EU-Pläne zur Chatkontrolle: Ampel-Streit und Datenschutz-Proteste

Symbilbild: Digitale Freiheit / CC-BY 4.0

Entwurf dient angeblich nur der Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Protestbündnis spricht von Massenüberwachung. Droht das Ende des Briefgeheimnisses im Internet?

Es gibt wenige Themen, bei denen FDP und Linkspartei einer Meinung sind – geht es aber um Datenschutz, kann dies vorkommen. Aktuelles Stichwort: Chatkontrollen. Bereits im Juli 2022 warnte der Linke-Vorstand vor dem Entwurf einer EU-Verordnung, die vordergründig zur Prävention und Bekämpfung der Darstellung sexualisierter Gewalt an Kindern dienen soll. Die Maßnahmen kämen in der Summe einem Paket zur Totalüberwachung gleich.

Gegenstand sind Verpflichtungen von Kommunikationsdienstleistern zum anlasslosen Scannen von Inhalten auf Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern, aber auch sogenanntes "Grooming" – also Versuchen der sexuell motivierten Kontaktaufnahme mit Minderjährigen – einschließlich verschlüsselt übertragener Inhalte.

Darüber beinhaltet die Verordnung Szenarien für Verpflichtungen zu Netzsperren, Upload-Filtern und zur Altersverifizierung bei Nutzung von Messenger-Diensten.

In der Ampel-Koalition gab es darüber Streit – Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stand dem Vorhaben positiver gegenüber als FDP und Grüne. Im April veröffentlichte die Plattform netzpolitik.org ein Papier des Innenministeriums aus ihrem Resssort für die anstehenden EU-Verhandlungen

Bestimmte Online-Dienste sollten demnach nur mit Altersverifikation zugänglich sein. Hierfür könnten Interessierte aufgefordert werden, ihren Personalausweis vorzulegen – das wäre dann das Ende der Anonymität im Internet.

Durchsetzen konnten sich FDP und Grüne aber bei in Sache Verschlüsselung: Die EU-Kommission will sämtliche Arten von Online-Kommunikation überwachen, von E-Mails über Chatnachrichten in Online-Spielen und Dating-Apps bis hin zu Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal, die Nachrichten verschlüsselt übertragen.

Koalitionsvertrag war gestern

Im deutschen Papier aus Faesers Ressort hieß es nun: "Der Einsatz von Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen, ist durch konkrete technische Anforderungen im Verordnungsentwurf auszuschließen."

Nicht verschlüsselte Kommunikation, etwa E-Mails oder Chatfunktionen in vielen Apps, könnten vom massenhaften Scannen aber weiter betroffen sein – genau wie private Speicherdienste, beispielsweise nichtöffentliche Backups von Fotos oder Chatnachrichten.

Genau das war im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien aber eigentlich ausgeschlossen worden: "Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab", heißt es dort.

Justizressort unter Buschmann (FDP) mobilisiert EU-Amtskollegen

Im Mai dieses Jahres verschickten Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und seine deutschsprachigen Amtskollegen Liechtenstein, Luxemburg, Österreich und der Schweiz einen Brief an die Justizministerinnen und Justizminister weiterer EU-Länder. Kernaussage: "Chatkontrollen haben in einem Rechtstaat nichts zu suchen!"

Anlässlich der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) will am morgigen Mittwoch auch der Verein Digitalcourage gegen Chatkontrollen protestieren.

"Mit der Chatkontrolle verfolgt die EU gegen die nahezu einstimmige Kritik sowohl der juristischen wie auch der technischen Fachleute offen grundrechtswidrige Pläne für ein dystopisches Überwachungsgesetz", kritisierte an diesem Dienstag das Bündnis "Chatkontrolle Stoppen", dem der Verein angehört. "Die Pläne der EU-Kommission stellen die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht."

"Big Sisters Are Watching You“ lautet das Motto der Protestaktion mit Blick auf drei Entscheidungsträgerinnen: Ylva Johansson, Ursula von der Leyen und Nancy Faeser.

Auch die EU-Innenkommissarin Johansson wird nämlich bei der IMK in Berlin erwartet. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat bereits 2009 als deutsche Bundesfamilienministerin erfolglos versucht, Netzsperren durchzusetzen und dafür den Spitznamen "Zensursula" erhalten.