Ein Begriff macht Karriere: "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit"

Seite 2: Grunddilemma: Wird erhoben, was erhoben werden soll?

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Wie entsteht ein Syndrom wie GMF? Zunächst einmal einigen sich die (Rechtsextremismus-)Forscher darauf, welche Elemente/Gruppen dazugehören. Derzeit sind es 13 betroffene Gruppen bzw. 14, wenn die Haltung zu Israel einbezogen wird. Anfangs waren es sieben.

Im nächsten Schritt verständigt man sich, welche Themenbereiche mit zwei "typischen" Aussagen angesprochen werden, mit welcher Wortwahl die zur Abstimmung gestellten Sätze konkret formuliert werden. Dies bedeutet, naturgemäß und unvermeidlich, eine gewisse Beliebigkeit. Je nachdem, ob das Statement lautet (gewählte Aussage): "Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen" oder "Ich finde es unangenehm, wenn ...", dürfte auch die Zustimmung und Ablehnung variieren - und damit der Grad der nach wissenschaftlichen Maßstäben gemessenen Homophobie.

Man hätte zum Beispiel auch nach der Akzeptanz der "Ehe für alle" fragen können oder danach, ob jemand mit einem homosexuellen Arbeitskollegen/Lehrer/Sohn "Probleme hätte". Im Übrigen zeigt eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass eine Minderheit der Bundesbürger es selbst bei Mann und Frau unangenehm findet, wenn diese in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen. (Bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist die Ablehnung allerdings deutlich größer.)

Mix aus unterschiedlich harten und weichen Aussagen

Auf jeden Fall vermischt die GMF harte und weiche Statements, im O-Ton der Studie "drückt (sie) sich in Vorurteilen, negativen Stereotypen, abwertenden Überzeugungen, Diskriminierungen und Feindseligkeiten aus". Das Spektrum ist also groß und reicht von als falsch klassifizierten (Welt-)Bildern im Kopf bis zu Verhaltensweisen zum Nachteil von bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Wer "Homosexualität ... unmoralisch" findet, sich eventuell der Lehre einer Kirche verbunden fühlt, muss Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen deshalb aber noch nicht diskriminieren, hassen oder bedrohen. Zudem liegen negative Vorurteile und legitime Meinungsäußerungen manchmal nahe beieinander.

Grundsätzlich wirkt der wissenschaftliche Begriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" zu reißerisch für den Mix von 29 präsentierten Aussagen, die mal mehr, mal weniger unfreundlich und radikal formuliert sind.

Sie reichen von einer kompromisslosen/aggressiven grundsätzlichen Abwehrhaltung ("Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt"; "Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegenwart aufhalten"; "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden") bis zu rückwärtsgewandten Weltbildern ("Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen"; "Für eine Frau sollte es wichtiger sein, ihrem Mann bei seiner Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen").

Einige Aussagen konzentrieren sich auf das angebliche, als unakzeptabel betrachtete Verhalten einer Gruppe ("Transsexuelle und Transgender sollten versuchen, nicht so aufzufallen"; "Ich finde es empörend, wenn sich die Langzeitarbeitslosen auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen"; "Sinti und Roma neigen zur Kriminalität"). Andere Aussagen thematisieren den Umgang von Staat und Gesellschaft mit der Gruppe ("Behinderte erhalten zu viele Vergünstigungen") und persönliche Empfindungen ("Ich finde es albern, wenn ein Mann lieber eine Frau sein will oder umgekehrt, eine Frau lieber ein Mann").

Die zugrunde gelegten Statements arbeiten teilweise mit uneindeutigen Begrifflichkeiten bzw. sind sehr allgemein. So verbindet der Begriff "Ausländer" heutzutage Personen aus vielen unterschiedlichen Staaten und ist im alltäglichen Sprachgebrauch nicht immer scharf von "Menschen mit (jüngerem/überhaupt vorhandenem) Migrationshintergrund" zu trennen. Antisemitismus-Thesen wie "Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig" bzw. "Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss" eröffnen einigen Interpretationsspielraum.

In der Tat scheint es nicht immer einfach, bei vereinfachten Thesen, wie sie die Forschung zum Rechtsextremismus auszeichnen, à la "Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen", die eigene Position zu bestimmen. Die meisten Bürger würden wahrscheinlich differenzierter antworten, wenn sie dazu die Möglichkeit erhielten.

Personengruppen ohne politische, religiöse, ökonomische und soziale Bezüge

Einige Sätze arbeiten mit unbestimmten Mengenangaben. Sie sind im Satz "Es leben zu viele Ausländer in Deutschland" enthalten und in der Einschätzung "Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land".

Beide Aussagen beziehen sich streng genommen nicht nur auf die Wertigkeit der sozialen Gruppen an sich, sondern messen eher eine diffuse Stimmung zu deren tatsächlichen oder gefühlten Bevölkerungsanteilen. Sie halten überdies die theoretische Möglichkeit offen: Mit "weniger" Ausländern/Muslimen hätten die Kritiker keine Probleme. Wären sie dann trotzdem prinzipiell "ausländer-" und "muslimfeindlich"?

Bei Vorbehalten gegenüber Personengruppen wäre es zudem interessant zu wissen, ob die Personen mit negativer Einstellung die politische Teilhabe der betroffenen Gruppe im Kopf haben oder ihr Misstrauen sich auf kulturelle, religiöse, ökonomische und soziale Aspekte (Sorge vor Kriminalität, Furcht vor dem Verlust des eigenen sozialen Status, entstehenden Parallelgesellschaften) bezieht.

Eine der zwei Thesen zur Ausländerfeindlichkeit - "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurück schicken" - verengt das Thema einseitig auf die Konkurrenz am Arbeitsmarkt.

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