EZB: Korrektur der Geldpolitik mit historischer Zinserhöhung
Scheitern eingeräumt: Rekordinflation im Euroraum treibt die EZB auf den Kurs der US-Notenbank und zur größten Zinserhöhung ihrer Geschichte. Die Wirtschaft geht in die Rezession.
Es war nicht anders zu erwarten. Die Europäischen Zentralbank (EZB) muss angesichts einer immer weiter steigenden Rekordinflation ihre Geldpolitik nun definitiv korrigieren, die zuletzt im Euroraum im August auf inzwischen offizielle 9,1 Prozent angeschwollen ist.
Nach einer zaghaften ersten und viel zu späten Anhebung der Leitzinsen im Juli erhöht die EZB nun auch deutlich. Wie die US-Notenbank (FED) in zwei Zinsschritten zuvor, hebt auch die EZB den Leitzins gleich um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent an.
Das ist die größte Zinserhöhung der EZB-Geschichte. Damit sei "eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel" gewährleistet, behauptet man aus der Notenbank in Frankfurt.
Offenbar ist den Notenbankern in ihrem hessischen Turm gedämmert, dass die Inflation immer deutlicher außer Kontrolle gerät. Es war stets klar, dass es nicht ohne Konsequenzen bleiben würde, wenn seit 14 Jahren die Notenpressen auf Hochtouren laufen, der Leitzins auf bis auf Null gesenkt wurde und die Banken bisher sogar Negativzinsen für Einlagen bei der EZB bezahlen mussten.
Nun geht auch der EZB-Rat davon aus, dass die Zinsen weiter angehoben werden müssen. Angekündigt werden nun weitere Zinsschritte, da die EZB einräumen muss, dass die Inflation "voraussichtlich für längere Zeit über dem Zielwert bleiben" werde.
Lage falsch eingeschätzt
Man gibt in Frankfurt – wieder einmal – stark verspätet zu, dass man die Inflationsentwicklung völlig falsch eingeschätzt hat. Die Teuerungsrate könne auf "kurze Sicht" sogar noch "weiter anziehen", gibt man nun in der Presseerklärung zu.
Das Prinzip Hoffnung, dass bisher die EZB-Geldpolitik bestimmt hatte, herrscht trotz allem weiter vor. So heißt es in der Presseerklärung weiter: "Wenn die derzeitigen Inflationstreiber mit der Zeit nachlassen und die Normalisierung der Geldpolitik auf die Wirtschaft und die Preisbildung durchschlägt, wird die Inflation sinken."
Auf Basis dieser zweifelhaften Analyse erwartet die EZB sehr optimistisch, dass die Inflation im Euroraum im laufenden Jahr ("nur") 8,1 Prozent betragen werde. Im Juni hatte die Notenbank sogar noch völlig absurd 6,8 Prozent prognostiziert.
Im kommenden Jahr soll nach der EZB-Prognose die Teuerung bei 5,5 (Juni-Prognose: 3,5) Prozent liegen. Die EZB hofft, dass man 2024 dann wieder im Bereich der Zielmarke von 2,3 (Juni-Prognose: 2,1) liegen werde.
Dass dieses Szenario eintritt, ist eher unwahrscheinlich. Das hängt natürlich auch davon ab, wie die Notenbank in der Zukunft mit der Notenpresse umgeht. Denn die Geldschwemme geht weiter. Die Geldmärkte werden durch Ankäufe von Staatsanleihen weiterhin von der EZB geflutet, um der Angst vor einer neu aufkeimenden Schuldenkrise zu begegnen. Damit wurde die bisherige Leitzinserhöhung im Juli sofort wieder von der Lagarde-EZB konterkariert und damit praktisch fast unwirksam.
"Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen", stellen in Frankfurt jetzt auch die fest, die allgemein als " Währungshüter" bezeichnet werden.
Getrieben wird die Inflation weiterhin von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen.
An dieser Stelle wurde seit geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass die Inflation kein kurzzeitiges Phänomen sein und immer stärker in die Breite gehen würde. Daran haben die durch massive Spekulation getriebene Energiepreise eine deutlichen Anteil.
Die Energiepreise schlagen sich erst langsam in höheren Preisen für Waren und Dienstleistungen nieder. Die Erklärungen der EZB, die als Ausrede gerne auch auf den Ukraine-Krieg abgestellt hatte, waren absurd. Denn schon im vergangenen November, also mehr als drei Monate vor dem Kriegsausbruch, der damals nicht einmal absehbar war, lag die von der deutschen Statistikbehörde Destatis besonders stark aufgehübschte Inflationsrate offiziell schon bei 5,2 Prozent.
Die europäischen Statistiker bei Eurostat bezifferte sie sogar schon auf sechs Prozent. Natürlich treibt auch der Krieg die Inflation weiter an, weshalb es nun nicht einfach wird, die hohe Inflation wieder zu drücken, die Eurostat offiziell schon mit 9,1 Prozent angibt.
Währungshüter findet man aber in Frankfurt kaum noch, denn die Notenbank hat sich immer stärker von der Zwei-Prozent-Zielmarke entfernt. Dabei war die Zielmarke ohnehin längst leicht angehoben worden. Das dabei vor einem Jahr vorsorglich auch definiert wurde, dass die EZB auch mittelfristig "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" akzeptieren will, war fatal.
Prinzip Hoffnung
Das hatte schon deutlich gemacht, dass man die Geldwertstabilität-Aufgabe vernachlässigt oder ihr sogar eine Absage erteilt. Neben Konjunkturpolitik hat das natürlich einen weiteren Grund. Die ausufernden Staatsschulden werden anteilig über eine hohe Inflation kleiner. Man darf derweil davon ausgehen, dass das ein nicht definiertes Ziel der EZB war. Dabei hatte EZB-Chefin Lagarde natürlich auch den wachsenden Schuldenberg in ihrer französischen Heimat im Blick.
Klar wurde das, was man auch illegale Staatsfinanzierung nennen kann, daran, dass die EZB trotz immer höherer Teuerungsraten lange sogar völlig inaktiv blieb. Als Realsatire darf man deshalb nun auch die Worte von Lagarde auffassen, die angesichts des Zinsschritts eine "zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel gewährleisten" will.
Lagarde zeigt sich weiter unfähig zur Selbstkritik und setzt trotz des relativ großen Zinsschritt zu einem guten Teil weiter auf das Prinzip Hoffnung, dass sich das Problem mittelfristig vor allem von selbst wieder erledigen würde.
Allerdings gibt es wenig Hinweise darauf, dass die Inflation tatsächlich alsbald sinken wird. Dafür hat die EZB viel zu lange mit einer Straffung der Geldpolitik gewartet. Oder wie es der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, in einen einfachen Satz gebracht hatte: "Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen."
Denn mit dem langen Abwarten hat die EZB den Grundstein dafür gelegt, dass es nun zu Zweitrundeneffekte kommt. Die Beschäftigten in den Betrieben werden sich angesichts der verschärfenden Enteignung und Umverteilung von unten nach oben auf die Hinterbeine stellen und hohe Lohnforderungen stellen, um den Kaufkraftverlust wenigsten teilweise auszugleichen. Das wird die Inflation eher weiter antreiben.
Zudem zeigt ein Blick in die USA, dass es jedenfalls nicht einfach werden wird.
Erfolge der FED
Aus den USA kam der Druck auf die EZB, ihre erratische Geldpolitik endlich aufzugeben. Denn sogar die Bundesbank hatte zuletzt schon zweistellige Inflationsraten im Herbst in Deutschland. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte deshalb eine "kräftige Zinsanhebung" angemahnt, um die hohe Inflation zu bekämpfen.
Der Zinssschritt der EZB wurde allerdings auch von der Tatsache getrieben, dass es der FED inzwischen mit einer strafferen Geldpolitik gelungen ist, die Inflation wieder zu senken. Schon nach den ersten Zinserhöhungen hatte sich die Inflation in den USA im Sommer stabilisiert. Wurden dort im Juni noch eine offizielle Teuerung von 9,1 Prozent registriert, fiel die Inflation wegen einer deutlich anderen Politik der Notenbank FED im Juli schon wieder auf 8,5 Prozent.
Nun erwarten die Experten, dass die Rate im August auf 8,1 Prozent gefallen ist. Anzumerken ist, dass die Quote dort etwas ehrlicher ist als in der Eurozone und deutlich ehrlicher als der von Destatis verwendeten stark heruntergerechneten "Verbraucherpreisindex" (VPI). Allerdings wurden dort schon Anleihekäufe, anders als hier, komplett gestoppt.
Zudem hat die FED hat das Zinsniveau schon auf eine Zinsspanne von 2,25 und 2,5 Prozent erreicht, was zu einer massiven Kapitalflucht aus Europa und den USA geführt hat. Der Euro kam darüber noch stärker unter Druck, womit sich Energie in Europa weiter verteuert, da Öl und Gas in US-Dollar bezahlt werden müssen. Von einer solchen Zinsspannte sind wir in Europa noch weit entfernt.
Schon deshalb darf auch nicht schnell eine Entspannung an der Inflationsfront erwartet werden, wozu natürlich auch die erratische Energiepolitik in Europa einen großen Anteil hat.
Sollte sich die Lage in der Ukraine weiter zuspitzen, Russland tatsächlich am Gashahn drehen und es außerhalb Frankreichs real zu einer Energiekrise kommen, dann sind alle Prognosen praktisch hinfällig. Das gilt auch für den Fall, dass es im Atomkraftwerk Saporischschja zum Supergau kommt, wo sich die Lage immer weiter zuspitzt.
Der Wirtschaftsmotor im Euroraum stottert
Der eine oder der andere Vorgang würde jedenfalls den Absturz der Wirtschaft in die Stagflation weiter beschleunigen, wovor auch der Autor seit geraumer Zeit warnt. Dass wir in Deutschland und Europa mit Vollgas in ein gefährliches Szenario rasen, das von Stagnation und hoher Inflation geprägt sein wird, ist im Sommer längst klar geworden, als die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal schon stagnierte.
Dass es bei einer Stagnation nicht bleiben würde, war auch längst klar. Denn die starke Rezessionstendenz war längst sichtbar, ohne dass Kredite durch erhöhte Leitzinsen verteuert wurden. Man musste wahrlich kein Experte sein, um deshalb eine Rezession vorhersagen zu können.
Denn es war klar, dass die EZB die bisherige Geldpolitik nicht würde lange durchhalten können und es ist auch klar, dass die steigenden Zinsen die Wirtschaft weiter belasten würden. Dass sich der gefährliche Sturm zusammenbraut, war seit dem Frühjahr absehbar.
Dass die EZB weiter gewartet hat, hat die Lage nur weiter zugespitzt. Damit ist klar, dass die Rezession tiefer gehen wird. Ein frühzeitiges Handeln, gepaart mit einer anderen Energiepolitik und ein konsequentes Einschreiten gegen Spekulation hätte die Lage abmildern können und könnten sie auch weiterhin noch entschärfen. Allerdings gibt es auch an diesen Fronten keiner Anzeichen für eine Besserung.
So spiegeln sich die trüben Aussichten nun auch im EZB-Ausblick wieder. "Nach einer Erholung des Wirtschaftswachstums im Euroraum im ersten Halbjahr 2022 deuten jüngste Daten auf eine erhebliche Verlangsamung hin.
In den "jüngsten von Fachleuten der EZB erstellten Projektionen für das Wirtschaftswachstum", wurden die Prognosen "für den Rest des laufenden Jahres und für 2023 deutlich nach unten korrigiert." Erwartet wird weiter reichlich optimistisch ein "Wachstum von 3,1 Prozent für 2022, von 0,9 Prozent für 2023 und von 1,9 Prozent für 2024."
Ob diese vom Prinzip Hoffnung getragene Prognose eintritt, darf ebenfalls angesichts der Tatsache bezweifelt werden, da der Wirtschaftsmotor im Euroraum doch längst deutlich stottert. So geht zum Beispiel nun das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im kommenden Jahr voraussichtlich um 0,7 Prozent schrumpfen wird.
"Hohe Energiepreise drücken deutsche Wirtschaft in Rezession", lautet der Titel des IfW-Herbstgutachten. Eine Kernaussage lautet:
Im laufenden Jahr dürfte das BIP noch um 1,4 Prozent zulegen, 0,7 Punkte weniger als in der Sommerprognose erwartet.
Das IfW korrigiert aber seine bisherige Prognose für das kommende Jahr sogar um 4 Prozentpunkte nach unten. "Statt einem kräftigen Plus hat die deutsche Wirtschaft ein Minus von 0,7 Prozent zu erwarten", schreiben die Wirtschaftsforscher. Noch im Juni hatte das IfW ein Plus von 3,3 Prozent für 2023 vorhergesagt.
Der Vizepräsident des Instituts, Kooths, erklärte, vor allem energieintensive Produktionen und konsumnahe Wirtschaftsbereiche würden nun mit Wucht getroffen. Die deutsche Wirtschaft befinde sich im Abwärtssog: "Mit den hohen Importpreisen für Energie rollt eine konjunkturelle Lawine auf Deutschland zu", erklärte er
Die deutsche Energieimportrechnung steigt voraussichtlich um 123 Milliarden Euro in diesem Jahr und um weitere 136 Milliarden Euro im nächsten Jahr. "Das Geld fehlt im Inland für Konsum und schmälert die Rentabilität energieintensiver Unternehmen", führt das Institut aus.
In der Folge sinkt Deutschlands Wirtschaftskraft erheblich und liegt im nächsten Jahr 130 Milliarden Euro niedriger als bislang vom IfW erwartet. "Die Kaufkraft der privaten Haushalte dürfte im kommenden Jahr mit 4,1 Prozent so stark einbrechen wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland", lautet die pessimistische Prognose aus Kiel.