Ein deutsch-französisches Europa?
Seite 2: Fundamentale Gegensätze in der Eurozone
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Diese punktuelle Annäherung kann aber die fundamentalen Gegensätze in der Eurozone, die maßgeblich die nationalistischen Zentrifugalkräfte in ihr antreiben, nicht überbrücken. Die gegebenen ökonomischen Ungleichgewichte, die den Staatenbund zu sprengen drohen lassen sich nur oberflächlich mit europäischen Pathos übertünchen.
Schon bei der Flüchtlingsfrage brachen die Gegensätze auf dem Brüssler "Harmoniegipfel" weithin sichtbar auf: Die mittelosteuropäischen EU-Länder, allen voran die von Rechtspopulisten regierten Staaten Ungarn und Polen, weigerten sich weiterhin, im nennenswerten Ausmaß an den europäischen Umverteilungsmechanismen für Flüchtlinge zu partizipieren.
Zudem kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem französischen Präsidenten Macron und Vertretern der sogenannten Visegrad-Länder (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn), die sich nicht nur um die europaweite Verteilung von Flüchtlingen, sondern auch um die Streitfrage des europäischen Sozialdumpings entzündeten.
Es ging bei den stürmischen Konsultationen um die sogenannte EU-Entsenderichtlinie für Arbeitnehmer, mit der das große soziale und wirtschaftliche Gefälle in der EU ausgenutzt wird, um vor allem osteuropäische Scheinselbständige in Westeuropa zu osteuropäischen Löhnen arbeiten zu lassen.
Der zentrale machtpolitische Gegensatz der EU, der aus den extremen ökonomischen Ungleichgewichten in dem Währungsraum resultiert, wurde aber im offiziellen Programm des Brüsseler Gipfels ausgeklammert. Im Zentrum der binneneuropäischen Spannungen - auch gerade zwischen Berlin und Paris - steht die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Währungsunion.
Politischer Umbau notwendig
Paris muss nach den Bundestagswahlen darauf drängen, einen politischen Umbau in der EU zu initiieren, der die extremen deutschen Handelsüberschüsse abbaut, die den Währungsraum destabilisieren.Die deutschen Handelsüberschüsse die auch Trumps Pöbeleien gegen diese Berliner Beggar-thy-Neighbor-Politik zugrunde lagen, entfalteten auch in Europa ihre verheerende sozioökonomische Wirkung.
Die Kehrseite der Exportüberschüsse der Bundesrepublik, die seit der Euroeinführung regelrecht explodierten, bildet die Deindustrialisierung und Verschuldung vieler EU-Staaten. Letztendlich ist es gerade diese Beggar-thy-Neighbor-Politik, auf der die derzeitige Dominanz der Bundesrepublik im Europäischen Währungsraum fußt. Die französische Diplomatie posaunt es nur nicht so offen in die Welt hinaus wie ein Donald Trump.
Letztendlich müsste Berlin dazu gebracht werden, entweder höhere Ausgaben/Investitionen zu tätigen, die Löhne spürbar anzuheben, und/oder Transfers auf europäischer Ebene zuzustimmen, mit denen die deutschen Handelsüberschüsse ausgeglichen werden könnten. Letztendlich - angesichts der tiefgreifenden Überproduktionskrise des spätkapitalistischen Weltsystems - können die Ungleichgewichte in der EU aber nur durch verstärkte Schuldenaufnahme in Deutschland abgebaut werden.
Die "schwarze Null" Schäubles ist ja nur aufgrund der starken Handelsüberschüsse der Bundesrepublik möglich, die ja einem Schuldenexport gleichkommen. Da dies vor der Bundestagswahl nicht thematisiert werden kann, wurden die entsprechenden Auseinandersetzungen auf den Herbst vertagt. Paris bemüht sich konkret, mittels einer umfassenden Initiative zur "Reform" und zur Vertiefung der EU, die Vorbedingungen zu einem solchen Abbau der europäischen Ungleichgewichte (also deutschen Handelsüberschüsse) zu schaffen.
Die deutsche Dominanz unterminieren
Neue Institutionen wie ein europäisches Finanzministerium und ein europäischer Haushalt, sollen dabei helfen, diese Grundlagen der deutschen Dominanz in Europa zu unterminieren. Deutschland soll hierdurch weiter europäisch eingebunden werden, um so die Dominanz Berlins in der EU zu mindern.
Der Aufbau einer gemeinsamen europäischer Wirtschafts- und Sozialpolitik stelle den einzigen Weg dar, um "mehr Konvergenz in der Eurozone" zu erreichen (also die Ungleichgewichte abzubauen), bekräftige Macron.
Ein "demokratisch kontrolliertes Euroministerium" solle die Akzeptanz der EU erhöhen. Paris hofft somit, durch eine stärkere europäische Integration, die eigenen nationalen Interessen realisieren zu können, die derzeit vor allem in der Durchsetzung einer europäischen Konvergenzpolitik bestehen.
Zuerst gab es rotes Licht hierzu aus Berlin, wo man die Grundlagen der machtpolitischen Dominanz Deutschlands in Europa möglichst lange aufrechterhalten will. Je mehr Schulden Deutschland ins Ausland exportieren kann, desto größer der ökonomische Abstand zwischen Berlin und Resteuropa - und desto größer die machtpolitischen Hebel, die Berlin beim alltäglichen Hauen und Stechen im "gemeinsamen europäischen Haus" zur Verfügung stehen. Schäubles Finanzministerium ließ durchblicken, dass diese französischen Initiativen keine Chancen auf Realisierung hätten.
Kurz vor dem Gipfel folgte dann die scheinbare Kehrtwende Berlins. Vor Vertretern des BDI äußerte die Kanzlerin, dass sie bereit sei, auf einige der Vorschläge Frankreichs - unter gewissen Bedingungen - einzugehen. Dies erklärt auch die scheinbare Harmonie, in der der jüngste EU-Gipfel stattfinden konnte.