Dürfen Kryoniker auf eine Wiederauferstehung hoffen?

Neue Erkenntnisse über natürliche kryonische Verfahren

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Den kryobiologischen Guinessrekord hält bislang, wie sollte es anders sein, ein Bakterium. Diese Überlebenskünstler, mit denen das Leben, wie wir es kennen, einsetzte, können nicht nur unter extremen Bedingungen leben, sondern auch aus dem Zustand des Tiefgefrorenseins wieder zum Leben erwachen. In Sibirien fand David Gilinchinsky viele Meter unter der Erde Bakterien, die in einem mindestens drei Millionen Jahre währenden Permafrost von -10 Celsius eingefroren waren. Schon nach ein paar Stunden an der Wärme begannen sie sich wieder zu teilen. Das wäre etwas für Kryoniker oder Weltraumpioniere, die in die Weiten des Alls aufbrechen wollen.

Für fast alles gibt es Vorbilder in der Natur. Die Evolution hat viele Möglichkeiten durchgespielt, um Leben auch unter ungünstigen Umständen auszubreiten, also mitunter auch Kälteperioden zu trotzen, die Lebewesen töten würden, wenn sie sich nicht dagegen schützen könnten. Da Lebewesen vor allem aus Wasser bestehen, das bei Kälte zu scharfen Kristallen gefriert, die große Zerstörungen anrichten können und vor allem irreparabel sind, zumal die Bildung von Eis den Zellen auch Wasser entzieht, hatte der Traum der Kryonik wenig Chancen. Aber vielleicht gibt es ja auch Tricks, um dennoch wieder aus dem Frost zu erwachen und sich von mildtätigen Menschen der Zukunft eine Wiederauferstehung als menschliche Dinosaurier bereiten zu lassen?

Auch wenn sich die Milliarden von unterschiedlichen Zellen eines Menschen ohne Zerstörung einfrieren lassen könnten, gäbe es beim Auftauen normalerweise buchstäblich ein böses Erwachen. Die Zellmembranen bestehen aus flüssigen Fetten, in denen sich Proteine befinden, die als Verschluß für Öffnungen fungieren, um den Zelleninhalt dort zu lassen, wohin er gehört, nämlich innerhalb der Membran. Wenn Fett Kälte ausgesetzt wird, klumpt es sich zusammen, wodurch die Zellflüssigkeiten auslaufen können. Wenn man den Einfrierprozeß so beschleunigen könnte, daß gleichzeitig mit den Fetten auch der Zellinhalt gefriert, ohne die gefährlichen großen Kristalle zu bilden, dann werden sie also beim Auftauen auslaufen. Alles ist eben eine Frage der Geschwindigkeit, die je nach den beteiligten chemischen Molekülen variiert. Und ein derart komplizierter Organismus wie der des Menschen besteht aus ungeheuer vielen Bestandteilen, die nicht alle gleich auf dieselben Bedingungen reagieren. Was bei einzelnen Zellen, Membranen oder Molekülen klappen kann, muß bei anderen nicht funktionieren, auch wenn sie alle zu ein und demselben Organismus gehören.

Leben im Eis, ein Bericht in der Zeitschrift New Scientist, könnte aber trotz aller Skepsis den Kryonikern wieder etwas mehr Mut machen. Da gibt es beispielsweise einen Frosch, der im Winter gefriert und im Frühjahr wieder auftaut. Sein Trick: nur das Wasser zwischen seinen Zellen, aber nicht in ihnen ist gefroren. Sein Blut enthält Proteine zur Bildung von Eiskristallen, die dann so zahlreich wachsen, daß keines so groß werden kann, um Schaden anzurichten. Und der zweite Trick ist Glukose, das von seiner Leber bei Kälte gebildet wird und den Gefrierpunkt absenkt. So gefriert die Flüssigkeit in der Zelle nicht. Durch die Entstehung von Eis im Blut wird den Zellen Flüssigkeit entzogen, wodurch sich die Konzentration von Glukose erhöht, bis der osmotische Druck innerhalb der Zelle so groß wird, daß kein weiteres Wasser mehr entzogen wird und es zu einem Gleichgewicht zwischen innen und außen kommt. Wenn der Vereisungskünstler auftaut, geht der Schmelzprozeß von innen nach außen. Zuerst tauen die Organe und das Herz auf, erst am Schluß pumpt das Herz Blut in die Extremitäten. Fische in der Antarktis schützen sich vor der Kälte mit zuckerhaltigen Glycoproteinen, die Eisbildung und das Auslaufen der Zellen verhindern, wenn es nicht zu kalt wird. Glyzerin besitzt ähnliche Eigenschaften wie Glukose und könnte vermeiden, daß Säugetiere an zuviel Zucker - Diabetes - sterben.

Mit diesen Erkenntnissen will man nun versuchen, nicht nur Eier oder Blutkörperchen, sondern auch ganze Organe einzufrieren, um sie bei Bedarf für Transplantationen verwenden zu können. Es gab bereits Versuche mit Rattenlebern, die man mit dem Antifrostprotein der Fische und Glycerol behandelte und die nach dem Auftauen und Auswaschen wieder arbeiteten. Jetzt sollen sie in Ratten transplantiert werden.

Andere Tiere wie Insekten haben noch ein weiteres Schutzmittel entdeckt: Trehalose. Auch damit ist es gelungen, Zellen einzufrieren und unbeschädigt wieder aufzutauen. Aber gibt es Hoffnung, daß dann, wenn selbst ganze Organe eingefroren und wieder aufgetaut werden können, dies auch für ganze Organismen möglich werden könnte? "Abgesehen von einem unvorhersagbaren Durchbruch werden derartige kryonische Zeitkapseln sehr wahrscheinlich unmöglich bleiben, wie die meisten Experten glauben", schreibt Jonathan Knight im New Scientist. "Die Ausdehnung der bei Teilen des Menschen funktionierenden Techniken auf den ganzen Körper wird nicht funktionieren. Hohe Zuckerkonzentrationen lösen beispielsweise einen diabetischen Schick aus, und Glycerol wird toxisch, wenn man aufgetaut ist und beginnt, es zu metabolisieren. Und selbst wenn wir es schaffen sollten, mit diesen Chemikalien umzugehen, dann bliebe es problematisch, sie in alle Zellen des Körpers zu bringen."

Haben also jene, die sich jetzt schon einfrieren lassen, nur noch die Hoffnung, daß man aus wenigen, die Prozedur überstehenden Zellen zumindest das Genom wird retten können, um daraus einen Nachfahren zu klonen? Auch das ist freilich für die Kryoniker, die ja schließlich auf die persönliche Wiederauferstehung hoffen, wenn sie ihren Körper oder, billiger, lediglich ihren Kopf einfrieren lassen, nicht die gewünschte Einlösung. Da könnte man ja gleich Kinder zeugen und sich das ganze umständliche technische Verfahren sparen. Aber die Kryoniker hoffen denn auch eher auf die Wunderwaffe der Nanotechnologie, die irgendwann einmal Tausende oder Millionen von kleinen Robotern in den auftauenden Körper schicken soll, um die einzelnen Zellen zu reparieren.