Ein Skandal kommt den Demokraten in den USA zugute

Ein schwuler republikanischer Abgeordneter musste wegen kompromittierender Emails an Minderjährige zurücktreten, für den weiteren Wahlkampf ist eine Schlammschlacht zu erwarten

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Im Gebälk der US-Republikaner ächzt es fünf Wochen vor den "midterm elections" gewaltig. Zu den nicht ablassenden Negativnachrichten aus dem Irak, der jüngsten National Intelligence Estimate und den Enthüllungen im neuen Buch des Journalisten Bob Woodward kam am Wochenende auch noch das Outing des schwulen Republikaner-Abgeordneten Mark Foley aus Florida mithilfe kompromittierender Emails.

Foley, ein Führungsmitglied im Kongressausschuss für Kinderrechte, der sich auch stark gegen Kinderpornographie machte, hatte im Internet allzu offen mit einem 16-Jährigen geflirtet. Noch dazu wusste die Republikaner-Führung seit Monaten von seiner Neigung. Jetzt punkten die Demokraten ausgerechnet auf dem Feld der konservativen "family values", das als Republikaner-Domäne gegolten hatte. Da die heiße Phase des Wahlkampfs gerade erst begonnen hat, ist als Folge des Skandals eine Wahlkampf-Schlammschlacht zu erwarten. Die Stunde des "opposition research" hat begonnen.

Ironischerweise wurde das vergangene Wochenende, an dem sich die Türen und Büros des US-Kongresses - Senat und Repräsentantenhaus - zugunsten des Wahlkampfs schlossen, zu einem Punktsieg für die Demokraten, ohne dass diese etwas dazutun mussten. Denn der Republikaner-Abgeordnete Mark Foley aus Florida, der in seinem Bezirk sichere Siegeschancen hatte, erklärte umgehend seinen Rücktritt, nachdem der TV-Sender ABC am Freitag recht eindeutige Emails Foleys mit einem 16-Jährigen veröffentlicht hatte. Der Sender postete weitere Kopien des Chatroom-Geflüsters.Grundlage der ABC-Nachforschungen war ein recht unbekannter Blog, dem einige der Emails von Foley zugeschickt worden waren.

Der 52-Jährige trat sofort zurück und ließ der Presse nur ein paar Sätze des Bedauerns zukommen, bevor er sich in eine Alkoholentzugsklinik zurückzog, wo er für die Medien nicht zugänglich ist. Ein Alkoholproblem hatte er nach Aussagen von Bekannten allerdings nicht.

Zum Skandal von nationalen Ausmaßen wurde die Angelegenheit allerdings erst, als sich herausstellte, dass die Republikaner-Führung im Kongress seit dem letzten Jahr wusste, dass Foley gerne „überfreundliche" Emails und Voicemails an Highschool-Jungs schickte, die er über das Page-Programm des Abgeordnetenhauses kennengelernt hatte. Inzwischen ermittelt sogar die Bundespolizei FBI wegen möglicher Bundesrechts-Verstöße gegen Foley. In der auf politische Korrektheit getrimmten öffentlichen Sphäre der USA sagt niemand, was in Wirklichkeit alle denken: ein "child molester", ein "Kinderficker".

Foleys Rücktritt, der wahrscheinliche Verlust seines Sitzes zugunsten des demokratischen Herausforderers und die politischen Konsequenzen für die Kongress-Republikaner leiten den "heißen Wahlkampf" ein - und freuen freilich die Demokraten. Nach Umfragen haben diese die besten Aussichten, den Republikanern die mindestens 15 nötigen Sitze zur Wiedererlangung ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus abzunehmen. Fraglich, aber nicht ausgeschlossen ist, dass sie die nötigen sechs Sitze im Senat dazugewinnen können. Ironischerweise hatten die Demokraten vor dem Foley-"Skandal" monatelang geplant, die "midterm elections", bei denen fast immer lokale und regionale Themen im Vordergrund stehen, zum Referendum (lokales Beispiel aus New Mexico: Democrat Patricia Madrid exposes Republican Heather Wilson's deception on accountability for Iraq) über die unpopuläre Bush-Regierung und die Außenpolitik zu machen. Nun fällt ihnen gegen alle Erwartungen das Thema "family values" quasi in die Hände. Doch ob die demokratischen Strategen in den kommenden fünf Wochen darauf setzen wollen, ist im bislang kurzen "fallout" des jüngsten Skandals nicht auszumachen.

Opposition Research

Um dem drohenden Machtverlust entgegenzuwirken und den Sitzeverlust zu minimieren, hatten die konservativen Strategen dagegen einen Negativ-Wahlwerbungsfeldzug geplant. Etwas anderes bleibt ihnen wahrscheinlich auch jetzt nicht übrig. Es ging und geht ihnen dabei darum, die Aufmerksamkeit von der Bush-Regierung, dem Irakkrieg und der Wirtschaft - den "nationalen Themen" - abzulenken auf persönliche Verfehlungen der gegnerischen Partei und lokale Kontroversen. Das für die Wahlkampfkoordinierung zuständige National Republican Congressional Committee hat dazu sechs Vollzeitmitarbeiter angestellt, die mehr als 90 Prozent des auf 60 Millionen Dollar veranschlagten Budgets verwenden sollen, um demokratische Bewerber schlechtzumachen. Mit dem Geld wird sogenanntes "opposition research" betrieben. Freiwillige Parteimitglieder und bezahlte Firmen wühlen in Medien-, Gerichts-, Regierungs-, Versicherungs- und Bankenarchiven nach kompromittierenden Aussagen, nach Fotos, Zahlungen und allerlei wahlkampftechnisch verwertbaren "Verfehlungen" des gegnerischen Kandidaten und machen sie öffentlich - in Briefwurfsendungen, TV-Werbung und Pressemitteilungen. Der oppositionelle Kandidat soll damit schrittweise unglaubwürdig gemacht und der eigene Kandidat aufgewertet werden. Diese "negative ads" werden nach Auffassung von Beobachtern im Wahlkampf 2006 eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jahren.

"Opposition research" beinhaltet auch Interviews mit Bekannten der anzugreifenden Person oder Enthüllungen über Familienangehörige, die moralische oder finanzielle Verfehlungen begangen haben könnten, und zu "Skandalen" aufgebauscht werden. Selbst Gerüchte, die nicht beweisbar sind, dienen als Wahlkampffutter, zum Beispiel durch "Informationsweitergabe" an die örtliche Presse, die dann in indirekter Rede darüber berichtet. Das Motto "irgendetwas wird schon hängenbleiben" funktioniert immer wieder auch bei Pseudoumfragen, die, wenn sie nur veröffentlicht werden, ihrem Zweck dienen. Eine dieser Umfragen lautet beispielsweise: "Wie würden Sie wählen, wenn beweisbar wäre, dass Kandidat X seine Frau schlägt?". Selten ist nachvollziehbar, ob solche Tricks von der Wahlkommission einer Partei in Auftrag gegeben wurden. Denn es gibt Firmen, die zusammen mit Rechtsanwälten professionell mediale Gerüchteküchen betreiben und über Dritte von den Wahlkampfstrategen angestellt werden. Als wichtigste und billigste Art, solcherlei "opposition research" erfolgreich zu vermarkten, gilt der gute Kontakt zu Journalisten, die sich von "Enthüllungen" Karrierevorsprünge erhoffen und Lügen oder Halbwahrheiten verbreiten.

Die politischen Auswirkungen des Foley-"Skandals" waren zu Wochenbeginn in den US-Medien zunächst nur auf Spekulationen gebaut. Paul Krugman schloss in einem Kommentar in der "New York Times" nicht aus, dass das seit mehreren Jahrzehnten bestehende Bündnis aus rechten christlichen Wertekonservativen und rechten Neoliberalen, das die Republikanerpartei seit der Bush-Regierung als unbesiegbar erscheinen ließ, jetzt vor dem ernsthaften Zerfall stehen könnte. Was Demokraten und Republikaner nicht unbedingt davon abhalten muss, auf der Grundlage des "opposition research" einen regelrechten ""Kinderficker"-Wahlkampf mit den entsprechenden "Enthüllungen" und "Skandalen" vom Zaum zu brechen.