Ein Gähnen, das um die Welt ging

Das Weiße Haus braucht keinen Videodoktor, um CNN blöd aussehen zu lassen

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Eine "Komödie der Irrtümer" hat sich in den USA entsponnen, eine Komödie, in deren Verlauf Nachrichtenkonzern CNN einen "roten Kopf" bekam und ein kleiner Junge einen Brief vom Präsidenten.

Die Geschichte ist schnell erzählt, ihre Interpretation jedoch nicht so eindeutig wie die meisten US-Medien es darstellen. Diese harmlose Variante wäre aber auch schon deshalb lustig, weil ihr Protagonist sich so schön ins Bild stellt. Tatsächlich besitzt der hinter dem Präsidenten gähnende, strauchelnde und dösende "apfelwangige" (Washington Post) Tyler Crotty einen visuellen Charme, der so unmittelbar komisch ist, dass man fast misstrauisch werden und an eine ordnende Hand hinter den Bildern glauben möchte.

Das Video des Bored Bush Boy lief diese Woche in der David Letterman Show unter dem Motto "George W. Bush belebt Amerikas Jugend". In einer Serie von kurzen Clips zeigt es den Präsidenten bei einer Rede vor Fans in Florida; darunter ein etwa 12jähriger Junge, der sich vor Langeweile und Müdigkeit kaum auf den Beinen halten kann, auf seine Uhr blickt, unausgesetzt gähnt und den Kopf dreht, während alle um ihn herum steinerne Miene bewahren. Wie gesagt ein schönes Bild. Das dachten sich auch die Mitarbeiter des Senders CNN, die den Clip am nächsten Tag einige Male ausstrahlten. Dazu kommentierte Moderatorin Daryn Kagan, es sei doch zu komisch, dass keiner der Umstehenden auf das schläfrige Gezappel reagiert habe. Bei der nächsten Wiederholung sagte sie:

OK, jetzt haben wir mal wieder richtig gelacht, das Video war von David Letterman. Wir sind allerdings gerade vom Weißen Haus unterrichtet worden, dass dieses Kind, so lustig es auch war, nur in das Video reingeschnitten wurde, was auch erklären würde, dass die Menschen um es herum nicht reagierten. Soviel vom Weißen Haus.

Prompt wurde Letterman sauer, bekräftigte in seiner Show, dass das Video 100 Prozent echt sei und der Vorwurf der Manipulation eine "absolute Lüge". Auch sein Redakteur bekräftigte, sie bräuchten keinen Videodoktor, um die amerikanischen Politiker blöd aussehen zu lassen. Etwas später während der Sendung las Letterman eine Karte, die ihm zugesteckt wurde und sagte:

Gütiger Gott, mein Leben wird immer komplizierter. Gerade eben noch habe ich wie ein Rohrspatz auf das Weiße Haus geschimpft. Aber jetzt hat gerade CNN angerufen und gesagt, dass sie einen Fehler gemacht hat. Die haben nie eine Beschwerde vom Weißen Haus bekommen.

Soviel zu der Geschichte, die sich in den meisten US-amerikanischen Medien breit gemacht hat. Präsident spricht, Junge gähnt, das Weiße Haus wird involviert, Letterman tobt und CNN ist schuld. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass hier eines der für ihre unkritische Berichterstattung bekannten US-Mainstream-Medien den Schwarzen Peter einsteckt, damit er nicht im Weißen Haus landet. Hätte CNN sich wirklich mehrmals auf das Weiße Haus berufen, wenn keinerlei Tipp aus dieser Richtung gekommen wäre?

Vielleicht, so spekuliert Richard Leiby in der Washington Post, sei es dasselbe Büro gewesen, welches Valerie Plames Namen durchsickern ließ. Oder jenes, das für die Kampagne gegen Richard Clarke (vgl. Was wusste US-Präsident Bush - und warum wollte er nichts davon wissen?) verantwortlich war. Auch Paul Krugman von der New York Times findet es merkwürdig, dass CNN einen Kommentar, der nicht vom Weißen Haus kam, herausgegeben haben soll, ohne ihn zu prüfen. "CNN gibt eine Verleumdung weiter, die dem Weißen Haus zugeschrieben wird. Als die Verleumdung nach hinten losgeht, erklärt CNN seine Arbeit als umgültig und sagt, dass das Weiße Haus nicht dafür verantwortlich war. Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor....."

Freitag Nacht war Tyler - neu belebt - auf Anraten des Weißen Hauses bei David Letterman zu Gast, wo er sich als großer Bush-Fan bekannte und einen Brief des Präsidenten vorlas, in welchem jener dem Jungen und seinem republikanischen Vater demonstrativ für die Unterstützung im Wahlkampf dankt und mit den Worten schließt: "Es war heiß in der Halle und meine Rede war lang, ich kann es verstehen, dass ein Junge in deinem Alter da einnickt."