"Ein Hoffnungsträger, der nur enttäuschen kann"
- "Ein Hoffnungsträger, der nur enttäuschen kann"
- "Der deutsche Digitalisierungsdiskurs ist eine Angstdebatte"
- "Algorithmen scheitern bei Abweichungen und unvorhergesehenen Ereignissen "
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Matthias Becker über Digitalisierung, Automatisierung und Ausbeutung
Experten sind sich sicher, dass die Digitalisierung gravierende Folgen auf die Arbeits- und Lebenswelt der Menschen haben wird. Matthias Martin Becker hat darüber das Buch Automatisierung und Ausbeutung geschrieben, worüber ihn Telepolis interviewt hat.
Herr Becker, inwiefern verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt?
Matthias Becker: Um das zu beantworten, habe ich gerade ein ziemlich umfangreiches Buch geschrieben. Davon habe ich mich immer noch nicht ganz erholt ...
"Alltägliche Arbeit wird standardisiert und verdichtet"
Zugegeben, die Frage ist etwas allgemein. Sagen wir es anders - welche Veränderungen kommen auf die Beschäftigten in Deutschland zu?
Matthias Becker: Die Auswirkungen werden sich je nach Wirtschaftssektor unterscheiden. Die fortschreitende Digitalisierung verändert die industrielle Fertigung oder die Logistik auf andere Weise als beispielsweise die Pflegearbeit oder die Schulbildung oder auch die Landwirtschaft. Wenn ich die ganze große weite Arbeitswelt wirklich auf einen Nenner bringen müsste, würde ich sagen: die computergestützte Automatisierung zielt darauf, die alltägliche Arbeit zu standardisieren und digital abzubilden und diese Arbeit letztlich zu vereinfachen, zu kontrollieren und zu verdichten.
Das kann beispielsweise so aussehen, dass der Pflegekraft in einem Krankenhaus der nächste Arbeitsschritt von einer Software vorgegeben wird, so wie heute bereits Algorithmen zur Wegeoptimierung die Lagerarbeiter durch die Logistik-Zentren hetzen. Das kann aber auch so aussehen, dass ein angelernter Fabrikarbeiter, der eine Maschine warten oder reparieren soll, mit einer Datenbrille oder einer Sprachsteuerung Schritt für Schritt von einer Software angeleitet wird. Oder, um ein letztes Beispiel zu nennen, ein Versicherungssachbearbeiter prüft nur noch die Schadensfälle, die der Watson-Software von IBM verdächtig vorkommen. Der Rationalisierungsdruck führt insgesamt dazu, dass die Unternehmen Menschen durch Maschinen ersetzen, wo immer sich das für sie rechnet, so wie immer.
Aber in welchen Arbeitsbereichen sich Automatisierung wirklich auszahlt, ist durchaus unklar. Ob sich die Investition in neue Software und Anlagen lohnt, stellt sich außerdem häufig erst hinterher heraus. Ein ewiges, unausrottbares Ärgernis für das Management.
"Bis heute war Digitalisierung ein allmählicher Prozess"
In der Industrie 4.0-Debatte ist oft die Rede davon, dass sich die Qualifikationen der Beschäftigten grundlegend ändern müssen, um mit dem technischen Fortschritt Schritt zu halten. Wie sehen Sie das?
Matthias Becker: "Industrie 4.0" ist ein Marketingausdruck, nicht mehr, geprägt von einer Handvoll deutscher Manager und Wissenschaftsfunktionäre. In den USA kennt man diesen Begriff nicht, dort ist meist die Rede vom "Industriellen Internet der Dinge". Das kommt mir konkreter und realistischer vor, klingt aber natürlich weit weniger aufregend. Ich vermeide den Ausdruck "Industrie 4.0" nach Möglichkeit, weil er erstens geschichtlich keinen Sinn macht und zweitens eine grundstürzende Umwälzung der Produktion nahelegt, die überhaupt nicht in Sicht ist. Bis heute (und wahrscheinlich auch bis morgen) war die Digitalisierung in den Fabriken ein langer, allmählicher Prozess.
Er reicht zurück bis zu den ersten CNC-Maschinen (Computerised Numerical Control) in den 1970er Jahren, genau genommen sogar noch länger. Von einem Sprung bei der Automatisierung konnte ich bei meinen Recherchen nichts entdecken. Deshalb vermute ich, dass sich auch die Anforderungen an die Arbeiterinnen und Arbeiter erst einmal nicht rapide ändern werden ...
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