Ein Jahr Krieg: Belastungsprobe für die deutsch-US-amerikanischen Beziehungen
Seite 2: Die deutsche Industrie könnte bei der China-Politik die Reißleine ziehen
- Ein Jahr Krieg: Belastungsprobe für die deutsch-US-amerikanischen Beziehungen
- Die deutsche Industrie könnte bei der China-Politik die Reißleine ziehen
- Auf einer Seite lesen
Zwar sind Handelsstreitigkeiten zwischen der EU und den Vereinigten Staaten nichts Neues, doch könnte dieses aktuelle "Geplänkel" um grüne Subventionen eine neue Ära des Protektionismus einläuten, die die globalen Beziehungen, den internationalen Handel und die Zusammenarbeit in einer geopolitisch angespannten Zeit beeinträchtigt.
Ebenfalls im Widerspruch zu den Grundsätzen des "Friendshoring" scheint Deutschland seine Abhängigkeit von China zu erhöhen, was in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern mit Sorge gesehen wird. Im November letzten Jahres besuchte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation großer deutscher Unternehmen Beijing. Damit wird das anhaltende Interesse des Kanzleramts an engen Wirtschaftsbeziehungen zu China unterstrichen, obwohl die Regierungskoalition unter Scholz in Bezug auf die deutsche China-Politik tief gespalten ist.
Die Autoindustrie des Landes ist besonders abhängig von China, da Volkswagen mindestens die Hälfte seines Gewinns auf dem chinesischen Markt erzielt. Im Jahr 2022 investierte Deutschland eine Rekordsumme von zehn Milliarden Euro in die chinesische Wirtschaft.
Erschwerend kommt hinzu, dass ein bahnbrechender Bericht von Seymour Hersh kürzlich nahelegte, dass die USA hinter den Bombenanschlägen auf die Nord-Stream-Pipeline im vergangenen Jahr stecken könnten.
Frühere Untersuchungen der schwedischen, deutschen und dänischen Regierung haben ergeben, dass es sich bei dem Vorfall tatsächlich um einen Sabotageakt eines staatlichen Akteurs handelte, der Täter aber noch unbekannt sei. Einige Monate später folgte ein Bericht der Washington Post, in dem es hieß, es seien keine Beweise dafür gefunden worden, dass die Tat von den Russen begangen wurde, was die Öffentlichkeit im Zweifel darüber ließ, wer der Täter wirklich sein könnte.
Die deutsche Regierung hat auf Hershs Anschuldigungen nicht reagiert, zumindest nicht öffentlich. Die deutschen Mainstream-Medien reagierten verspätet auf Hershs Artikel, aber nur, um ihn abzutun, ohne ernsthafte Untersuchungen zu fordern.
Das lässt zweierlei vermuten: Entweder glauben die Deutschen nicht an die Richtigkeit der Anschuldigungen und ignorieren sie einfach, oder sie sehen sich politisch nicht in der Lage, angesichts der konfrontativen geopolitischen Lage, in der sich der Westen heute befindet, irgendetwas Negatives Richtung USA zu äußern.
Sollten sich die Schilderungen von Hersh als wahr erweisen, würde es darauf hindeuten, dass es den USA daran gelegen ist, Deutschland inmitten des russischen Angriffs in der Ukraine "auf Linie zu halten", aus Angst, dass das Land seine dringend benötigten Gaslieferungen einfach weiter von Russland beziehen würde. Es würde zudem darauf hindeuten, dass die Hauptachse, die seit 1945 ein wichtiger Bestandteil der US-Macht in der Welt ist, auf viel wackligeren Füßen steht, als es nach außen hin den Anschein hat.
Ein Jahr nach Beginn des Krieges in der Ukraine behauptet US-Außenminister Anthony Blinken bei seinem Treffen mit seinem Amtskollegen Wang Li auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass China erwägt, Russland Militärhilfe zukommen zu lassen. Die Chinesen haben sich nicht offiziell dazu geäußert, aber sollten sie tatsächlich diesen Weg einschlagen, werden die Vereinigten Staaten zweifellos darauf reagieren wollen.
Mögliche Reaktionen könnten darin bestehen, Sanktionen gegen China zu verhängen, die strikte Einhaltung des Sanktionsregimes gegen Russland noch stärker zu fordern, die US-Militärhilfe für Taiwan zu erhöhen oder die militärische Präsenz der USA in Asien auszubauen.
Angesichts der wirtschaftlichen Bedenken Deutschlands könnte es den Vereinigten Staaten schwerfallen, bei ihren transatlantischen Verbündeten die nötige Unterstützung zu finden, um gegenüber China so konfrontativ zu sein, wie sie es gerne würden. Wenn der Ukraine-Krieg eskaliert und die Chinesen sich möglicherweise noch stärker einmischen, was Deutschland zwingen würde, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, dann wird das eine echte Bewährungsprobe für die Beziehung zu den USA bedeuten.
Eines ist jedoch klar: Sollte Deutschland in so kurzer Zeit seine wirtschaftlichen Beziehungen sowohl zu Russland als auch zu China kappen, befindet sich das Land auf einem sicheren Weg Richtung wirtschaftlicher Selbstsabotage, insbesondere angesichts des erneuten amerikanischen Protektionismus.
Wie weit Deutschland bereit ist, aufgrund von Werten und geopolitischen Erwägungen zu gehen, bleibt abzuwarten. Aber die Beziehung zwischen den USA und Deutschland wird in Zukunft vor schwierigen Prüfungen stehen.
Die Bereitschaft der liberalen europäischen Regierungen, dem amerikanischen Beispiel zu folgen, war in den vergangenen zwei Jahren vornehmlich der Tatsache zu verdanken, dass ein demokratischer Präsident im Weißen Haus sitzt.
Sollte in zwei Jahren wieder eine nicht-atlantische Figur wie Donald Trump die Präsidentschaft übernehmen, könnte das die Beziehungen ernsthaft schwächen – selbst wenn die zunehmende wirtschaftliche Sorge um die deutsche Industrie die Bundesregierung dazu veranlassen sollte, eine härtere Haltung gegenüber dem Druck der USA, China zu isolieren, einzunehmen.
Das sind wichtige Faktoren, die in den USA berücksichtigt werden müssen, wenn wir angesichts des Jahrestags der russischen Invasion in die Ukraine darüber nachdenken, wie wir diesen Konflikt beenden können, bevor eine weitere Eskalation und eine größere geopolitische Konfrontation riskiert wird.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft. Übersetzung: David Goeßmann.
Suzanne Loftus ist Research Fellow im Eurasien-Programm des Quincy Institute. Sie ist spezialisiert auf die russische Außen- und Innenpolitik, Nationalismus und Identität sowie den strategischen Wettbewerb zwischen den Großmächten. Bevor sie zum Quincy Institute kam, arbeitete sie für das Verteidigungsministerium als Professorin für nationale Sicherheit am George C. Marshall European Center for Security Studies in Deutschland. Zuvor war sie bei den Vereinten Nationen in Genf und in der Privatwirtschaft tätig.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.