"Du liegst auf dem Boden und sie interessieren sich nur für den Burger"
Richtungsweisendes Urteil des Obersten Gerichtshofs in Spanien: Fahrer für Lieferdienste sind Scheinselbstständige. Nun wird auf eine gesetzliche Regelung gewartet
Es war eine historische Entscheidung, die der sogenannte "Rider" Isaac Cuende in der spanischen Hauptstadt Madrid vor dem Obersten Gerichtshof (TS) vergangene Wochen gegen den Lieferdienst Glovo erkämpft hat. Das erste richtungsweisende Urteil dazu, dass er real ein Scheinselbstständiger war, schafft ein Exempel für weitere anhängige Verfahren.
Ähnliche Auseinandersetzungen vor Gericht gab es auch schon in Deutschland. Das oberste spanische Gericht hat nun aber klargestellt, dass Cuende in einem "Arbeitsverhältnis" mit dem spanischen Lieferdienst stand, der mit der Supermarktkette Paiz verbündet ist, die wiederum zum US-Einzelhandelskonzern Walmart gehört.
Die Argumentation des Lieferdiensts, mit der Glovo zunächst in zwei untergeordneten Instanzen gewonnen hatte, lehnte der Oberste Gerichtshof ab. Wie Cuendes Anwalt Luis Suárez Machota erklärte, hat er festgestellt, dass der Lieferdienst sich nicht auf die Vermittlung einer Dienstleistung zwischen einem Anbieter und einem Konsumenten beschränkt. Glovo sei eine Firma, die diese Dienstleistungen erbringt und "die Bedingungen festlegt", unter denen die Fahrer sie erbringen.
Diese verfügen nach dem Urteil über keine eigene unternehmerische Entscheidungskraft, sondern sie erbringen die Dienstleistung im Rahmen der Organisation eines Arbeitgebers.
Damit bestätigte der TS ein Urteil des Obersten Sozialgerichtshofs in Madrid, der im vergangenen Februar im Fall von 523 Deliveroo-Fahrern ebenfalls schon geurteilt hatte, dass es sich real um Scheinselbstständige handelte. Deliveroo hat dagegen vor dem Obersten Gerichtshof geklagt, aber die Chancen der Firma schwinden nun, da diese Rechtsauffassung im Fall von Cuende und Glovo nun bestätigt wurde.
Eine Niederlage für die Lieferdienste ist es zudem, dass der Oberste Gerichtshof es abgelehnt hat, den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Beurteilung vorzulegen. Das hatte Glovo beantragt.
Fataler Umgang mit den Fahrern
Es war die Hartnäckigkeit von Cuende, der zu dem Sieg geführt hat. Denn er hat sich auch von Niederlagen in untergeordneten Instanzen nicht abschrecken lassen. Er gehörte zu den ersten Glovo-Fahrern in Madrid. Er stellte dort bald fest, dass die Versprechen, sich die eigene Arbeitszeit frei einteilen zu können, falsch waren. Die Beschwerden des Veteranen halfen nichts.
Der Kragen platzte ihm nach einem Unfall: "Du liegst auf dem Boden und sie interessierte nur, wo sich der zu liefernde Hamburger befindet", beschreibt er einen "fatalen Umgang" mit den Fahrern, "fehlende Menschlichkeit und Empathie" in einem Interview mit Eldiario.es.
Dort berichtet er auch, dass er eine Entschädigung zwischen 5.000 und 8.000 Euro abgelehnt hat, damit er die Klage vor dem Obersten Gerichtshofs zurückzieht, denn Glovo wollte keine Klärung. "Nicht für eine Million Euro", hätte er das getan. Andere hätten aber das Geld genommen. Er setze sich aber für "seine Kinder und Enkel" ein, denn es "handelt sich um ein Modell, dass überall umgesetzt werden soll". Dabei verweist er auf seinen Sohn, der als Scheinselbständiger in einem privaten Krankenhaus arbeite.
Eigentlich müsste das Urteil Auswirkungen auf die gesetzliche Regulierung durch die Regierung haben und die kommunistische Arbeitsministerin Yolanda Díaz stärken, die eigentlich schon ein Gesetz auf den Tisch legen wollte. Doch es gibt, wie bei allen anderen wichtigen Fragen, Streit mit den Sozialdemokraten (PSOE).
In diesem Fall mit der Ministerium für Wirtschaft und digitale Transformation Nadia Calviño. Die neoliberale Frau vom rechten Parteirand, die dann doch keine Chefin der Eurogruppe wurde, steht bei sozialen Fragen stets auf der Bremse.
Glovo hofft auf die Sozialdemokraten
Glovo hofft auf ihren Einfluss. In der Presseerklärung zum Urteil schreibt die Firma, dass sie auf eine "adäquate" gesetzliche Regulierung hofft. Sie zeigt sich davon überzeugt, dass die "Regulierung des Sektors auf Basis eines Dialogs zwischen allen Beteiligten stattfindet". Einen ersten Sieg kann die Unternehmerlobby schon vermelden. Denn die geplante Regulierung soll sich allein auf Fahrer wie Cuende beschränken und nicht die Scheinselbstständigkeit auf digitalen Plattformen insgesamt miteinbeziehen, wie es ursprünglich geplant war.
Cuende überzeugt nicht, dass nun nur noch von einem "Rider-Gesetz" gesprochen wird. Er erwartet eine Gesetzgebung auf Augenhöhe. Er sieht aber viel "Pragmatismus" in der Politik, in der der "Blick auf das Ganze" verloren gehe. Dabei glaubt er eher, dass die Politiker das in Wahrheit gar "nicht sehen wollen", kritisiert er.
Klar ist, dass es für Lieferdienste, aber auch für die Staatskasse, um viel Geld geht. Geschätzt wird, dass Glovo und Deliveroo 15 Millionen Euro in die Sozialkassen nachzahlen müssen, wenn die Urteile zur Scheinselbstständigkeit der Rider rechtskräftig sind.