Ein Chip spricht die Sprache der Atome

Physiker aus München haben einen Atom-Chip geschaffen, ein mikroelektronisches Element mit der Bose-Einstein-Kondensation verbunden

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Wolfgang Hänsel, Peter Hommelhoff, Theodor W. Hänsch und Jakob Reichel von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik stellen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature den von ihnen geschaffenen Atom-Chip vor. Nach der Lichtemittierung einzelner Atome mittels eines Spiegels (Vgl. Wie ein einzelner Stern in der Nacht) ist das der zweite brandneue Schritt in Richtung Quantencomputer.

Der Atom-Chip, Bild: Nature

Die Physiker haben sich dabei das Phänomen der Bose-Einstein-Kondensation (BEC) zu Nutze gemacht. Dieser Quantenzustand ist sehr speziell und führt dazu, dass die Atome vorübergehend ihre Eigenständigkeit aufgeben: Sie verhalten sich wie ausgedehnte Wellenpakete und schwingen im Gleichtakt. Voraussetzung ist, dass man Rubidiumatome oder chemisch verwandte Elementen wie Wasserstoff oder Lithium bis nahe dem absoluten Nullpunkt bei 0 Kelvin (minus 273,15 Grad Celsius) herunter kühlt. Rubidium ist ein weiches Alkalimetall, das bei Raumtemperatur zähflüssig ist, aber bei sehr tiefen Temperaturen verdampft werden kann. Es ist optimal geeignet und lässt sich mit einfachen Standardlasern sehr gut kühlen.

Die Atome haben im BEC alle die gleiche Energie, das heißt sie besetzen gemeinsam das nach der Quantentheorie tiefstmögliche Energieniveau. Es kann nahe bei Null sein, aber niemals Null. Zudem müssen für die BEC Teilchen mit ganzzahligem Spin (Eigenrotation des Teilchens) vorliegen, so genannte Bosonen. Benannt sind sie nach dem indischen Physiker Satyendra Nath Bose, der sie als erster 1924 in seiner "Photonenstatistik" beschrieben hatte. Albert Einstein übersetzte das Paper und führte diesen Ansatz der Quantenmechanik, nämlich die Ununterscheidbarkeit gleichartiger Teilchen, weiter aus. In seinem Paper von 1925 beschreibt er, dass unter gewissen Umständen "...etwas Ähnliches eintritt wie beim isothermen Komprimieren eines Dampfes über das Sättigungsvolumen. Es tritt eine Scheidung ein; ein Teil 'kondensiert', der Rest bleibt ein 'gesättigtes ideales Gas'...Ž" Das ist die Bose-Einstein-Kondensation.

1995 gelang es Forschern der University of Colorado in Boulder das von Bose und Einstein vorhergesagte Phänomen experimentell nachzuweisen (Vgl. Physicists Create New State Of Matter At Record Low Temperature). Ein BEC beinhaltet bis zu zehn Millionen Atomen, alle bei einer Temperatur von wenigen Nanokelvin. Der Mikrokosmos wird zur makroskopischen Atomwolke, die sich in einem quantenmechanischen Zustand befindet, also nicht mehr dem entspricht, was wir in der klassischen Welt beobachten.

Bose-Einstein-Kondensation: Die quantenmechanische Wellenfunktion erstreckt sich über das gesamte Kondensat und wird mit bloßem Auge sichtbar. (Bild MPG)

Atom-Chip

Der BEC-Zustand ist extrem sensibel, jeder Kontakt mit anderen Atomen kann ihn zerstören. Deswegen werden BEC-Experimente in Ultrahoch-Vakuumkammer durchgeführt, die Bedingungen bieten wie sie sonst nur im Weltraum zu finden sind. Die Atomwolken werden in magnetischen, elektrischen oder Lichtfeldern gefangen, die bisher außerhalb der Kammer erzeugt werden, z.B. durch Magnetspulen oder Laser. Diese Fallen für die Atome sind unbedingt notwendig, waren aber durch die Empfindlichkeit der Versuchsanordnungen immer in einiger Distanz angebracht, was die Genauigkeit und Komplexität beeinträchtigte.

Einen Atom-Chip hatte die Gruppe um Claus Zimmermann von der Universität Tübingen bereits im August der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie verbanden bei ihrem Experiment ein Bose-Einstein-Kondensat mit einem Mikrochip, indem sie das BEC über der Oberfläche eines Keramikchips herstellten. Die Materie wurde in die Chip-Leiterbahnen eingefüllt. Die extrem dünnen Kanäle werden durch winzige, stromdurchflossene Mikroleiter an der Oberfläche des Keramikplättchens erzeugt. In dem Atom-Chip bewegen sich die Materiewellen wie Licht in einer Glasfaser. Zimmermann erklärte dazu:

"Auf dem Chip kann man das Tröpfchen strukturieren, trennen und zusammenführen und dadurch für verschiedene Anwendungen beim Speichern oder Übertragen von Informationen nutzbar machen. Eigentlich denkt man, dass die ganz kalten Atome wie Kügelchen hin und her fliegen. Dann merkt man, dass es sich um Wellenpakete handelt, nicht um Kügelchen. Wenn die vermeintlichen Kügelchen aufeinander treffen, prallen sie nicht voneinander ab, sondern legen sich wie Wellenpakete übereinander. Man erhält ein Streifenmuster, an einigen Stellen verdichtet sich die Materie, an anderen Stellen entsteht ein Vakuum."

Die Falle für die Atome steht durch die Verwendung eines Chips nun innerhalb der Vakuumkammer. Durch die geringe Distanz kann der BEC-Zustand wesentlich besser und genauer gesteuert werden.

Transport des BEC auf dem Förderband, Bild: Nature

In einem konventionellen Chip bewegen sich die Elektronen durch die Drähte, die in einen Festkörper eingebettet sind, beim Atom-Chip schweben die Atome oberhalb der Ströme und Ladungen, die durch die Drähten auf dem Festkörper fließen. Durch die Fallen werden sie fest gehalten und durch die Nähe können sie ihren Zustand stabiler halten. So kann ihre Position und Geschwindigkeit kontrolliert werden.

Die Münchner Physiker haben den Atom-Chip entscheidend verbessern können. Ihre Technik ist der der Tübinger sehr ähnlich, verschieden ist aber die Ladetechnik. Sie laden die Atome aus der magneto-optischen Falle direkt auf den Mikrochip und erreichen dort das evaporative Kühlen in 700 Milli-Sekunden, zehn Mal schneller als herkömmliche Experimente und drei Mal schneller als die rein optische Technik. Das ist technisch wesentlich einfacher und unaufwändiger. Ihr Chip besteht aus einer Silberschicht auf einer Aluminium-Nitrit-Keramik. Bei ihrem Versuch ist weniger Strom nötig als bei anderen, die Vakuumanforderungen sind nicht mehr so streng und sie haben zusätzlich eine Förderbandstruktur entwickelt, die das Kondensat sofort zur gewünschten Stelle transportiert, wenn es erzeugt wird. Wolfgang Hänsel ist überzeugt: "Unser Experiment ist deutlich einfacher, die Technik ist simpler und dadurch auch viel günstiger. Entscheidend ist die Anwendung für einzelne Atome, magnetische Potenziale sind ein großer Schritt, wenn man Atome einzeln ansprechen kann." Die Forschergruppe ist sich aufgrund der Robustheit, der Einfachheit und der großen Möglichkeiten von Chip-Anwendungen sicher, dass bald weitere überzeugende BEC-Mikrochip-Experimente folgen werden.

Diese Ansicht teilen auch Ron Folman und Jörg Schmiedmayer von der Universität Heidelberg in ihrem News&Views-Artikel in Nature. Sie versprechen sich von dem Atom-Chip in nächster Zeit neue Erkenntnisse über verschiedene quantenmechanische Phänomene und die bisher noch kaum detailliert erforschte Dekohärenz (Vgl. Quanten im Chaos), zumal diese Destabilisierung des Quantenzustands das gesamte Konzept des Atom-Chips infrage stellen könnte.

Anwendungsgebiete für den Atom-Chip gibt es viele: Miniaturversionen hoch präziser Atom-Uhren, spezielle Sensoren für Präzisionsmessungen oder Navigationssysteme. Der Atom-Chip könnte aber auch in Quantenkommunikations- oder Verschlüsselungssystemen eingesetzt werden. Quantenbits (Quanteninformationseinheiten) könnten mit diesem Chip möglicherweise bald nicht mehr nur transportiert, sondern gespeichert werden. Und auch das Fernziel, den Quantencomputer sehen Folman und Schmiedmayer ein wenig näher gerückt:

"Das letzte Beispiel [möglicher Anwendungen] und das weit reichendste, ist der Quantencomputer, für den die Quantentheorie eine neue Art von Verarbeitungs-Logik voraus sagt und der in einiger Hinsicht die klassischen Computer ausstechen wird, v.a. hinsichtlich der Geschwindigkeit der Rechenvorgänge. Wenn weitere Fortschritte bezüglich der Ein-Atom-Fallen und der kontrollierten Verschränkung gemacht sein werden - was für Computing notwendig ist - könnte sich der Atom-Chip als die offensichtlich erste Wahl zum Bau eines Quanten-Computers erweisen."