EU-Analysten intern: Sanktionen nur bei sozialen Unruhen in Russland effektiv
Seite 2: Interne Analyse: EU setzt auf Geldnot und soziale Unruhen in Russland
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Das geheimdienstliche Lagezentrum des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) geht davon aus, dass die Sanktionen der EU und weiterer westlicher Staaten gegen Russland messbar negative Auswirkungen auf die dortige Wirtschaft haben. Die Regierung von Präsident Wladimir Putin werde mit einer andauernden Rezession zu kämpfen haben, so die Einschätzung des Intelligence Analysis Centre (Intcen), dem zivilen Nachrichtendienst des EAD.
Das Intcen geht davon aus, dass die russische Regierung den Rückgang der Energieexporte durch neue Abnehmer in Asien nicht vollständig kompensieren kann, heißt es in einer Zusammenfassung einer mündlichen Unterrichtung von EU-Ratsvertretern im November. Das Papier liegt Telepolis vor.
Brisant an der Intcen-Analyse ist die indirekte Zielvorgabe: Die EU-Sanktionen seien nur dann effektiv, wenn Moskau in Finanzschwierigkeiten komme "und soziale Unruhen entstünden". Geschehe dies nicht, werde die verschlechterte Wirtschaftslage keinen wesentlichen Einfluss auf die Politik der Putin-Führung haben.
Die EU hat seit dem Angriff der russischen Armee acht Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht. Derzeit wird in Brüssel ein neunter Katalog von Strafmaßnahmen abgestimmt. Ziel ist offiziell, der Putin-Regierung die Mittel zur Kriegsführung zu nehmen.
Darstellungen, nach denen Zivilisten betroffen sind, tritt die EU öffentlich vehement entgegen – daher sind die internen Aussagen der EU-Geheimdienstexperten bemerkenswert. Schon nach dem ersten Sanktionspaket hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen) gesagt: „Das wird Russland ruinieren.“
Das Intcen geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in Russland bis Ende des Jahres um vier Prozent zurückgeht. Zwar seien die Energieexporte im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen, so könne Moskau Wirtschaftseinbußen in anderen Bereichen noch ausgleichen. Für 2023 sei aber ein erneuter Rückgang der Einnahmen aus Energieexporten zu erwarten. Man prognostiziere auch weitere negative Auswirkungen durch die jüngsten Erdöl-Sanktionen.
Die EU-Analysten erkennen an, dass Russland die Verluste bislang durch mehr Handel mit China, Indien und der Türkei kompensieren konnte. Dennoch mache sich in der Industrie, im Transportwesen sowie der Luftfahrt ein Ersatzteilmangel bemerkbar.
Die Debatte in der EU zeigt ein grundlegendes Dilemma der Sanktionspolitik auf: Die Maßnahmen gegen die zentrale Öl- und Gaswirtschaft sollen die Regierung Putin schwächen, ohne die Zivilbevölkerung zu treffen. Allein die Darstellung der Inflationsrate steht dem entgegen.
Das will man sich in Brüssel aber nicht eingestehen. In der Debatte über eine EU-Stellungnahme zu den Auswirkungen der Russland-Sanktionen forderten Vertreter Portugals nach Informationen aus diplomatischen Kreisen, man müsse sich gegen Darstellungen wehren, die Sanktionen zielten auf die Lebensmittelsicherheit ab. Finnische EU-Diplomaten betonten, die Russland-Sanktionen hätten nie darauf abgezielt, zur Lebensmittelknappheit beizutragen.
Im Intcen-Bericht klang das offenbar anders. In dem Protokoll zum Briefing heißt es nüchtern, die Rezession werde in Russland anhalten und sinkenden Realeinkommen zur Folge haben:
RUS könne aber noch auf langjährig aufgebaute Reserven zurückgreifen. Solange das RUS Budget stabil bleibe und es keine sozialen Unruhen gebe, werde der ökonomische Faktor im Kreml als Anreiz für Verhandlungen keine wesentliche Rolle spielen.
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