Dracula und die Faschisten: Mit Christopher Lee im Lande des spanischen Diktators
Seite 3: Ich will ihn tot
Portabella etablierte sich nach Sitges als einer der wichtigsten Vertreter der Barcelona-Schule, dies allerdings im Untergrund. Er und seine Avantgarde-Freunde hatten nicht die Absicht, Genrefilme zu drehen, und doch war das europäische Genrekino ihr Verbündeter. Durch die Finanzspritze des Regimes war Geld in Umlauf. Das lockte mitunter recht dubiose Produzenten an, die internationale Co-Produktionen auf die Beine stellten und in Spanien Filme drehen ließen, die im Wertekanon des Bildungsbürgertums ganz weit unten rangierten: Spaghetti- bzw. Paella-Western, Gialli, Horrorfilme.
Durch die gestiegene Produktion kamen mehr von solchen Filmen in die spanischen Kinos. Wenn Zuschauer Geld für Sex und Gewalt auf der Leinwand ausgeben ist der Verdacht nie fern, dass da niedrige Triebe befriedigt werden. Als der französische Kritiker Marcel Oms nach Francos Tod eine erste Bilanz zog nannte er einen anderen Grund für die Popularität dieser Filme in Spanien. Oms war überzeugt, dass sich durch den blutsaugenden Vampir oder den einsamen Cowboy für ein zeitgenössisches spanisches Publikum automatisch eine politische, anti-franquistische Deutungsmöglichkeit eröffnete, weil Graf Dracula immer ein Hauch von Repression umweht, den Pistolero hingegen von Rebellion.
Ich will ihn tot (9 Bilder)
Portabella bringt in Umbracle beides zusammen. Christopher Lee fährt vor einem Kino eine Rolltreppe hoch. Im Kino läuft ein Italo-Western mit Craig Hill und Lea Massari. Der Held (Django heißt er nur in der deutschen Synchronfassung) begibt sich nach der Ermordung seiner Schwester auf einen Rachefeldzug. Indem er die Schuldigen zur Strecke bringt leistet er, eher nebenbei, einen Beitrag zur Beendigung des (amerikanischen) Bürgerkriegs, den Waffenhändler in die Länge ziehen wollen. Titel des Films: Ich will ihn tot. Wer da wohl gemeint sein könnte, in Barcelona zu Zeiten der Franco-Diktatur?
Eine Inspirationsquelle für die Barcelona-Schule war die Nouvelle Vague, und da besonders Jean-Luc Godard, der das Erzählkino in seine Einzelteile zerlegte und neu zusammensetzte. Man merkt das schon am gemeinsamen Hang zum Anzitieren anderer Filme. Die Funktion des Zitats ist aber nicht dieselbe. Bei der Nouvelle Vague sind Hinweise auf Fritz Lang, Alfred Hitchcock und Howard Hawks Liebeserklärungen an diese Regisseure und ihr Werk. Wenn Christopher Lee an einem Ich will ihn tot-Plakat vorbeigeht soll uns das nicht signalisieren, dass Portabella ein Fan des Regisseurs Paolo Bianchini ist.
Die Botschaft ist eine andere. Das Genrekino mit seinen leicht wiedererkennbaren Bilderwelten und Handlungsabläufen war wie geschaffen für regimekritische, notgedrungen mit Anspielungen und Assoziationen arbeitende Filmemacher. Die Bedeutung steckt in der Variation vertrauter Elemente und deren Übertragbarkeit auf aktuelle Zustände, was für Zensoren schwer fassbar ist. Sehr gewinnbringend kann man dazu Vent d’est (1969) sehen, Godards Dekonstruktion des von den ’68ern verehrten Italo-Westerns mit Gian Maria Volonté (der Chef der Banditen in Töte Amigo, Damiano Damianis Western über Revolution und Gewaltherrschaft) und Daniel Cohn-Bendit.
Wurmfortsatz
Auf die Frage, wie man Filme außerhalb der herkömmlichen Strukturen finanzieren konnte, hatte die Avantgarde lange vor der Barcelona-Schule eine Antwort gegeben: Man sparte Kosten, indem man sich bereits vorhandenes Material aneignete. Am bekanntesten ist Rose Hobart (1936), ein Collagefilm von Joseph Cornell, der eine Kopie des Südseeabenteuers East of Borneo in Stücke schnitt, den Ton entfernte und eingefärbte Teile zu einer Hymne auf die Hauptdarstellerin montierte. Portabella machte die Aneignungstechnik nicht einfach nach, er hob sie auf ein neues Level.
Die Gelegenheit dazu ergab sich, als er von einem gemeinsamen Freund erfuhr, dass Jesús "Jess" Franco (mit dem Diktator nicht verwandt) plante, in Barcelona einen Dracula-Film zu drehen. Der Freund stellte den Kontakt her und Portabella erzählte Franco von seinem Plan: Er wollte die Dreharbeiten zu El conde Drácula mit einem eigenen Kamerateam begleiten und selbst einen Film machen, der schließlich den Titel Cuadecuc Vampir erhalten sollte. Cuadecuc ist, Portabella zufolge, das katalanische Wort für "Schwanz des Wurmes" und es bezeichnet auch das letzte, nicht belichtete Stück auf einer Filmrolle. Sagen wir also Wurmfortsatz dazu.
Das passt gut, weil Portabella einen Stachel ins Fleisch der Diktatur treiben wollte. Der Wurmfortsatz des Blinddarms, der nur auf sich aufmerksam macht, wenn er entzündet ist und dann operativ entfernt wird, galt lange Zeit als ein durch die Evolution überflüssig gewordenes Rudiment. Neuere Forschungen legen nahe, dass er doch eine Funktion hat. Offenbar dient er nützlichen Darmbakterien als Zufluchtsort und hilft bei der Stärkung des Immunsystems. Leute mit "Blinddarm" leiden seltener unter Durchfallerkrankungen als die ohne. Der Wurmfortsatz als Mittel der Immunisierung gegen Diktatoren und Antidemokraten - das ist doch eigentlich ein schöner Gedanke.
Wurmfortsatz (20 Bilder)
Cuadecuc wird üblicherweise als "avantgardistisches Making of" charakterisiert. Das stimmt so nicht. Man sieht zwar, was sonst verborgen bleibt: Jess Franco gibt den Darstellerinnen Regieanweisungen und ist natürlich mit seiner Filmcrew dabei, wenn die Schauspieler agieren; Harker flieht durch eine Kulissenwand aus Schloss Dracula; Soledad Miranda raucht noch eine letzte Zigarette, bis der Vampir kommt. Für Portabella gehört das aber mit zur Geschichte. Die Trennung zwischen dem Illusionskino und dem dafür erforderlichen Apparat, an die wir uns gewöhnt haben, weil die Filmindustrie den Herstellungsprozess gern für sich behält, akzeptiert er nicht (die von Produktionsfirmen georderten Making ofs unserer Tage sind Werbemaßnahmen und bieten auch nur Illusionen).
Portabella wollte nicht das Entstehen eines Filmes dokumentieren, sondern seine eigene Version eines Vampirfilms drehen, mit einem Star und allem Drum und Dran, dies aber so, dass er nicht selbst dafür bezahlen musste, denn dazu fehlte ihm das Geld. Damit schuf er ein Stück Underground-Kino, obwohl er sich an gewisse Regeln hielt. Den zuständigen Stellen legte er weder ein Drehbuch (wie auch?) noch den fertigen Film zur Genehmigung vor. Trotzdem bat er höflich um Erlaubnis, nur eben nicht bei den Zensoren. Dabei kam ihm vermutlich zugute, dass er mit seiner Anfrage auf zwei Herren stieß, die einen verwandten Geist in ihm erkannten.
Den Jonathan Harker in Francos Nachts, wenn Dracula erwacht (deutscher Verleihtitel) spielt Fred Williams, der mit bürgerlichem Namen Friedrich Wilhelm Löcherer heißt. Im Audiokommentar der Kinowelt-DVD erzählt er, dass er sich von den acht Filmen, die er mit Jess Franco drehte, nur an drei oder vier erinnern könne. Der Rest seien "Schnipseleien" gewesen. Wenn Franco einen Film machte drehte er zwischendurch gern mal Material, das danach in ganz anderen Filmen auftauchte, ohne dass er Darsteller und Geldgeber vorab informiert oder gar ihr Einverständnis eingeholt hätte. Das waren die "Schnipseleien".
Francos Produzent, der umtriebige Harry Alan Towers, hatte eine Vorliebe für Stoffe mit abgelaufenem Urheberrecht und war sehr viel unterwegs, immer auf der Flucht vor Gläubigern und manchmal auch vor der Polizei, die unter anderem wegen des Verdachts gegen ihn ermittelte, einen Prostitutionsring bei den Vereinten Nationen in New York zu betreiben. Fred Williams erinnert sich, dass Towers ab und an am Drehort erschien und sich meistens hinter einer Säule versteckte, um lästigen Fragen nach nicht gezahlten Gagen auszuweichen. Schade, dass ihn Portabella dort nicht gefilmt hat.
Franco und Towers war Portabellas Plan sympathisch, darum ließen sie ihn machen. Francos Angebot, über den Dracula-Stoff und mögliche Ansätze für eine Verfilmung zu reden, lehnte Portabella dankend ab. Das hätte die Eigenständigkeit seines Projekts gefährdet. Man könnte sagen, dass er Francos El conde Drácula vampiristisch aussaugte, doch das trifft es so wenig wie die manchmal vorgetragene Theorie, Portabella habe Cuadecuc gemacht, um Franco vorzuführen und zu zeigen, was aus Sicht eines Künstlers von Filmen wie den seinen zu halten sei, nämlich gar nichts.
Cuadecuc ist einer von zwei parallel entstandenen Vampirfilmen, die dadurch verbunden sind, dass sie zur selben Zeit und am selben Ort gedreht wurden. Jeder kann für sich selbst entscheiden, welcher von beiden der bessere ist. Ich würde ohne zu zögern Cuadecuc nehmen - nicht weil ein Avantgardefilm Kunst ist und Jess Franco die Ikone des Trashkinos, sondern weil Portabella den viel unheimlicheren Film gemacht hat und Franco - von einigen atmosphärisch sehr gelungenen Szenen einmal abgesehen - offenbar nicht bei sich selbst war, als er El conde Drácula drehte.
Durch das für seine Verhältnisse stattliche Budget war Franco kommerziellen Zwängen unterworfen, die er nicht gewohnt war. Andererseits war nur ausreichend Geld für die Szenen mit Christopher Lee vorhanden, was der Rest des Films nicht verbergen kann. Towers hatte Lee mit dem Versprechen nach Barcelona gelockt, die erste werkgetreue Adaption von Bram Stokers Dracula-Roman zu produzieren. Daraus wurde nur bedingt etwas, doch Franco musste sich an bestimmte Vorgaben halten, was ebenfalls nicht sein Ding war. Seine eigene, ihm gemäße Version des Stoffes verfilmte er erst im Jahr darauf, mit Soledad Miranda als lesbischer Gräfin in Vampyros Lesbos.
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