Ein Marshall-Plan für Nordafrika
Seite 4: Europa kann und muss mehr machen
Diese Initiativen gehen in die richtige Richtung, doch sie bleiben bei einem Blick auf die Bevölkerung Nordafrikas - derzeit über 180 Millionen Menschen - punktuell. Eine langfristige Stabilisierung der eigentlich chancenreichen Region kann nur erfolgen, wenn sich die Zukunftschancen für die junge Generation und vor allem die Position der Frauen verbessern.
Studien aus anderen Weltregionen zeigen, dass eine größere Beschäftigung unter Frauen ihr Ansehen und ihre Position in der Gesellschaft stärkt und mittelfristig auch die Geburtenrate sinken lässt. Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme für die junge Generation und eine Verbesserung des Bildungssystems sind dafür zentrale Angelpunkte.
Von einem langfristig angelegten Plan zur Stabilisierung der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft bleibt die EU weit entfernt. Dabei wurden die Grundsteine für eine solche Politik schon 2004 mit der European Neighbourhood Policy gelegt. In der aktuellen Revision der ENP, die im November veröffentlicht wurde, werden angesichts des als begrenzt wahrgenommenen Einflusses der EU pragmatischere Ziele definiert.
Doch der Einfluss der EU in Nordafrika ist vor allem im Maghreb keineswegs so begrenzt, wie er häufig wahrgenommen wird. In den Maghreb-Ländern hat die EU kaum außenpolitische Rivalen, die eine andere Vision für die Region verfolgen. Wie in vielen Fragen europäischer Außenpolitik könnte eine stärkere Koordination zwischen den europäischen Staaten und eine langfristig angelegte Verpflichtung den europäischen Einfluss deutlich vergrößern.
"Ein tief sitzendes Misstrauen von Teilen des politischen Systems"
Dennoch sind die Spielräume europäischer Entwicklungszusammenarbeit in den verschiedenen nordafrikanischen Ländern, abhängig von der jeweiligen politischen Lage des Landes, sehr unterschiedlich. Während beispielsweise die GIZ und die deutschen Parteistiftungen in Tunesien und Marokko relativ frei arbeiten können, wird ihr Bewegungsspielraum in Ägypten immer beschränkter.
Anfang des Jahres hat die Friedrich-Naumann-Stiftung ihre Arbeit in Ägypten nach fast 50jähriger Aktivität eingestellt und ist nach Amman in Jordanien umgezogen. Laut Stiftungsleiter René Klaff hätten die Bedingungen, welche das ägyptische Regime der Stiftung auferlegen wollte, fast jede zivilgesellschaftliche Arbeit unmöglich gemacht.
Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen von Teilen des politischen Systems und seiner Eliten gegen die Kooperation ausländischer Einrichtungen wie der politischen Stiftungen mit zivilgesellschaftlichen Institutionen in Ägypten.
In Algerien, welches über Jahrzehnte auf einen starken Isolationskurs setzte und in den 90er-Jahren von einem Bürgerkrieg zerrüttet wurde, haben die Stiftungen gar keine Niederlassung und auch die GIZ unterhält nur 7 Projekte. Doch gerade Ägypten und Algerien sind die Schwergewichte Nordafrikas, welche die Entwicklung der Region wesentlich mitbestimmen.
Überall das machen, was möglich ist
Für die deutsche und europäische Entwicklungszusammenarbeit heißt das, in jedem Land das zu machen, was möglich ist. Wenn sich in den für Kooperation offeneren Ländern wie Tunesien und Marokko Verbesserungen abzeichnen, kann dies auch ein Anreiz für die autoritären politischen Systeme sein, sich zu öffnen.
Aktivisten aus der Region fordern eine deutlich aktivere Rolle Europas, gerade auch in den autoritärsten Staaten. Mohamed al-Baladawy, der in Kairo für AFTE (Association for Freeddom of Thought and Expression) arbeitet, sagt:
Deutschland muss nicht auf das Einverständnis der ägyptischen Regierung warten, um mit Initiativen der Jugend oder mit Unternehmern zu kooperieren. Die Regierung al-Sisi versucht nicht nur die eigene Bevölkerung einzuschüchtern, sondern auch ausländische Regierungen. Doch Deutschland und Europa dürfen sich dadurch nicht von einem langfristigen Plan abbringen lassen.