Ein Begriff macht Karriere: "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit"
- Ein Begriff macht Karriere: "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit"
- Grunddilemma: Wird erhoben, was erhoben werden soll?
- Wissenschaft oder politische Überzeugung?
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... und was dahintersteckt
Seitdem die "Mitte-Studien" rechtsextremen Einstellungen der Bundesbürger hinterher spüren und einen Rechtsruck der bürgerlichen Mitte meinen erkannt zu haben, ist die "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in den Rang einer Richterskala zur Bestimmung der Stärke von Rechtslastigkeit aufgestiegen.
Im Juni 2016 erschien die Studie "Die enthemmte Mitte" der Universität Leipzig in Kooperation unter anderem mit der Heinrich Böll Stiftung. Im November 2016 folgte die Studie Gespaltene Mitte (vgl. Neue Mitte-Studie: Gespaltenes Deutschland) der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Universität Bielefeld. Den Befunden beider Studien wurde sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Die Methode, mit denen die Ergebnisse erhoben worden sind, blieb demgegenüber eher im Hintergrund.
Der Begriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" (GMF) frisst sich in den letzten Jahren durch den öffentlichen politischen Diskurs. In Medienberichten herrscht Alarmstimmung. "Deutschlands hässliche Fratze. Viele Bürger denken völkisch", titelte der Spiegel. Keine Diskussion, kein Glossar, keine Website über rechtslastige Einstellungen der Bundesbürger ohne die drei magischen Buchstaben. Und wer hat’s erfunden?
Der Pädagoge Wilhelm Heitmeyer. Er gründete 1996 an der Universität Bielefeld das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), leitete dieses bis 2013 und untersuchte das Phänomen ab 2002 in einer Forschungsgruppe.
Gemeint ist mit dem Schlüsselbegriff "die Abwertung und Ausgrenzung von sozialen Gruppen und von Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, die an Merkmalen wie Geschlecht, Nationalität, Ethnie, Religion, sexueller Orientierung, sozialer Herkunft oder auch ihrer physischen oder psychischen Konstitution festgemacht wird".
13 -ismen, -feindlichkeiten und "Abwertungen"
Auch in der jüngsten "Mitte"-Studie der Friedrich-Ebert Stiftung/FES "Gespaltene Mitte - feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016" steht die "Menschenfeindlichkeit" mit im Mittelpunkt. Als rechtsextrem werden in der Untersuchung 2,8 Prozent der Bevölkerung eingeordnet.
Darüber hinaus haben die Autorinnen und Autoren "neurechte Einstellungen" einschließlich einer "nationalistisch-völkischen Ideologie" bei fast 28 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung entdeckt. "Das Thema Flüchtlinge", erklären Friedrich-Ebert-Stiftung und Universität Bielefeld in alarmierendem Ton, stehe dabei "exemplarisch für die Gespaltenheit der Gesellschaft in eine Mehrheit, die Weltoffenheit, Toleranz und Gleichwertigkeit will, und jene nicht ganz kleine und laute Minderheit, die Abschottung, nationale Rückbesinnung und Ungleichwertigkeit fordert".
Das "Syndrom" GMF ("Syndrom" meint in der Medizin die Kombination verschiedener Krankheitserscheinungen) ist eine Gleichung mit 13 -ismen, -feindlichkeiten und "Abwertungen". Dies sind: Rassismus + Sexismus + Fremden-/Ausländerfeindlichkeit + Antisemitismus (primär und sekundär) + Muslimfeindlichkeit + Abwertung von Sinti und Roma + Abwertung asylsuchender und geflüchteter Menschen + Abwertung homosexueller Menschen + Abwertung von Trans*Menschen + Abwertung wohnungsloser Menschen + Abwertung von Menschen mit Behinderung + Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen + Beanspruchung von Etabliertenvorrechten.
Die Einzelphänomene sind jeweils in zumeist zwei vorformulierte Statements gegossen. Wer hier klar oder eher "stimme zu", manchmal auch "lehne ab" sagt: erwischt, klar gruppenbezogen menschenfeindlich!
Unter dem Strich, behauptet die FES-Studie, werten rund 50 Prozent der Bundesbürger Asylbewerber sowie langzeitarbeitslose Mitmenschen "ab". 25 Prozent stehen Sinti und Roma negativ gegenüber, knapp jeder Fünfte ist "fremdenfeindlich" bzw. "muslimfeindlich". Fast 4 von 10 Befragten beharren unberechtigt auf "Etabliertenvorrechten" derjenigen, die schon länger hier leben.
Demgegenüber wird "nur" bei 6 Prozent der Umfrageteilnehmer Antisemitismus identifiziert. Dazu heißt es allerdings in der Studie, Antisemitismus werde in der Gegenwart "häufig eher über Umwege kommuniziert". Als Beleg dafür herangezogen wird unter anderem eine höhere Zustimmung zu der Aussage: "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts Anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben."
In den präsentierten Tabellen werden dabei zum Teil höhere Prozentzahlen als die Gesamtwerte für die einzelnen Elemente ausgewiesen, was erst einmal verwirrt. Dies ist darin begründet, dass nur die Befragten, die sich klar positioniert haben, als Basis für 100 Prozent herangezogen wurden. Nicht-inhaltliche Antworten wie "weiß nicht" und "keine Angabe" bleiben unberücksichtigt.
Diese Kategorien bewegten sich, erklären die Forscherinnen und Forscher dazu, "zumeist nur im einstelligen Prozentbereich". Allerdings mit einer Reihe von Ausnahmen bei den Themen Antisemitismus, Abwertung von Asylsuchenden bzw. Sinti und Roma. Das Statement "Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat" lässt gut 16 Prozent der Befragten verstummen. Fraglich bleibt, ob sie zu schüchtern waren, Stellung zu beziehen - oder schlicht irritiert von dem Satz.
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