EU-Erweiterung: Wie die Ukraine die Agrarpolitik verändern könnte

(Bild: CJ, Pixabay)

EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit Ukraine. Kiews Reformen könnten bald EU-Standards erfüllen. Warum die EU-Agrarpolitik drastisch verändert werden könnte?

Die Ukraine soll Mitglied der Europäischen Union werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen empfahl am Mittwoch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Sollten auch die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder zustimmen, könnten die Verhandlungen noch im Dezember beginnen.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass die noch ausstehenden Reformen von der Ukraine in kurzer Zeit umgesetzt werden können. Damit wären die formalen Voraussetzungen für die Verhandlungen erfüllt, die der Europäische Rat am 23. Juni 2022 festgelegt hatte.

Reformen in der Ukraine: Auf dem Prüfstand der EU

Damals wurden sieben Prioritäten definiert, die vorrangig umgesetzt werden sollen. Dazu zählen etwa die Reform des Verfassungsgerichts, Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung, die Bekämpfung des Einflusses von Oligarchen oder die Reform des Umgangs mit nationalen Minderheiten.

In einem internen Vermerk, der Telepolis vorliegt, hatte die EU-Kommission bereits Mitte Oktober deutliche Reformfortschritte festgestellt. Noch im Juni war die Regierung in Kiew weit von diesem Ziel entfernt. Zu diesem Zeitpunkt waren erst "zwei Reformprioritäten erfüllt" und bei den anderen "einige bis gute Fortschritte" erzielt worden.

In den folgenden Monaten scheint die Ukraine noch einmal deutlich vorangekommen zu sein. Von der Leyen erklärte kürzlich, die Ukraine erfülle die Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen fast vollständig. "Sie haben bereits deutlich mehr als 90 Prozent des Weges zurückgelegt", sagte sie in einer Rede vor dem ukrainischen Parlament.

Wirtschaftliche Herausforderungen des EU-Beitritts

Der Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union dürfte ein wirtschaftlicher Kraftakt werden. Sie wäre nicht nur das fünftgrößte Land in der EU, sondern auch das ärmste. Entsprechend hohe Mittel müssten für das Land aufgewendet werden.

Dagegen würden zahlreiche EU-Länder, die bisher mehr Geld aus Brüssel erhielten, als sie einzahlten, künftig zu Nettozahlern. Aber auch die Landwirte in den bisherigen EU-Ländern müssen sich wohl auf Einbußen einstellen.

Die Financial Times (FT) hatte bereits im August über die wirtschaftlichen Verschiebungen berichtet. Das Budget der Europäischen Union beläuft sich für einen Zeitraum von sieben Jahren auf rund 1,3 Billionen Euro. Knapp 62 Prozent davon entfallen laut FT auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und die Kohäsions- bzw. Regionalausgaben.

Finanzielle Umwälzungen: EU-Länder und die Ukraine

Von den rund 378,5 Milliarden Euro GAP-Mitteln, die im Haushalt für 2021 bis 2027 vorgesehen sind, würde die Ukraine rund 96,5 Milliarden Euro erhalten. Andere EU-Staaten müssten dann mit entsprechenden Kürzungen rechnen. Diese könnten laut Medienberichten bis zu 20 Prozent betragen.

Die Ukraine würde nach einem EU-Beitritt zum größten Empfänger von GAP-Mitteln werden, weil sie über riesige landwirtschaftliche Flächen verfügt. Die knapp 33 Millionen Hektar Ackerland in der Ukraine sind größer als die Gesamtfläche Italiens.

Gleichzeitig ist ein größerer Teil der ukrainischen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Im EU-Durchschnitt sind rund zwei Prozent der Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt, in der Ukraine sind es 14 Prozent. Damit wäre die Ukraine der größte Empfänger von GAP-Mitteln, die größtenteils als Direktzahlungen an die Landwirte oder als Einkommensbeihilfen gezahlt werden.

Innerhalb der Europäischen Union dürfte diese Aussicht zu erheblichen Verstimmungen führen. In Frankreich etwa hat der Agrarsektor ein großes Gewicht. Ein Beitritt der Ukraine würde Paris allerdings zu einem Nettozahler der GAP-Mittel machen. Und Polen würde vom größten Nettoempfänger von EU-Mitteln ebenfalls zu einem Nettozahler.

Institutionelle Reformen: Eine erweiterte EU und ihre Zukunft

Die Regierung in Kiew ist sich bewusst, dass ein EU-Beitritt der Ukraine das Ende des bisherigen Systems der EU-Agrarsubventionen bedeuten würde. Ein EU-Beitritt Kiews werde wahrscheinlich zum Ende der GAP führen, wie wir sie heute kennen, sagte der stellvertretende ukrainische Wirtschaftsminister Taras Kachka laut euractiv.

Eine Osterweiterung der EU dürfte aber nicht nur die Agrarpolitik der EU an ihre Grenzen bringen, sondern die Union insgesamt. Denn nach dem Februar 2022 erklärte die EU nicht nur die Ukraine, sondern auch Moldawien sowie Bosnien und Herzegowina zu Beitrittskandidaten. Mit Albanien begann man Beitrittsverhandlungen. Dann gibt es noch vier andere offizielle Kandidaten: Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und die Türkei.

Würden alle Länder aufgenommen, hätte die EU statt der bisher 27 plötzlich 35 Mitgliedsstaaten. Damit auch künftig Entscheidungen innerhalb der Union getroffen werden können, wären institutionelle Reformen notwendig, heißt es in der Financial Times. Welchen Charakter die EU dann haben wird, ist noch offen.

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