Ein Requiem für AIDA

Stufe für Stufe wollten Werber Werbeerfolge erziele. Wie Werbung wirklich wirkt - Teil 2

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2. Folge der Serie, die der Allensbacher Wissenschaftsjournalist Wolfgang J. Koschnick über Werbung, Marktkommunikation und den Stand der Werbewirkungsforschung in "Telepolis" schreibt (Teil 1: Ihr größter Feind ist die Werbung selbst).


In der Werbebranche gilt ein "eisernes Gesetz". Es lautet: Der größte Schwachsinn hält sich überall die treuesten Anhänger. Man ist versucht, von einem Trump-Effekt zu sprechen. Ganze Generationen von Werbeleuten haben dasselbe gelernt und lernen es jedweder Vernunft zum Trotz noch immer: Am Anfang jeder Werbewirkung steht die Aufmerksamkeit. Wenn Werbung keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann sie erst gar nicht wirken. Aber Aufmerksamkeit allein reicht natürlich nicht aus.

Werbung muss darüber hinaus auch noch Interesse wecken. Doch mit dem geneigten Interesse des Publikums allein lässt sich auch noch keine einzige Haferflocke und kein einziger Hundekuchen verkaufen.

Die Leute müssen auch noch dazu gebracht werden, ein dringendes Verlangen nach dem beworbenen Objekt zu verspüren.

Und schließlich muss dieses Verlangen so stark sein, dass die Leute ihm sofort Taten folgen lassen - Kauftaten -, sich ins nächste Geschäft stürzen und das Ding kaufen. Dann wenigstens hat Werbung wirklich nachhaltig und erfolgreich gewirkt.

Das wenigstens will uns die viel zitierte AIDA-Formel glauben machen. Und das Fatale daran ist: Auf den ersten Blick und womöglich sogar noch auf den zweiten Blick leuchtet das zunächst einmal ein. Werbung wirkt, wenn sie beim Konsumenten eine festgelegte Abfolge von Gemütszuständen auslöst:

Action (Kaufakt)

Desire (Kaufwunsch)

Interest (Interesse)

Attention (Aufmerksamkeit)


Tatsächlich ist noch heute eine überwältigende Mehrheit der Werbeleute davon überzeugt, dass die AIDA-Formel eine zwar etwas einfache, aber sehr prägnante Beschreibung der Schritte darstellt, die bei Werbeprozessen ablaufen: So funktioniert das. Sie lassen sich auch mit überzeugenden Gegenargumenten nicht eines Besseren belehren.

Immer wieder preisen Werbeleute die AIDA-Formel als Stein der Weisen an. Und das bedeutet auch: Die Werbefritzen haben von ihrem ureigensten Geschäft nicht einmal einen blassen Schimmer. Sie begreifen die einfachsten Zusammenhänge nicht. Sie sind unbelehrbare Ignoranten.

Selbst so ein medialer Gigant wie der Der Spiegel-Verlag greift in seinen Publikationen auf AIDA zurück und beschreibt so den Ablauf der Werbewirkung. Und auch der weltweit operierende Medienkonzern Gruner + Jahr preist ausgerechnet in einer Publikation über die Onlinewerbung, die ja eine ziemlich neuzeitliche Erscheinung ist, das AIDA-Modell als der Weisheit letzten Schluss an.

Es wäre indes sehr schlecht bestellt um die Werbeforschung, wenn sie seit der AIDA-Formel noch keinen Schritt vorangekommen wäre; denn was nur wenige wissen: AIDA ist hundertundzwanzig Jahre alt. Und damit ist nicht die schöne Oper von Giuseppe Verdi gemeint (die ist sogar noch älter).

Die Formel ist inhaltlich und sachlich so total veraltet und hinter dem Mond zurückgeblieben, dass man sich wundern muss, warum so viele Werbefritzen noch heute so begeistert damit herumhantieren. Während die Werbeforschung doch - wenn auch nicht gerade mit Sieben-Meilen-Stiefeln - fortgeschritten ist, treten die Werbepraktiker in ihren Annahmen über die Werbewirkung noch immer auf derselben Stelle, auf der ihre Großväter und Ur-Großväter schon vor hundert Jahren herumgetrapst sind.

Voller Ignoranz durch die bunte Werbewelt

Tatsächlich entstand die AIDA-Formel im Jahr 1898 - zu einem Zeitpunkt also, als es so etwas wie eine ordentliche Werbewirkungsforschung noch gar nicht gab. Es gab noch nicht einmal ordentliche Werbung, weil keine gesättigten Märkte existierten. In Märkten, in denen Mangel herrscht, braucht es keine Werbung, um die wenigen Produkte zu verkaufen. Die verkaufen sich von selbst. Zu der Zeit gab es nur "Reklame", und die war dazu da, das werte Publikum zu informieren.

Die Werbung treibenden Unternehmen kehrten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen feuchten Kehricht um die Erkenntnisse der Wissenschaft. Damals galt es noch als abwegig, überhaupt irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Betriebsführung umzusetzen. Die angewandte Wirtschafts- und Betriebspsychologie hat in Europa ja überhaupt erst um 1910 Fuß fassen können. Und das bedeutet, dass sie gerade mal einen Fuß in die Tür steckte. Erst in den 1920er Jahren gelang der zaghafte Brückenschlag von Wissenschaft zu Wirtschaft.

Entwickelt wurde die Formel von dem Amerikaner E. St. Elmo Lewis auch nicht als Werbewirkungsmodell, sondern als Anleitung für Verkaufsgespräche. Lewis war nämlich Präsident der Broun-Green Company, einer großen Druckerei in Delaware. Und alle seine Sorgen kreisten um die Frage, wie er nur seine Außendienstler dazu bringen könnte, bessere Verkäufe zu erzielen. Nichts lag ihm ferner als die Wirkung von Werbung, die damals - auf dem europäischen Kontinent wenigstens - Reklame hieß und mit übler Marktschreierei gleichgesetzt wurde.

So formulierte Lewis eine Art praktischen Ratgeber. Er dachte sich das auch nicht als Formel aus und hätte es sich erst recht im Traum nicht einfallen lassen, dass er damit zum Stammvater aller Stufenmodelle der Werbewirkung werden würde; denn mit Reklame hatte Lewis überhaupt nichts am Hut. Er hämmerte seinen Außendienstlern einfach immer nur ein: "Attract attention, maintain interest, create desire and get action." (Erzielt Aufmerksamkeit, bewahrt Interesse, schafft Begehren und bewirkt Handeln). So banal war das…

Auch das übrigens ist charakteristisch. Die AIDA-Formel entstand durch Nachdenken und Intuition, nicht durch Empirie oder gar Forschung. Das gilt - mehr oder weniger - auch für all die anderen Stufenmodelle der Werbung. Immer hat sich da einer hingesetzt und gegrübelt: Wie könnte das wohl von dem Punkt an ablaufen, an dem man Werbung macht, bis man zu dem Punkt anlangt, an dem dann am Ende die Wirkung herauskommt?