Dracula und die Faschisten: Mit Christopher Lee im Lande des spanischen Diktators

Seite 4: Dienerin im Leopardenmantel

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Bedingt durch die unorthodoxen Produktionsumstände kann Portabella nur zeigen, was am Set von Jess Franco zu sehen war. Klaus Kinski als Renfield kommt in Cuadecuc nicht vor, weil seine Szenen in der Gummizelle später gedreht wurden, in einem Filmatelier in Pisa. Dracula und Van Helsing sieht man nie in derselben Einstellung. Herbert Lom scheint erst in Barcelona eingetroffen zu sein, als Christopher Lee schon wieder weg war. Bei Franco leidet die große Konfrontation der beiden darunter, dass die getrennt voneinander entstandenen Einstellungen mit Dracula und Van Helsing schlampig montiert sind und kein Ganzes ergeben. Es wirkt, als agierten die Widersacher in verschiedenen Filmen.

Portabella hat damit kein Problem, weil er ohnehin die Risse in der Illusion zeigen will. In Cuadecuc präpariert erst der Requisiteur den Fußboden, ehe Van Helsing den Vampir mit einem brennenden Kreuz auf dem Teppich in die Flucht schlagen kann. Die Schauspieler werden ebenfalls zu Komplizen beim Auseinandernehmen der Illusionsmaschine. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Van Helsing und Dracula zwinkert uns Maria Rohm (Mina) kurz zu. Damit lässt sie die Luft raus aus der aufgeblasenen Szene, ehe es weitergeht wie gehabt und Van Helsing die schwache Frau in seine starken Arme nimmt.

Dienerin im Leopardenmantel (26 Bilder)

Cuadecuc

Cuadecuc will nicht mit El conde Drácula verglichen werden. Ein Vergleich ist trotzdem aufschlussreich. Den dümmsten Satz der Franco-Version spricht Herbert Lom. Mina serviert Van Helsing den Kaffee. Sie werde ihm fehlen, sagt der gütige Doktor, denn: "Sie sind nicht nur Pflegerin, sondern auch Haushälterin geworden" (oder, noch frauenfeindlicher in der englischen Fassung: Dienerin). Auch Portabella zeigt den Serviervorgang, dies aber in zwei Teilen. Mit dem Tablett auf dem Arm geht Mina zur Schiebetür vor Van Helsings Büro. Auf der anderen Seite der Tür trägt sie wie durch Zauberei (Filmschnitt) einen Leopardenmantel.

Mina Murray ist jetzt nicht mehr Mina Murray, die Verlobte Jonathan Harkers, sondern der Filmstar Maria Rohm und die Gattin des Produzenten Harry Alan Towers, die Herbert Lom das Kaffeeservice für die nächste Szene bringt. Alle mussten mithelfen bei dieser Produktion, die nur so tat, als sei viel Geld vorhanden (solange Lee in Barcelona war). Portabella treibt sein Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit und löst zugleich die üblichen Hierarchien auf. Das folgende Gespräch der Vampirjäger beobachtet Rohm als Randfigur. So weit, so traditionell. Wenn die Männer Kriegsrat halten sind die Frauen nur Staffage.

Andererseits bleibt Rohm mit irritierender Gelassenheit neben Lom/Van Helsing stehen, statt sich nach ihrer Betätigung als Requisiteurin (oder war das Hereinbringen des Tabletts eine Probe für die nächste Szene?) diskret zurückzuziehen. Die Erklärung ist denkbar einfach. Rohm hat sich außerhalb des von Francos Kameramann Manuel Merino ausgewählten Bildausschnitts postiert, wird also in Nachts, wenn Dracula erwacht nicht zu sehen sein. In Cuadecuc steht sie mit im Bild. Die Frau im Pelzmantel bringt Unordnung in die geregelten Abläufe der Vampirgeschichte. Mysteriös bleibt die Klappe mit dem Filmtitel "El Proceso". Ob die noch von Orson Welles ist, Francos Idol (und Regisseur von Der Prozess)?

Film als Geisterbeschwörung

Auch Vampire sind bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Dracula hat kein Spiegelbild und deshalb keine Spiegel in seinem Schloss. Für solchen Vampirologenkram hatte Jess Franco keinen Sinn. Bei seinem Dracula hängt ein Spiegel an der Wand. Harker erschrickt, weil er sich nur selber darin sieht und nicht den Grafen direkt neben ihm. Das vermittelt uns - ein wenig aufdringlich - die Botschaft, dass der Mensch sein eigenes Monster ist und Dracula die Projektion unserer Wünsche und Ängste. Portabella übernimmt das, gibt aber ein Klopfgeräusch dazu und der Sache eine neue Wendung.

Bei ihm entdeckt man etwas später das Filmteam im Spiegel, wie Schemen aus einer Geisterwelt. Ob von da das Klopfen kam, aus der Welt hinter dem Spiegel? Durch die Montage denkt man, dass sich Harker/Williams alias Löcherer nicht wegen des Fehlens von Draculas Spiegelbild gruselt (= wegen sich selbst, weil nur er zu sehen ist), sondern wegen dieser gespenstischen Wesen im Spiegel. Der Gegenschuss entlarvt dann aber, dass Harker tatsächlich über Merino erschrickt, der mit seiner Kamera in den Kulissen lauert und ihn filmt, damit er, Harker/Löcherer, als Protagonist in einem Horrorfilm, auf der Kinoleinwand erscheinen kann. Wo ist da noch die Grenze zwischen Fiktion/Geisterwelt und Wirklichkeit?

Film als Geisterbeschwörung (15 Bilder)

Cuadecuc

Seit Bram Stoker ist der Vampir das Wesen mit der geschärften, weil übersinnlichen Wahrnehmung - eines, das alles sieht und sogar im Hinterkopf Augen zu haben scheint. Das macht ihn zum Repräsentanten des Überwachungs- und Unterdrückungsstaates. In Cuadecuc ist das Auge des Vampirs das Objektiv der Kamera. Portabella verdoppelt die Beobachtung. Er und sein Kameramann Manel Esteban drehen parallel zu Franco und Merino, und sie lassen die Kamera auch in den Drehpausen laufen. Die Scherze der Akteure im Angesicht des Objektivs können den Eindruck nicht verwischen, dass es keinen Rückzugsraum mehr gibt, in dem man ungesehen ist.

Der handelsübliche, durchkonfektionierte Horrorfilm erzählt eine Geschichte mit Geistern und Dämonen. Je nach Ausführung ist das mal gruselig und mal eher lächerlich. Portabella gelingt es, die fundamentale Unheimlichkeit des Mediums an sich einzufangen, die unseren Vorfahren in den Anfangsjahren der Kinematographie Angst einjagte und dann zunehmend verdrängt wurde, weil der Film als Industrieprodukt unterhalten soll und nicht verstören. Mit Cuadecuc ist das Medium (schon der Begriff evoziert die Séance) wieder da, wo es seinen Ursprung hat: in einer Zwischenwelt an der Grenze zwischen Sein und Schein, zwischen Tod und Leben, zwischen Gestern und Heute.

Nur bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise erscheint es paradox, dass das keine nostalgischen oder esoterischen Bedürfnisse befriedigt, sondern dem Erfassen der Realität im Spanien des Caudillo dient. Er und seine Kollegen von der Barcelona-Schule, sagt Portabella in einem Interview, hätten die alles übergreifende Notwendigkeit gespürt, "in einer feindseligen, mittelmäßigen, grauen und repressiven, in der Hand der reaktionären Kräfte der Diktatur befindlichen Umgebung zu intervenieren". Das habe sie angetrieben und den entschiedenen Willen in ihnen genährt, einen "neuen, kritischen Blick auf die Wirklichkeit zu werfen".

Um zu diesem neuen Blick zu kommen aktualisierte Portabella einen alten, der bei ihm zum Angriff auf eine Realität wird, die er bekämpfen wollte, die des repressiven Franco-Staates. Inspirationsquellen waren zwei Meisterwerke des europäischen Vampirfilms, Murnaus Nosferatu und Dreyers Vampyr. Nachdem er von einem Labor 16mm-Film mit abgelaufenem Verfallsdatum erhalten hatte experimentierte Portabella mit verschiedenen Verfahren, um eine grobkörnige, extrem kontrastreiche und der Farbe beraubte Bilderwelt zu erschaffen, die einen an restaurierungsbedürftige Kopien alter Stummfilme erinnert und doch, ein ästhetisches Konzept verfolgend, sehr kunstreich gestaltet ist.

Das ist nie die l’art pour l’art, die man der Avantgarde gern unterstellt. Die ästhetische Verfremdung hat einen Zweck, ist Teil eines politischen Projekts. Das kunstvoll erzeugte Schwarzweiß lädt uns dazu ein, genauer hinzuschauen, Einstellungen, Szenen und Handlungselemente, die wir so oder so ähnlich aus Dutzenden von Vampirfilmen kennen, neu zu sehen, sonst verborgene Zusammenhänge zu entdecken und das Gezeigte darauf zu überprüfen, wie es mit der Wirklichkeit korrespondiert. Avantgarde hin oder her: Das Horrorgenre war immer subversiv, weil es sich den tabuisierten Schattenseiten der Gesellschaft widmet. Unheimlich ist Cuadecuc sowieso, mit Politik oder ohne.

Weil es sich da um mentale, für staatliche Kontrollorgane schwer greifbare Prozesse handelt und nie direkt gesagt wird, dass der Vampir ein (spanischer) Diktator ist kann man Cuadecuc auch als Vorschlag zum Unterlaufen der Zensur verstehen. Auf sprachliche Vermittlung wird ohnehin komplett verzichtet. Portabella brachte keinen Tontechniker mit und kein Mikrophon. Es gibt weder hörbare Dialoge noch erläuternde Zwischentitel. Trotzdem würde ich behaupten, dass der Großteil des Publikums den Ereignissen problemlos folgen kann, weil das eine so bekannte Geschichte ist.

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