Drei Halleluja für die Nato und für ein Weiter so
Das "Triell" der Kanzlerkandidat:innen versprach mehr, als es zu halten fähig war. Dennoch gab es interessante Einblicke. Und immerhin patzte Laschet nicht
Wer von dem Dreier-Gespräch zwischen Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD), das RTL und ntv an diesem Sonntag ausstrahlten, etwas Neues oder gar Spannung erwartet hatte, wurde sicher enttäuscht. Es gab allerdings auch keinen neuen Laschet-Patzer und keine zusätzliche Baerbock-Blamage.
Diese beiden sorgten eher für ein paar Farbtupfer: Laschet führte sich ein paar Mal wie ein kämpferisches Rumpelstilzchen auf. Und Baerbock übte sich, vor allem in einem hochnotpeinlichen Schlusswort, als Staatsfrau.
Sie trat als einzige vor ihr Pult und hielt eine gestanzte Ein-Minuten-Rede wie aus einem Böll-Stiftungs-"Lehrbuch für Berufspolitiker:innen". Scholz wiederum blieb sich 120 Minuten lang treu: Schlafwagen eben.
Dennoch bot das Triell interessante Einblicke. Auch hinsichtlich des Schongang-Umgangs der Medien mit den Dreien.
Beispiel Afghanistan, Rüstung und Bundeswehr. Alle drei waren sich in ihrer Kritik an dem "überstürzten Abzug aus Afghanistan" einig. Am schärften formulierte das ausgerechnet Armin Laschet. Das sei "ein Desaster für den Westen und auch für die Bundesregierung" gewesen. Klar, er hat ja seinen Amtssitz in Düsseldorf und damit rein gar nichts mit dem Kanzleramt und der Bundesregierung zu tun.
Etwas Gerangel gab es bei der Frage, ob man nicht bereits im März oder im Juni 2021 den entsprechenden Grünen-Anträgen im Bundestag hätte zustimmen und mit dem Herausholen der "Ortskräfte" hätte beginnen sollen. Dass es nochmals deutlich konkretere Anträge der Linksfraktion gab, war natürlich kein Thema.
Scholz betonte, das Ja von SPD-Kanzler Gerhard Schröder zur "bedingungslosen Solidarität" mit den USA und dem Beschluss zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Jahr 2001 seien richtig gewesen.
Baerbock signalisierte hier mit ihrem Schweigen Zustimmung. Grüne Kontinuität und Regierungsfähigkeit damals (1999-2005) und nach dem 26. September 2021 eben.
Erinnert sei an die entscheidende Abstimmung im Bundestag am 22. Dezember 2001, als es keine einzige grüne Nein-Stimme zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan gab; selbst Christian Ströbele stimmte der Entsendung deutscher Truppen an den Hindukusch zu.
Gewissermaßen waren also von den mehr als 7.000 Tagen westlicher militärischer Präsenz in Afghanistan nur die letzten sieben Tage oder eben lediglich 0,1 Prozent ein "Desaster". Die übrigen 99,9 Prozent Bundeswehreinsatz waren jedoch sinnvoll und gut.
Was im Klartext heißt: Das Trio ist sich einig, dass es ein vergleichbar kräftiges Ja zur Nato, eine vergleichbar breite Kriegskoalition und vergleichbare Bundeswehr-Auslandseinsätze auch in Zukunft geben wird.
Siehe das neue Bundeswehrmandat in Mali.
Siehe das neue EU-Mandat in Mozambique.
Siehe Laschet gestern, der ohne Widerspruch von Scholz und Baerbock ausführte, künftig müssten die Bundeswehr und die EU in der Lage sein, "allein und ohne die USA einen Flughafen wie den in Kabul zu betreiben".
Gemeint: einen Flughafen in einem fremden Land militärisch zu besetzen und für eigene Interessen zu nutzen.
Entsprechend gab es beim Thema Rüstung und Bundeswehr faktisch einen olivgrünen Einheitsbrei. Zwar versuchte Laschet in einem seiner Anfälle von Offensive, Baerbock und Scholz als Aufrüstungsverweigerer bloßzustellen, indem er deren Zustimmung zum Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben, infrage stellte.
Doch Baerbock parierte den Angriff mit mathematischem Elementarwissen und argumentierte, bei Anwendung dieser Formel stiege im Fall eines BIP-Rückgangs (wie 2020) dann ja künstlich der Anteil der Rüstung, was jedoch Falsches suggeriere.
Was im Umkehrschluss heißt: Aufrüsten auch in Krisen. Baerbock nannte dann ein paar Rüstungsgüter, die für die Bundeswehr elementar seien, unter anderem "Flugzeuge, die auch fliegen".
Scholz warf sich indes in die Brust, dass der "Aufwuchs" bei den Rüstungsausgaben in den Jahren seiner Amtszeit als Finanzminister so groß wie "nie zuvor" in der Republik gewesen sei. Wo er recht hat, hat er recht.
Und die Moderatorin und der Moderator? Von ihnen gab es keinen Einwand etwa der Art: "Wie erklären Sie sich das, dass mehr als zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Auslandseinsätzen der Bundeswehr kritisch gegenüber stehen, aber mehr als vier Fünftel im Bundestag und Sie alle drei solche Einsätze auch in Zukunft befürworten?"
Die Dreieinigkeit im Militarisierungskurs wurde von der Moderation geradezu heraufbeschworen. Was dann beim letzten Debattenthema besonders deutlich wurde. Dazu weiter unten mehr.
Keine Rede von Schiene und Bahn
Klima und Verkehr. Ein größerer Teil der Debatte war diesem Thema gewidmet. Doch auch hier gab es kaum Differenzen. Für alle drei ist der Kampf gegen das, was in der Diskussion als "Klimaerwärmung" bezeichnet wurde, zentral.
Selbst Baerbock hielt sich zurück und fand kein Wort über die tatsächlich drohende Klimakatastrophe. Gut, als Scholz mehrmals die Jahre 2040 und 2045 als Fixpunkte für "Klimaneutralität" nannte und dann noch schwadronierte, in Deutschland habe es mehr als 250 Jahre Industriegeschichte gegeben, da sei ein Schwenk binnen zwei Jahrzehnten bereits eine Großtat, mahnte Baerbock dezent die Notwendigkeit an, deutlich früher handeln zu müssen… Um dann konkret ein "Ende von (Neuzulassungen von) Verbrenner ab dem Jahr 2030" zu fordern.
Alle drei fanden "emissionsfreie Autos" als die entscheidende Großtat. Scholz freut sich, dass das Tesla-Werk ja in Brandenburg, wo er kandidiert, gebaut wird. Kein Wort in der Runde dazu, dass auch Elektroauto in massivem Maß für Klimagase verantwortlich sind.
Scholz versuchte bei diesem Thema mit dem Hinweis zu punkten, dass die CDU/CSU bis vor kurzem behauptet hätten, das bisherige Stromangebot reiche aus - und Wirtschaftsminister Peter Altmaier erst vor wenigen Wochen eingestanden habe, dass der Strombedarf - unter anderem wegen "Elektromobilität" - um mehr als 25 Prozent gesteigert werden müsse.
Erneut waren sich alle einig: Klar, wir benötigen "mehr Strom". Nicht ein einziges Wort - auch nicht ein solches seitens der Moderation - fiel, wonach Klimaschutz doch vor allem bedeuten muss, Energie zu reduzieren. Und dass das auch konkret machbar ist. Fußgängerverkehr. Fahrradverehr. Öffentlicher Verkehr. Verkehrsvermeidung… All das waren keine Themen.
Allerdings gab es bei diesem Thema seitens der Moderation die konkrete Frage, ob man denn "innerdeutsche Flüge verbieten" wolle. Alle drei verneinen dies. Auf Nachfrage: "Also weiter Fliegen z.B. auf Strecke Hamburg -Nürnberg" - auch hier keine konkrete Aussage oder gar eine Absage. Auf die Frage, ob "Mallorca-Flüge" eingeschränkt werden sollten, antworten alle drei, das sei allein Sache der Menschen, "eine Spaßfrage".
Die Worte "Schiene" und "Bahn" tauchten in der Debatte erst gar nicht auf - geschweige denn Ideen wie Nulltarif mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ja, selbst das Reizthema Tempolimit wurde nicht angesprochen - obgleich bei diesem Teil der Triell-Debatte fast penetrant ein Bild an die Wand projiziert wurde mit einem Autobahnabschnitt und einem Verkehrszeichen "Maximalgeschwindigkeit 130".
Interessant wäre ja auch ein Hinweis seitens der Moderation gewesen, wonach laut Erhebungen der ökologische Fußabdruck von Grünen-Wählern deutlich größer ist als derjenige aller anderen Wählerinnen und Wählern.
Da passte es dann, dass im Werbeblock die Autohersteller BMW und Mazda mit PS-Protz-Modellen und EnBW mit E-Auto-Ladestationen ihren großen Auftritt hatten.
Keine Rede von Arbeitslosigkeit
Soziales und Steuern. Ansätze von Differenzen gab es beim Thema Steuerpolitik. Laschet geriet ins Schwitzen, als der Moderator auf Steuersenkungsforderungen im Wahlprogramm von CDU/CSU hinwies.
Beim Thema Steuerentlastungen für finanziell Schwache sagte er etwas von "Freibetrag senken". Baerbock konnte da punkten und darauf hinweisen, dass prekär Beschäftigte und Geringverdiener von einem solchen veränderten Freibetrag erst gar nicht profitieren können, weil sie keine Einkommenssteuer zahlen.
Scholz bekannte sich - wenn auch zögernd - dazu, dass er die Einkommenssteuersätze für die Sehr-Gut-Verdienenden um "zwei bis drei Prozentpunkte" anheben will. Das Wort "Arbeitslosigkeit" fiel erst gar nicht. Hartz IV wurde nur am Rande angesprochen.
Dass sich die Zahl der Millionäre in der Merkel-Amtszeit auf mehr als 2,5 Millionen mehr als verdoppelte - nicht der Rede wert.
Und natürlich ist es ein offener Widerspruch, wenn Scholz auf die massive Neuverschuldung und darauf verweist, dass diese "in Bälde auch wieder zurückgeführt" werden müsse, wenn alle drei die Rüstungsausgaben (und im Übrigen auch die Ausgaben für die Polizei) drastisch erhöhen wollen, wenn das Mehr an Strom und Klimaschutz Dutzende Milliarden Euro kosten … und dennoch erneut von allen drei behauptet wird, dass die Normalverdienenden nicht zusätzlich belastet und die Geringverdienenden entlastet werden würden.
Alle mit allen – nur nicht mit den Linken
Die Gretchenfrage. Am Ende der rund zweistündigen Debatte dann kam die entscheidende Frage: wer mit wem? Und vor allem die entscheidende Nachricht: bloß nicht mit der Linken. Zwar betonten nach dem Triell zahlreiche etablierte Medien, Baerbock und Scholz hätten Rot-Grün-Rot nicht strikt ausgeschlossen.
Und die Moderation tat einiges, vor allem Scholz eine glasklare Absage für eine solche Regierungsoption zu entlocken. Rein formal gab es dann eine derart klare Aussage weder von Scholz noch von Baerbock.
Doch in Wirklichkeit ging es Baerbock und Scholz – und der Moderatorin und dem Moderator – darum, das absolut entscheidende Kriterium für eine Beteiligung der Linkspartei an einer Bundesregierung aufzuzeigen: deren eindeutiges Ja zur Nato und deren unzweideutiges Ja zu Bundeswehreinsätzen im Ausland.
Konkretisiert wurde das mit der Nichtzustimmung der Linken zum letzten Bundestagsantrag in Sachen Afghanistan. Dazu ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. August zu lesen:
Das schändliche Verhalten ihrer Bundestagsfraktion in der Abstimmung über den Rettungseinsatz in Afghanistan (…) hat wiederum gezeigt, warum die Linkspartei auf keinen Fall an einer Bundesregierung beteiligt werden sollte.
Die Nichtzustimmung der Linksfraktion zu diesem Antrag stand auch im Zentrum in den letzten Minuten des "Triells". Auch hier war von "Rettungsaktion" die Rede. Dass es nicht abstrakt um eine Rettungsaktion, sondern um eine militärische Aktion ging, machte dankenswerterweise Olaf Scholz deutlich.
Er verließ kurzzeitig das Schlafwagenabteil und nannte einigermaßen deutlich "Prinzipien", die für ihn als einen potenziellen Kanzler im Fall der Frage "Beteiligung der Linkspartei an einer Koalition" gelten würden. Dabei stand ganz oben auf der Liste das "klare Bekenntnis zur Nato" und zu militärischen Einsätzen.
Inzwischen spricht einiges dafür, dass es am 26. September nach 18 Uhr rein rechnerisch für Rot-Grün-Rot reicht. In einer Forsa-Blitzumfrage direkt nach dem Triell lag erneut Scholz (mit 36 Prozent) deutlich vorne - gefolgt von Baerbock (30 Prozent) und einem deutlich abgeschlagenen Laschet (25 Prozent).