Dumm argumentiert und nichts dazugelernt

Während die Union nie ein Hehl daraus machte, dass sie die Vorratsdatenspeicherung befürwortet, übt sich die SPD weiterhin in Vernebelungstaktiken. Dank der Zugriffsmöglichkeiten auf alte Äußerungen greifen die allerdings immer weniger.

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Wir konnten nicht anders ... Realpolitik und so ...

In Anlehnung an eine bekannte Werbung für Hygieneartikel für die weibliche Bevölkerung würde die SPD sicherlich von sich selbst sagen, dass die Geschichte der SPD und der Vorratsdatenspeicherung eine Geschichte voller Missverständnisse ist. Andere würden diese Missverständnisse schlichtweg als eine Zustimmung der SPD darstellten, die von der SPD gerne als Ablehnung verbrämt wurde.

Auch wenn es unfair ist, jetzige Regierungsparteien (auch) wegen der früheren Position früherer Protagonisten zu beurteilen, so bleibt doch angesichts der möglichen Rückkehr von Brigitte Zypries in die Ministerriege anzumerken, dass die ehemalige Justizministerin einen nicht zu vernachlässigenden Anteil daran hat, dass in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung bis zu ihrem Stopp durch das Bundesverfassungsgericht umgesetzt wurde.

Brigitte Zypries. Foto: Udo Springfeld. Lizenz: CC-BY 2.0 US-amerikanisch.

Doch es wäre zu leicht, hier ausschließlich Zypries Schuld zuzuweisen. Auch die Abgeordneten, die zwar für die Vorratsdatenspeicherung stimmten, jedoch ihren mittlerweile schon fast legendären "Bauchschmerzen" Ausdruck verliehen, indem sie sich quasi machtlos gaben und meinten, dass in Karlsruhe schon dafür gesorgt werden würde, dass die Vorratsdatenspeicherung ihrer verfassungswirdrigen Teile entledigt werde. Die entsprechende "Rechtfertigung" ist entweder nicht mehr online zu finden oder hat ihren Platz gewechselt, so dass Links (wie so oft) einen 404-Fehler ergeben. Zu beachten ist die Argumentation der Zauderer, wieso die VDS dennoch von ihnen befürwortet wurde:

Verwiesen wird unter anderem auf "den generell geltender Richtervorbehalt zum Beispiel für den Zugriff auf bei den Telekommunikationsunternehmen anlasslos gespeicherte Verbindungsdaten, das ausdrückliche Verbot des Rückgriffs auf Informationen, die zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören", oder die Beschränkung des Zugriffs und der Verwertung auf "Straftaten von erheblicher Bedeutung".

Andrea Nahles, die sich ob der Nachfragen zu ihrem Abstimmungsverhalten sichtlich gereizt gab, nutzte die Gelegenheit gar, um denjenigen, die in ihrem "ja, aber eigentlich dagegen" einen Widerspruch sahen, eine Lektion in der (ihrer Meinung nach sinnvollen) Realpolitik hinsichtlich des "Großen Ganzen" und der Mehrheitsfindung zu geben:

In den Fraktionen des Bundestages gibt es folgendes Verfahren. Wer gegen eine Sachfrage (die keine Gewissensfrage ist) eingestellt ist, kann versuchen, eine Mehrheit von seiner Meinung zu überzeugen. Es gibt dann in der jeweiligen Fraktion eine Abstimmung. Ich bin hier mit meiner Meinung unterlegen, d.h. ich hatte keine Mehrheit. Es wird dann erwartet, dass man im Plenum die Mehrheit der Fraktion vertritt, auch wenn man persönlich eine andere Auffassung vertritt. D [...] Mein Kollege Christoph Strässer hat eine persönliche Erklärung zur Abstimmung formuliert, die meine Skepsis und meine Bedenken aufgegriffen und ausgedrückt hat. Diese habe ich unterstützt. Sie findet sich im Protokoll des Bundestages und auf meiner Homepage. Mir ist bewusst, dass diese Erläuterungen für Menschen, die ein einfachen Ja oder Nein erwarten, nicht befriedigend sein können. Es gehört für mich jedoch zu meinem Verantwortungsbewusstsein und meinem Politikverständnis dazu, dass ich nicht nur als Individuum agiere und dass ich auch ohne mühsame Mehrheitsfindungsprozesse und demokratische Spielregeln nicht wirklich Politik gestalten kann. Ich kann nur versuchen Ihnen dies zu erläutern.

[...] was haben sie sich denn gedacht wie die Mehrheitsfindung, die nun einmal unerlässlich ist in einer stabilen Demokratie, funktioniert? Es ist nie einfach so eine Abwägung zu treffen, das dürfen sie mir glauben. Aber ich stehe dazu, dass ich nicht nur Einzelfragen, mich selbst mit meiner Meinung in die Waagschale einer solchen Frage werfe, sondern das sogenannte 'Große und Ganze'.

Der ehemalige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss lavierte ebenfalls um Fragen herum und beantwortete kritisches Nachhaken mit Ablenkungsmanövern. Auf die Frage, wieso denn auch Daten gespeichert werden sollten, die nicht von der Richtlinie umfasst werden, die Herr Tauss als zwingenden Grund für die Umsetzung der VDS angab, erläuterte er zunächst Fristen, um dann, auf erneute Nachfrage hin, auf das Chaos in den EU-Mitgliedsländern hinzuweisen, ohne die Frage an sich zu beantworten:

Telepolis: Ich hatte jetzt aber eigentlich nach den Daten gefragt, die gespeichert werden - nicht nach den Fristen.

Jörg Tauss: In Europa gibt es da ganz offensichtlich ein ziemliches Tohuwabohu. Ich sehe das mit großem Interesse, dass beispielsweise Großbritannien (das ja sehr vehement darauf gedrungen hat, dass wir überhaupt zur Vorratsdatenspeicherung kommen) zwischenzeitlich im Bereich der Handy-Telefonie, der SMS- und der MMS-Versendung andere Regeln vorzunehmen beabsichtigt - auch zum Schutze seiner Telekommunikationsindustrie. Insofern wird es sehr interessant sein, sich diese Details der Umsetzung noch einmal zu betrachten und daraus gegebenenfalls auch Konsequenzen zu ziehen, was Änderungen angeht.

Herr Tauss verwahrte sich auch dagegen, als Befürworter der VDS angesehen zu werden und reagierte auf derartige Anschuldigungen eher harsch.

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