Eine einzige Tablette" (über den größten Arzneimittel-Skandal der Bundesrepublik) auf dem Programm, dann wird die Ausstrahlung wegen der vermeintlichen Verletzung von Persönlichkeitsrechten verhindert.
Die 5 Millionen Euro-Produktion des grimmepreisgekrönten Regisseurs Adolf Winkelmann sollte das Schicksal der Familie des fiktiven Rechtsanwalts Paul Wegener zum Thema haben, dessen Frau nach der Einnahme des Contergan-Präperats eine schwer behinderte Tochter zur Welt bringt und der nach verschiedenen Diffamierungskampagnen und langwierigen Prozessen für die Opfer in einer außergerichtlichen Einigung eine Entschädigung in Form einer Firmenstiftung in Höhe von 100 Millionen Mark erstreitet.
Da die im Film dargestellte Pharma-Firma “Chemie Grünenthal“ nicht nur den Namen des echten Contergan-Herstellers Grünenthal GmbH trägt und die Machenschaften des Chemie-Unternehmens nicht unbedingt sympathieheischend dargestellt werden, war die Klage wegen Verletzung der "Unternehmenspersönlichkeitsrechte" von deren Seite gegen den Auftraggeber WDR und die Produktionsfirma Zeitsprung wenig überraschend.
Zu mehr Verwunderung gibt Anlass, dass der ehemalige Kontrahent des Contergan-Herstellers, der Anwalt der Conterganopfer, Vater eines durch das Präparat geschädigten Sohnes und Vorbild für den Helden des Dokudramas, Karl-Herrmann Schulte-Hillen, durch die Vermischung von Tatsachen und Fiktion (dem fiktiven Anwalt Wegener wurden z. B. schwerwiegende Eheprobleme hinzugedichtet) in dem Fernsehspiel ebenfalls seine Persönlichkeitsrechte beschädigt sieht und an der Seite des Aachener Pharmaherstellers Klage einreichte.
Noch erstaunlicher ist allerdings, dass die Kläger vor dem Landgericht Hamburg in erster Instanz recht bekamen. Der zuständige Richter Andreas Buske, der seit seinem Urteil über die Berichterstattung der Haarfarbe Gerhard Schröders für seine unorthodoxen Entscheidungen bekannt ist, urteilte aufgrund des Drehbuches und nicht der Rohfassung des Films und sprach diesem einen umfassenden dokumentarischen Charakter zu, obgleich weder Interviews noch Archivaufnahmen zu sehen sind.
Fatale Konsequenzen
Ein Präzedenzfall, der für Fernsehdokumentationen schwerwiegende Folgen haben könnte. Denn die fiktive Darstellung realer historischer Ereignisse könnte fatale juristische Konsequenzen nach sich ziehen, sobald ein gespielter Charakter Ähnlichkeiten mit einem wahrhaftigen Protagonisten aufweist, seine Darstellung aber von den realen Begebnissen abweicht.
Somit wäre auch über Konstruktion des "Unternehmenspersönlichkeitsrechts" eine juristische Grundlage für Unternehmen geschaffen, die in einem Streifen ihr Image bedroht sehen, um gegen dessen Produzenten gerichtlich vorzugehen. Das ist ungefähr so, als würden BASF und Bayer die Macher der Serie “Holocaust“ verklagen, weil Reinhard Heydrich in der Szene der Besprechung der Reichskristallnacht Abzeichen trägt, die es erst ab 1942 gegeben hat.
In zweiter Instanz wurde das Urteil am Oberlandsgericht Hamburg von der Richterin Dr. Raben jedoch wieder aufgehoben. Diese hatte ihre Entscheidungsfindung von der Endfassung des Films abhängig gemacht und sich an die Ermessungsrichtlinie des Bundesgerichtshofs gehalten, der als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht lediglich „gröbliche Entstellungen“ wertet.
Gegen dieses Urteil hat nun wiederum das Pharmaunternehmen in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerden eingereicht, weswegen die für Persönlichkeitsverletzungen zuständige Pressekammer des Landgerichts Hamburg erst nach der Urteilsverkündung am 21. September ihre Entscheidung treffen wird. Fällt diese entsprechend aus, soll der Film am 7. und 8. November ausgestrahlt werden.
An Beispielen für Klagen gegen Persönlichkeitsverletzungen mangelt es derzeit nicht. So wurde Maxim Billers Machwerk "Esra" verboten und die Aufführung des Kannibalen-Streifen "Rohtenburg" in Deutschland verhindert. Auch durfte über Details von Günter Jauchs Hochzeit nicht berichtet werden. Denn im Zuge des sogenannten Caroline-Urteils, wurde die Berichterstattung über Prominente erschwert, worauf die Verteidigung von Persönlichkeitsrechten Prominenter zu einem lukrativen Geschäft einer mittlerweile spezialisierten Gruppe von Medienanwälten geworden ist. Inzwischen muss bei Printmedien mit einer durchschnittlichen Belastung des Redaktionsbudgets durch Gerichtsverfahren von rund einem Zehntel gerechnet werden.