Quanten im Chaos
Es gibt einen Unterschied zwischen Quanten-Chaos und klassischem Chaos, er zeigt sich auch auf der Stufe der kleinsten Skalen-Einteilung
Schrödingers Katze sträuben sich die Haare und sie ist vielleicht doch schon tot, obwohl noch nicht gemessen wurde. - In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature stellt Wojciech Hubert Zurek von der Theory Division des Los Alamos National Laboratory in New Mexico seine neuen Erkenntnisse zu chaotischen Quantensystemen vor.
Dabei zeigt sich, dass die Quantenwelt mal wieder überraschend ist, denn entgegen der Erwartung gibt es eine Kleinstruktur in der Größenordnung unterhalb der Planck-Skala (10 hoch-44s, mehr zur Planck-Skala), die Interferenzeffekte festlegt. Diese Struktur ist zwar extrem klein, aber dennoch physikalisch signifikant. Zurek benutzt die Wigner-Formulierung der Quantenmechanik, die den Zustand eines Teilchens mittels der Wigner-Funktion ergibt.
Bisher war davon ausgegangen worden, dass es bei der Quantenmechanik im Phasenraum (Raum mit Koordinaten von Position und Impuls) keine Struktur unterhalb der Planck-Skala gibt. Das "klassische Chaos" (mehr zu Chaos-Forschung) ist seit Jahren intensiv erforscht worden und wird inzwischen weitgehend verstanden. Es wird typischer Weise im Kontext des mathematischen Phasenraums diskutiert, wobei es Dimensionen sowohl für Ort wie für Impuls der Teilchen gibt.
In der Quantenmechanik sagt Heisenbergs Unschärferelation von 1927, dass wir nicht gleichzeitig den Ort und den Impuls eines Teilchens wissen können. Der Grund ist eben der, dass ein Gerät, mit dem wir den Ort messen, nicht gleichzeitig ein Gerät sein kann, mit dem wir den Impuls, also die Geschwindigkeit eines Teilchens bestimmen. Die Unschärfe ist somit ein echtes Element von Unbestimmbarkeit.
Schrödingers Katze
Der Physiker Erwin Schrödinger verdeutlichte mit dem als "Schrödingers Katze" bekannt gewordenen Paradoxon 1935 die exotischen Qualitäten der Quantenwelt, bzw. seine eigenen Zweifel an der Richtigkeit der Annahmen der Quantenmechanik. Es geht um die Überlagerungen makroskopischer verschiedener Zustände, anders gesagt die gleichzeitigen verschiedenen Eigenschaften von Teilchen. Im Beispiel wird das mit der Wahrscheinlichkeit des Zerfalls eines Atoms verdeutlicht. Schrödinger formulierte es so:
Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Y-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind.
Noch schöner erklärt Douglas Adams das Gedankenexperiment in Dirk Gentlys holistische Detektei.
Die Katze ist also sowohl tot wie lebendig - oder beides - und diesen Zustand hat sie, bis jemand sie, bzw. die Versuchsanordnung beobachtet, erst dann entscheidet sich, ob sie lebendig oder tot ist. Dass das im Alltag nicht erfahrbar ist, hat zu vielen Diskussionen unter den Physikern geführt.
Dekohärenz
In der Alltagswelt beobachten wir keine Schrödinger-Katzenzustände, weil die Quanten ständig mit der Umgebung interagieren. Inzwischen vertreten viele Physiker die Auffassung - unter ihnen auch Zurek bereits seit Jahren - dass die unentschiedenen Zustände in der Quantenmechanik nicht erst durch die Messung oder Beobachtung aufgelöst werden, sondern durch eben diese Wechselwirkung mit der Umwelt, der so genannten Dekohärenz. Die Katze lebt oder stirbt also nicht erst im Moment der Messung, sondern bereits durch eine Reaktion mit der Umgebung wie z.B. Luftmoleküle, das Tageslicht oder kosmische Neutrinos. Der Kollaps der Überlagerungen makroskopischer verschiedener Zustände, also das Fegefeuer von Schrödingers Katze, hängt von diesen Bedingungen ab und wird dadurch möglicherweise berechenbar.
Zurek plädiert dafür, alle quantenmechanischen Denkmodelle praktisch zu überprüfen:
Es scheint also möglich, dass Schrödingers Katze eventuell den gleichen Weg nimmt, wie viele andere paradoxe Quanten-Gedankenexperimente, die - nachdem sie von klassischen vorgefassten Meinungen und der Aura des Paradoxen entstaubt wurden - zur viel sinnvolleren Beschäftigung mit ihnen in potenziellen quantenphysikalischen Anwendungen geführt haben.
Zureks Berechungen mithilfe der Wigner-Formulierung ergeben ein Maß der Dekohärenz auf der von ihm nachgewiesenen Kleinstruktur, die Empfindlichkeit des Systems kann bestimmt und es kann berechnet werden, wann der Kollaps einsetzt.
In einem begleitenden News-and-Views-Artikel in der gleichen Ausgabe von Nature zeigt sich der Physiker Andreas Albrecht von der University of California in Davis beeindruckt:
Der Kampf, unsere Intuition und Einsichten der Quantenwelt anzupassen, war bereits ein ziemliches Abenteuer, dass zu Umsetzungen wie Transistoren, Bose-Einstein-Kodensatoren und die Idee des Quanten-Berechnung geführt hat. Es ist klar, dass dieses Abenteuer noch lange nicht vorüber ist und ich erwarte, dass noch viele bemerkenswerte Entwicklungen kommen werden. Zureks Artikel klärt einige alte Missverständnisse und hilft uns dabei, eine bessere Quanten-Intuition aufzubauen, die wir für eine aufregende Zukunft brauchen werden.