Ein überheblicher Flirt mit dem Kulturpessimismus

Die Ars Electronica 2001 in Linz gab als Motto den "takeover" aus, doch geboten wurde ein "fakeover"

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Das Motto der diesjährigen ars electronica in Linz lautete und stellte im Untertitel die Frage: "Wer macht die Kunst von morgen?" Zweifelsohne eine interessante Frage, deshalb, weil sie alle wesentlichen Fragen, die sich die Kunst immer wieder und gerade jetzt stellen muss, beinhaltet. Aber den Herausforderungen eines wurde lediglich mit einem geantwortet.

Präsentation der "electrolobby" bei der Ars Electronica 2001

Will man die Frage nach dem Morgen der Kunst beantworten, sollte man mit dem Heute beginnen. Wie sieht das zeitgenössische Künstlerbild aus? Was ist die Kunst von heute? Wer entscheidet darüber, was Kunst ist? Was sind ihre ökonomischen Grundlagen? Wo findet sie statt? Und was sind die gesellschaftlichen Veränderungen - technische, wirtschaftliche und politische -, auf die sie reagieren, die sie begleiten muss? Alles Fragen, die notwendig gestellt und diskutiert werden müssen, besonders jetzt, da die Kunst durch den Rückzug der öffentlichen Hand aus der Förderung und dem immer stärker werdenden Druck der Unterhaltungsindustrie in eine tiefe Krise zu schlittern droht. Dazu kommt, dass fehlende Ausbildungskonzepte und die von einem innovationsfeindlichen Kunstmarkt gesteuerte Produktion bedingen, dass das, was man gemeinhin als Kunst geboten bekommt, allerhöchstens noch dazu taugt, gelangweilten BürgerInnen den Sonntagnachmittag zu vertreiben.

Wo ist sie also, die aggressive, witzige, intelligente, mitreissende Kunst, die uns zeigt, dass es noch mehr gibt im Leben als Geld verdienen und Geld ausgeben? Kunst, die uns sensibilisiert und Mut macht, um von vorprogrammierten Wegen abzuweichen? Die Kunst, die wir BRAUCHEN - scheint es doch so zu sein, dass die meiste Kunst, die zur Zeit gemacht wird, niemand braucht? Eine Diskussion, bei der es zur Sache geht und bei der der schwarze Peter nicht so eindeutig einem Schuh zugeschoben werden kann. "takeover - Wer macht die Kunst von morgen?" - das richtige Thema zur richtigen Zeit.

Kernstück der immer weiter wachsenden und sich in zahlreiche Unterprojekte aufsplitternde Ars Electronica war bisher das Symposium, in dem man sich dem jeweiligen Motto gewidmet und mehr oder weniger kontrovers Inhalte präsentiert und diskutiert hatte. Leider war in diesem Jahr das Symposium entzerrt und in sieben Panels an fünf Tagen aufgegliedert worden, was weder den Effekt hatte, dass die eigentlichen Fragestellungen präzisiert, noch zueinander in Bezug gesetzt werden konnten.

Am meisten kritisches und reflexives Potential lag im ersten "takeover"-Panel, das neuen Rollenbildern und Arbeitsmodellen gewidmet war. Der us-amerikanische Kurator Jon Ippolito, der österreichische Wirtschaftswissenschaftler, Punk und "Flexible" Didi Bruckmayer, der deutsche Informatiker Wolfgang Maass, der malaysische Direktor der Multimedia University Cyberjaya, Ahmad Rafi Mohamed Eshaq und der deutsche SciFi-Autor Tobias Meissner setzten hier ihre Bestandsaufnahmen, Ausblicke und Methoden gegeneinander und boten Ansatzpunkte für eine Diskussion. Vor allem Ippolito, der als Kurator für Medienkunst des Guggenheim Museums und damit Gatekeeper des Kunstsystems eine der Ars Electronica vergleichbare Rolle einnahm, provozierte heftige Angriffe nach seiner Präsentation, in der er den Fragen nachging, wie Projekte, die nicht als Kunst intendiert sind, zu Kunst werden, bzw. warum von fast gleichen Projekten das eine in den Kunststatus kommt und das andere nicht. Angriffe deshalb, weil er nämlich vermieden hatte, seine eigene Rolle und seine eigene Definitionsmacht in dieser Dynamik mitzudenken und sich damit zufrieden gab, sich von einer Duchampschen Sichtweise, die als Kunst definiert, was mit Kunst zu tun hat, zu verabschieden und als scheinbar interessanteren, jedoch sehr naiv vorgebrachten Aspekt anzuführen, dass Kunst in der realen Welt wirken sollte.

Festivalleiter und Moderator Gerfried Stocker

Leider wurden die Angriffe aus dem Publikum, die durchaus in eine produktive Richtung hätten gewendet werden können, vom Moderator Gerfried Stocker mit Verweis auf Zeitmangel abgebrochen. Überzeugender nächster Beitrag kam von Bruckmayer, der als promovierter Wirtschaftswissenschaftler seine Brötchen als Eventdesigner verdient, nicht nur weil er anschaulich die Arbeitssituation als "Flexible" zu schildern in der Lage war, sondern gleichzeitig seine persönliche ökonomische Situation in einen globalen Wirtschaftszusammenhang zu setzen wusste ohne sich dabei zu scheuen, diesen in düstersten Tönen zu zeichnen und kritische Standpunkte zu formulieren. Weiterhin erwähnenswert Tobias Meissner, der Auszüge aus seinem Roman "neverwake" las, der in nicht allzuferner Zukunft spielt und sehr eindringlich und glaubhaft einen neuen Berufssport schildert, das Gaming, das nicht wenige Menschenleben vollkommen in die Virtualität verlegt. Zwischen den Passagen des Buches analysierte er, wie Computergames aufgebaut sein müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen und dass sie unaufhaltsam in den Alltag von immer mehr Menschen eindringen. Auch sein Fazit, dass je düsterer die Zukunft der Welt, umso rosiger die Zukunft der Gamesindustrie sein wird, konnte man problemlos nachvollziehen. Der Moderator des Panels war nicht in der Lage, die einzelnen Sprecher davon abzuhalten, zeitlich zu überziehen bzw. sie zu motivieren, ihre bereits im Katalog vorabgedruckten Texte lediglich zusammenzufassen. Ein anfangs noch interessiertes Publikum wurde erschlagen von der Fülle und verließ frustriert von der diskussionsfeindlichen Atmosphäre nach ein paar Stunden enttäuscht das erste Panel.

Zum zweiten Panel, in dem die Teilnehmer der "elektrolobby" vorgestellt wurden und grösstenteils auch zum dritten Panel mit dem Thema "Content Development" waren Sprecher eingeladen, die, wenn es die gutbezahlte Alternative in der Medienindustrie und im Design nicht gäbe, vielleicht Kunst machen würden. Gerfried Stocker erläuterte das in einem Interview (Die digitale Revolution und ihre Künstler-Kinder) als zweites "takeover"-Szenario, nämlich dass die Medienwirtschaft Kreativpotential abziehe. Meines Erachtens eine müßige Überlegung, die unter dem schrecklichen Begriff "brain drain" rekurriert, was eher nach ausgetrocknetem Gehirn klingt, als nach einem bedauernswertem Verlust. Gleichzeitig sollten sie aber auch diejenigen verkörpern, die künstlerische Denk- und Arbeitsansätze in kunstfremde Bereiche hineintragen (drittes "take-over"-Szenario). Gezeigt wurde viel Flash-Design, für unterschiedlichste Auftraggeber und Anwendungsgebiete entwickelt, kleine Tools, um Handys zu personalisieren, eine Real-Time-Enzyklopädie für die digitale Generation und viel gute, selbstverständlich elektronische Musik, wie zum Beispiel micromusic.

Micromusic

Bemerkenswerte Ausnahmen in der sich allgemein einstellenden digitalen Lebensfreude waren das "Open Law"-Projekt, das die amerikanische Juristin Wendy Seltzer vorstellte und bei dem es darum geht, nach dem Open-Source-Modell Strategien zur Sicherung der Interessen der Allgemeinheit gegenüber jenen der Unterhaltungsindustrie zu entwickeln (Beispiel DVD-Kopierschutz) sowie der von Stuart Maschwitz vorgestellte Ansatz, Hollywood-Filmeffekte in Low-tech-Version für unabhängige Filmproduktionen einzusetzen. Gerade letzteres, durch Maschwitz' negative Erfahrungen in der Filmindustrie motivierte Projekt, strahlte aus, was fast allen anderen Projekten fehlte: subversive Kraft und künstlerisches Standing. Alles in allem bekam man durchaus interessante Projekte vorgeführt, gut gemacht, witzig, innovativ, und sie hätten sich wunderbar angeboten, die offensichtlich vorhandenen, sehr diversen Kunstbegriffe gegeneinander ins Feld zu führen.

Etwas mehr Substanz konnte man im vierten Panel, "Creators of Life" vermuten, in dem etablierte KünstlerInenn wie Eduardo Kac und Natalie Jeremijenko zusammen mit Wissenschaftlern auftraten. Tatsächlich präsentierte Jeremijenko eine Anzahl provokativer Projekte, Kac konzentrierte sich wie meistens auf den von ihm gezüchteten fluoreszierenden Hasen, der zwar hinlänglich bekannt, aber noch nie von einem menschlichen Auge erblickt worden ist - was immer das zu bedeuten hat - und die australische Gruppe SymbioticA lieferte mit ihrem Projekt "fish & chips", in dem sie ein halblebendiges künstlerisches Wesen vorführte, einen witzigen Beitrag, der die vielfältigen Versuche des 20.Jahrhunderts, Kunst von Maschinen und Automaten machen zu lassen, auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringt. Alle Beitragenden versicherten, dass es ihnen mit ihrer Arbeit in erster Linie darum ginge, eine Diskussion zum Thema Gen- und Biotechnologie zu forcieren, die allerdings auch in dieser Runde sich nicht ergeben wollte. Zumindest gab es einige fundierte und glaubwürdige Ansätze und Reflexionen zum leidigen Thema der zwischen Kunst und Wissenschaft interdisziplinären Arbeit, was vor allem dem Neurologen Stuart Bunt zu verdanken war, der mit der Gruppe SymbiotiA kooperiert.

Hatte man sich vor der Veranstaltung die Mühe gemacht, das Konzept sowie diverse Ankündigungen zu Ende zu lesen, konnte man sich bereits des Eindrucks nicht erwehren, dass es weniger darum gehen würde, brisante Fragen und Entwicklungen tatsächlich zu diskutieren, als vielmehr darum, eine Position zu behaupten und die bereits gegebenen Antworten auf plumpe und vermeintlich provokative Weise zu verkaufen. Es würden Leute sein, die die Kunst der Zukunft machen, die auf das Label Kunst pfeifen und einfach in den durch neue Medien entstandenen Räumen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Kunst würde an Orten produziert und kommuniziert werden, die mit Kunst nichts zu tun haben und die sich nicht selten in ununterscheidbarer Nähe zum Kommerz befinden. Das ist sicher grundsätzlich bedenkenswert, nur die zentrale Frage, nämlich WIE etwas zu Kunst wird, mochte niemand stellen und beantworten. Der Grund dafür war offensichtlich, dass man keine Vorstellung davon hat, was Kunst überhaupt sein soll, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen bzw. welche Rolle man selbst als Kunstinstitution einnehmen solle.

Während die Zusammenstellung und Moderation der Panels noch einen kleinen Spielraum gelassen hatte für Kontroversen - obwohl nicht genutzt - wollte die begleitende Show im Foyer des Brucknerhauses, die "elektrolobby", eine eindeutige Setzung sein. Der ziemlich überspannt-coole Werberjargon, in dem von "Experience Designern, Codern, Hackern, Gamedesignern, Open Sourcern, Circuit Bendern, Profi-Gamern, Web-Entertainern, Renegade-Programmierern und Wireless-Experten" geschwärmt wurde, die "smarte Hubs, Hacks & Killer Apps" an den "Hot-Spots der subdigital culture" produzieren und das noch in einem "relaxten und produktionsorientierten Setting", klang zwar nach Science Fiction und nach Subkultur, aber die geweckten Assoziationen, vor allem wenn es um politsch Brisantes geht, wie bei Hackern und Open Sourcern, wurden enttäuscht. Stattdessen holte man möglichst viele junge und schrille Kreative nach Linz, um sie zu den KünstlerInnen von morgen zu erklären.

Die ProtagonistInnen der "internet driven culture", deren Kreativität sich in einem derart explosiven "Creativity Burst" entlädt, werden quasi direkt in den Kunstbetrieb hineingeschleudert - hoch über den sonst eher mühsamen Zugangsritualen - und konnten sich nach der sanften Landung in Linz fragen, was sie da eigentlich sollen. Sie brauchen die Kunstwelt sicher nicht. KünstlerIn genannt zu werden, ist höchstens noch eine weitere Anerkennung in ihrem meist erfolgsverwöhnten Leben. Also braucht die Kunstwelt, in diesem Fall die Ars Electronica sie. Es muss mal wieder Leben in die Bude kommen, man gibt sich progressiv, man will sich verjüngen und vergnügen und nicht zuletzt, man möchte provozieren. Aber das ist auch schon alles.

Provokation jedenfalls ist gelungen. Diverse grauhaarige Professoren fühlten ihre Territorien bedroht, erzählt Herr Stocker selbstzufrieden in der Anmoderation eines Panels. Sogar Peter Weibel, dem ehemaligen Leiter der Ars Electronica, der sicher weiß, dass man gerade im Medienkunstbereich ohne Sponsoring nicht auskommt, ging der Flirt mit der Industrie zu weit. Neben einigen Äußerungen, die unter die Gürtellinie gingen, beklagte er in dem österreichischen Wochenmagazin "profil" den Einzug des Neoliberalismus in die Kunstszene. Aber es ist nicht nur die diffizile Gratwanderung zwischen Kunst und Wirtschaft, die präzise hätte thematisiert werden müssen, sondern vielmehr, was man von der Kunst von morgen tatsächlich erwartet und wozu das mühsam erkämpfte und verteidigte Konzept Kunst in Zukunft genutzt werden sollte. Nur durch eine Diskussion dieser Fragen könnte sich klären, wer und warum zukünftig für Kunst bezahlen sollte.

Der bewunderte "Creativity Burst", auf den man aus der Perspektive einer, wenn auch noch relativ jungen, dennoch inzwischen traditionell anmutenden Kunstinstitution blickte, förderte aber lediglich einen Kunstbegriff zu Tage, der sich als herausragendes Kriterium für Kunst auf Kreativität bezieht. Diesem etwas hinfälligen Kunstverständnis, dem vor über 10 Jahren bereits der Konzept- und Minimalkünstler Gerhard Merz entgegenhielt, dass Kreativität etwas für Friseure sei, wurde während der gesamten Debatte wenig Erweiterndes und Erhellendes hinzugefügt.

Die Vorstellung der Kunst von morgen, wie sie auf der Ars Electronica geboten wurde, zeichnete sich also in erster Linie durch einen Mangel aus. Den Mangel, der Kunst - von heute oder morgen - Eigenschaften zuzuschreiben, die über kreatives Entertainment hinausgehen. Damit hat die Veranstaltung eine wichtige Gelegenheit verpasst, das umstrittene Territorium Kunst durch überzeugende und relevante Beiträge zu stärken. Dabei gibt es diese Arbeiten durchaus und oft sogar - in dieser Hinsicht lag die Ars Electronica richtig - an bisher wenig beachteten und repräsentierten Orten. Und sie wird nicht selten gemacht von Menschen, die Probleme mit dem Label KünstlerIn haben. Es ist die Aufgabe einer zeitgemäßen Kunstinstitution, diese Arbeiten mit der Erhebung in den Kunststatus zu stärken und zu unterstützen. Falls überhaupt vorhanden, fand man radikale Projekte, wie independent media und cyberfeminist networking in Linz an die Peripherie verbannt, um das Feld eifrig und kritiklos Werbung und Medienindustrie zu überlassen. Ein überheblicher Flirt mit dem Kulturpessimismus, der dazu beiträgt, die notwendige Kunst zu unterwandern. Vielleicht braucht die Kunst zukünftig die Ars Electronica nicht mehr.