Düsseldorf will Sperrung amerikanischer Websites durchsetzen

Die Medienaufsichtsstelle Nordrhein-Westfalen glaubt die richtige Technik und Methode gefunden zu haben, deutsche Nutzer vor unzulässigen Webangeboten zu bewahren

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Die beim Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow angesiedelte Medienaufsicht hat ein ambitioniertes Projekt in Angriff genommen: Mit Argumenten wie "Jugendschutz" und "Aufsichtspflicht" möchte sie deutsche Surfer vor hier zu Lande unzulässigen Inhalten wie Nazi-Propaganda auf Webseiten in den USA bewahren. In einem ersten Schritt dazu hat die Behörde 56 Zugangsvermittler aus Nordrhein-Westfalen zu einer Anhörung Mitte November geladen, in der sie die angeordnete Sperrung von zunächst vier beanstandeten Angeboten erläutern will. Dass die nötigen Filtertechniken zur Durchsetzung der Maßnahme vorhanden sind, wollen die rheinischen Netzhüter den Providern dabei auch gleich beweisen.

Das effektive Sperren einzelner Websites galt bislang technisch als Ding der Unmöglichkeit. So scheiterten Mitte der Neunziger angeordnete Blockaden sowohl im Fall des Auschwitz-Leugners Ernst Zündel, dessen Seiten damals ein kalifornischer Provider hostete, wie auch bei der linken Druckschrift Radikal, die von den Niederlanden aus ins Netz eingespeist wurde. In beiden Fällen schossen weltweit zahlreiche Mirror-Sites aus dem virtuellen Boden, deren Betreiber ein allgemeines Zeichen gegen Zensur setzen wollten - selbst wenn sie sich nicht mit den Inhalten der Angebote identifizierten. Schließlich waren von dem Netzbann immer auch zahlreiche thematisch gänzlich anders gelagerte Inhalte betroffen, die bei den entsprechenden Providern abrufbar waren. Die deutschen Behörden, die Zugangs-Provider zu den Sperrungen verdonnert hatten, zogen sich daher immer wieder widerwillig zurück.

Die Medienaufsicht in Düsseldorf hält punktgenaue Filtermaßnahmen für deutsche Surfer inzwischen aber nach Gesprächen mit Softwareherstellern durchaus für machbar. Informiert hat sich die Landesbehörde bei der Firma Tricus Systemhaus in Dormagen sowie bei der Webwasher AG, einem Offspin von Siemens in München, die sich beide im Bereich Filtertechnik bereits einen Namen gemacht haben.

Das Regierungspräsidium hat seitdem eine klare Vorstellung, wie die Sperrung funktionieren soll. Es müsste eine zentrale Datenbank eingerichtet werden, erklärt Medienwächter Markus Leroch, die ständig mit den zu sperrenden Webadressen zu aktualisieren sei. Die bei den Providern eingebauten Filter würden dann den Zugriff auf die Seiten verhindern.

"Technisch müssen die Anbieter einen zusätzlichen Aufwand betreiben", ist sich Leroch bewusst. Doch die Behauptung, das Netz sei national nicht zu kontrollieren, sei endgültig in Frage zu stellen. "In Firmen bauen die Provider die Filter auf Kundenwunsch doch auch bereits ohne großen Aufwand ein." Etwas problematisch sei es im Internet selbst im Gegensatz zu den Intranets der Unternehmen zwar mit dem Mirroring. Die erwähnten Filtersysteme ermöglichten allerdings eine automatische Nachverfolgung von Adressen neuer Webserver, auf denen die beanstandeten Inhalte gespiegelt würden. Die kämen dann eben gleich mit in die Datenbank. Dass die Behörden und Filterer "bisher immer einen Schritt zurücklagen", gehöre der Vergangenheit an.

Effizienz der Filter nach wie vor umstritten

Doch die Effizienz der aktuellsten Filtertechnik ist bislang im Netz-Großeinsatz keinesfalls bewiesen. Bei einer Anhörung eines Pariser Gerichts, das das Portal Yahoo zum Ausfiltern von Auktionsseiten für Nazi-Memorabilien für französische Webnutzer verurteilt hatte, erklärten Experten wie der Netzpionier Vint Cerf vor einem knappen Jahr, dass eine hundertprozentige Blockade umstrittener Seiten nicht möglich sei (Ein französischer Richter und das Internet). Sie argumentierten damals, dass alle vorgesehenen Restriktionen mit "trivialen" Mitteln umgangen werden könnten. Der Filtertest erfolgte schließlich nicht, weil Yahoo die beanstandeten Nazi-Auktionen "freiwillig" ganz stoppte (siehe auch: Vorletzte Etappe im Fall Front14.org und Schweizer Provider sperren Zugang zu amerikanischer Website).

Auf einen ähnlichen Effekt kann Düsseldorf nicht hoffen, weil die eigentlichen auf der Büssow-Liste geführten Content-Anbieter in den USA sitzen und sich auf das dortige, deutlich höher als hier zu Lande ausgeprägte Recht auf freie Meinungsäußerung berufen können. Das rheinische Regierungspräsidium hat die Betreiber der vier exemplarisch ausgewählten Webadressen, zu denen neben drei einschlägig bekannten rechtsextremistischen Angeboten auch die für ihre skurrilen Bilder von (tierischen) Unfall- und Gewaltopfern bekannt gewordene Seite www.rotten.com gehört, wegen Aufruf zu Rassenhass und zu Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie Verletzung der Menschenwürde per E-Mail bereits "abgemahnt". Einen "Rücklauf" habe es aber nicht gegeben, so Leroch.

Die nordrhein-westfälischen Medienwächter haben daher keinen Zweifel mehr, dass nun die deutschen Zugangs-Anbieter tätig werden müssen. Dazu berufen sie sich auf den Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) der Länder von 1997, der für das Angebot und die Nutzung von an die Allgemeinheit gerichteten Informations- und Kommunikationsdiensten gilt. Dort werden in § 5 Absatz 2 zwar Haftungsprivilegien definiert, wonach Zugangsanbieter für fremde Inhalte, nur dann verantwortlich sind, "wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern." Doch nachdem die Behörde die angeschriebenen Provider über die beanstandeten Webadressen informiert hat, geht sie vom Zutreffen aller dieser in § 18 Absatz 2 noch einmal aufgeführten Haftungsbedingungen aus.

Sind die Länder überhaupt zuständig?

Unter Juristen ist allerdings seit Jahren heftig umstritten, ob der MDStV überhaupt für Vermittler von Webseiten gilt, die sich von ihrem Tenor her eher an ein kleines, interessengerichtetes Netzpublikum wenden. "Rechtlich dürfte das Ansinnen der Bezirksregierung kaum begründet sein", findet beispielsweise der aufs Internet spezialisierte Düsseldorfer Rechtsanwalt Tobias Strömer. Wer lediglich Internet-Zugänge anbietet, betreibe keinen Mediendienst im Sinne des Staatsvertrages.

Tatsächlich heißt es im Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten von Mitte 1999, dass "inhaltliche Angebote" im Web nur dann unter den Anwendungsbereich des Mediendienstestaatsvertrags fallen, "soweit die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht". Das gelte gleichermaßen sowohl für "Verteil- als auch für Abrufdienste". Insgesamt gebe es keine wirklichen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen individuell genutzten Telediensten und den rundfunkähnlichen Mediendiensten, da diese an ihrer "primär publizistischen Relevanz" erkennbar seien.

Für die Düsseldorfer Regierungsbehörde fallen dagegen fast alle Webseiten unter den MDStV. "Das Internet ist mit dem Rundfunk vergleichbar", sagt Leroch. Es gehe dabei um Informationsverbreitung. Sites ohne Zugangsschutz zählt er pauschal zu den die Allgemeinheit adressierenden Mediendiensten. Die Frage der Zuordnung geht in dem sich abzeichnenden Streit über die rein formelle Zuständigkeit von Bund, der nach dem den MDStV ergänzenden Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG über Teledienste wacht, oder Ländern hinaus. Denn während der MDStV einen umfangreichen Ordnungswidrigkeitenkatalog enthält und Geldbußen bis zu fünfhunderttausend Mark bei Verstößen vorsieht, ist das Teledienstegesetz (TDG) im IuKDG liberaler und sieht mit wenigen Ausnahmen keine Sanktionen vor.

Alte rechtliche Unschärfen bestehen weiter

Die Unschärfen der von Bund und Ländern getroffenen Regelungen an den Schnittstellen "Teledienste - Mediendienste" sowie "Mediendienste - Rundfunk" sowie Unklarheiten bei den Haftungsfragen sollte ursprünglich die Umsetzung der EU-Richtlinie zum E-Commerce im deutschen E-Geschäftsverkehr-Gesetz (EGG) ausbügeln. Doch der so gut wie fertige Entwurf erfüllt diese Forderung der Wirtschaft nicht. Im Gegenteil: er unterschlägt sogar die bisherigen Haftungsfreistellungen für Provider, so dass der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft eco vor einem "Rückfall in die Steinzeit der Internet-Gesetzgebung" gewarnt hat (Provider warnen vor neuem Zensurgesetz).

Provider wie die schon betroffene Krefelder Incas AG sehen die ihnen jetzt schon aufgedrängte Lizenz zum Sperren als "existenzielle Bedrohung". Die angemahnten Leistungen könnten laut Vorstand Stefan Pollok vom vorhandenen Personal gar nicht erbracht werden. Zumal es bei den beanstandeten vier Netzadressen sicher kaum bleiben werde.

Die nichtöffentliche Anhörung im November in Düsseldorf, auf der die Medienaufsicht den Zugangsanbieter mit dem Stand der Filtertechnik vertraut machen und dadurch "sanften" Druck ausüben will, wird die zahlreichen offenen Fragen sicher nicht klären können. Falls die Mannschaft des Regierungspräsidenten punkten sollte, würde nicht nur den nordrhein-westfälischen Providern ein kalter Wind ins Gesicht wehen. Büssow hat bereits angekündigt, die Entstehung von "Cayman Islands" wie im Steuerrecht nicht zulassen zu wollen.

Die Abstimmungen mit anderen Bundesländern laufen daher vorab schon auf Hochtouren. Doch noch muss das rheinische Präsidium einige Überzeugungsarbeit leisten. So sind die für Südhessen zuständigen Kollegen in Darmstadt beispielsweise noch nicht überzeugt von der Durchsetzbarkeit der Forderungen. Prinzipiell unterstützte man den Vorstoß zwar, sagte ein Sprecher WDR online, eine Sperrung halte man "technisch" aber für "zu problematisch".