Ein Messias an der Front

Bild: © Cross Creek Pictures Pty Ltd / Mark Rogers

Mel Gibsons "Hacksaw Ridge" folgt einem frommen Pazifisten in die Hölle des Pazifikkriegs, wo die Kraft des Glaubens jede Form der Gewalt legitimiert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Desmond Doss (Andrew Garfield) trägt keine Waffe. Mit leeren Händen rennt er über das Schlachtfeld, um Dutzende seiner Kameraden aus dem Schlamm der Kraterlandschaft zu ziehen. Tragen seine Hände keinen Kameraden, faltet Doss sie für ein Gebet. Er bittet Gott um die Kraft noch jemanden retten zu können. Sein Gebet wird erhört, 75 Mal. "A true story", wie der Film zu Beginn verdeutlicht. Die wahre Geschichte eines jungen Christen, der 1942 den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigerte und wenig später, aus freien Stücken, als unbewaffneter Sanitäter in den Pazifikkrieg zog.

Desmond Doss stammt aus der Kleinstadt Lynchburg in Virginia. Seine Heimat inszeniert Mel Gibson als ein Paradies der 1940er. Fast fühlt es sich an, als gehöre ein Weichzeichner über die Bilder gelegt, die in saftigen Farben Desmonds Elternhaus, die Kleinstadt und ihre Umgebungslandschaft zeigen. Dort beobachten wir den jungen Desmond beim Heranwachsen, bis er, zum Mann geworden, die schöne Dorothy (Teresa Palmer) auf einen Hügel führt, um sie dort das erste Mal zu küssen.

Hacksaw Ridge (15 Bilder)

Bild: © Metropolitan FilmExport

Der Film arbeitet mit diesen Ansichtskarten-Tableaus bereits auf den Einschnitt hin, den der Krieg für das Leben des jungen Amerikaners bedeuten wird. Und doch spricht noch etwas anderes aus diesen Bildern. Eine Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Welt noch einfacher war. Eine Zeit in der man zum Leben ein Mädchen, die Bibel und ein klares Feindbild brauchte. Eine Zeit der beruhigenden, geradlinigen Lebensentwürfe. Im Grunde der perfekte Nährboden für das Comeback von Mel Gibson, der mit "Hacksaw Ridge" seine erste Regiearbeit nach zehn Jahren abliefert.

Comeback eines Konservativen

Es scheint konsequent, dass Mel Gibson die Geschichte eines strenggläubigen, pazifistischen Kriegshelden erzählt. Schließlich nimmt Gibson als devoter Christ selbst eine Sonderrolle innerhalb Hollywoods ein, wo er eine konservative Agenda vertritt, die er, im Gegensatz zum ebenfalls erzkonservativen Clint Eastwood, auch in seinen Filmen immer wieder propagiert - mit großem Erfolg.

Das konnte Gibson bereits mit "Die Passion Christi" beweisen. Der Film wurde trotz der Antisemitismusvorwürfe gegen Gibson und schlechter Kritiken ein gewaltiger Erfolg. Der reaktionäre Hollywoodstar brachte seine ganz eigene Zielgruppe an die US-Kinokassen, wo der Film knapp 370 Millionen Dollar einspielte.

Bild: © Metropolitan FilmExport

Dass Gibson nun wieder eine Großproduktion wie "Hacksaw Ridge" leitet, dürfte ein Zugeständnis an eben diese Zielgruppe sein. Diesmal ist sogar die amerikanische Presse, die Gibson für "Die Passion Christi" bereits vor Kinostart in der Luft zerriss, mit an Bord: "Hacksaw Ridge" schnitt bei den US-Kritikern gut ab. Völlig überraschend ist das nicht.

Gibsons Filme entwickeln, jenseits ihres intrusiven Weltbilds mitunter eine enorme Energie. Sein letzter Film "Apocalypto" steht als gutes Beispiel dafür. Der historische Actionfilm erzählt in opulenten Bildern von einer Zivilisation, die, getrieben von einem dekadenten Adelsgeschlecht, in religiösem Wahn untergeht. Natürlich kommt Gibson auch hier nicht umhin, den Maya auf Yucatan das gleiche Familienbild überzustreifen, das er in allen Filmen propagiert: die patriarchal strukturierte, monogam gelebte Kernfamilie. Ein Ideal, dass der Gibson verteidigt, ungeachtet von Zeit, Genre und Kriegsschauplatz.

Den Krieg überwinden…

In "Hacksaw Ridge" verteidigen Desmond Doss und sein Platoon dieses Ideal an einer gewaltigen Steilküste Okinawas. Senkrecht türmt sich die lehmige, völlig zerbombte Landschaft hier zur titelgebenden Klippe auf. Ein Kletternetz führt die knapp 30 Meter hohe Hacksaw Ridge hinauf. Oben angekommen erwartet die Soldaten der Initiationsritus, auf den Gibsons Film bereits im verträumten Virginia hingearbeitet hat. Der Krieg schlägt mit voller Wucht in die Körper der jungen Amerikaner ein, und mit ihm überrollt Gibsons reaktionäres Weltbild die Leinwand.

Bild: © Impuls Pictures AG

Es folgt ein Inferno aus zerfetzten Leibern, zerschmettertem Material und Einschusslöchern in Verhoeven-Größe. Die Wucht des ersten Aufpralls wandelt Gibson sukzessive vom Albtraum in ein präzise getaktetes Spektakel um, in dem der Heroismus bald aus dem Schatten der Kriegsgräuel tritt, um diese in den Hintergrund drängen. Die Welt wird wieder einfach und übersichtlich.

Doss zieht einen Kameraden nach dem anderen aus dem blutigen Schlamm, während die japanischen Soldaten versuchen mit diversen Kriegsverbrechen noch einmal das Ruder herumzureißen. Aber Doss schafft es, endgültig im Superhelden-Modus angekommen, die Granate abzuwehren, die ein japanischer Soldat unter dem Deckmantel der weißen Fahne zwischen die GIs wirft. Der Pazifist wird einer der wichtigsten Frontkämpfer.

… mit Gottes Hilfe

Das eigentliche Dilemma, dem sich besonders ein frommer Pazifist im Zweiten Weltkrieg stellen muss, und den Gibson bis dahin ansatzweise verfolgt, ist geklärt, sobald Doss und seine Einheit auf Okinawa landen. Ein Gebot, das "Du sollst nicht Töten" sagt, mit in den Krieg zu nehmen, ist kein Problem mehr. Die moralisch schwierige Frage, ob die notwendige Niederlage der Achsenmächte, die nur durch das Töten von Menschen herbeizuführen ist, religiös legitimiert werden kann, verliert schlicht ihre Bedeutung.

Bild: © Cross Creek Pictures Pty Ltd / Mark Rogers

Desmond Doss ist nicht länger ein Mann, dessen Überzeugung als Christ und Pazifist auf die Probe gestellt wird, er ist Gibsons Prophet an der Front. Sein Glaube gibt den Kameraden die Kraft für den letzten, schlachtentscheidenden Angriff auf die japanischen Stellungen. Er stiftet die heilige Aura für das Gemetzel.

Eine Aura, die noch vom Himmel scheint, als Doss unter der Felddusche das Blut seiner Kameraden von sich abspült. Am nächsten Schlachttag wird er wieder Kameraden vom Schlachtfeld ziehen, während diese japanische Kriegsverbrecher niedermähen. So funktioniert Gibsons Version des gläubigen Pazifisten eben doch am besten: in perfekter Symbiose mit dem Soldaten.