Eine Bürgerpflicht zum Verzicht?

Seite 3: Gehorsam ersetzt Debatte

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich linksbürgerliche und linksliberale Intellektuelle staatskritisch gaben, ja: in denen links und rechts überhaupt geeignete Pole waren, um die politische Landschaft zu kartografieren.

Heute geht es um den Gegensatz zwischen autoritär und antiautoritär; zwischen jenen, die im Verhältnis zum Staat und zur Beamtenschaft mit Vertrauen und Glaubenssätzen argumentieren, und denen, die Maßnahmen gewählter Institutionen für begründungspflichtig halten und im Zweifel unter Verdacht stellen; zwischen institutionalisierter Ordnung, die mit mal sanftem, mal strengem Zwang operiert auf der einen Seite und der grundsätzlichen Skepsis gegenüber Zwangsmaßnahmen, mit der Vorsicht gegenüber dem Rigorismus der Moral auf der anderen, erst recht, wo das Nichthandeln, wo Verbot und Verzicht gefordert und das Handeln, Neugier und Mut unter grundsätzlichen Verdacht gestellt werden.

Die Res Publica, die "allgemeine Sache" war immer eine Gesellschaft der Individuen, der einzelnen Citoyens, und nie die Gemeinschaft der folgsamen und gehorchenden Untertanen. Demokratie ist anstrengend, sie bedeutet die ständige Arbeit an der Begründung und das langsame Mahlen der institutionellen Mühlen, die bewusst als gegeneinander sich drehende Räder konzipiert sind, nicht als geölte Maschine zur Ausführung des längst Entschiedenen.

Weil er letztendlich tatsächlich ein Urliberaler war, hat der Leviathan-Autor Thomas Hobbes das ganz genau gewusst.

Die individuelle Entscheidungsfreiheit war für Hobbes tatsächlich der wünschenswerte Idealzustand. Nur weil dieser im englischen Bürgerkrieg unerreichbar gewesen ist und die Voraussetzung für tatsächliche Entscheidungsfreiheit in der Abwesenheit von Krieg, im Frieden, liegt, hat Hobbes in der Abgabe des individuellen Gewaltmonopols an einen gewalttätigen und gefürchteten Herrscher, den Leviathan, die zeitweise einzige Möglichkeit zur Freiheitsbewahrung gesehen.

Weil er sich aber der Gefahren eines (über-)starken Staates bewusst war, hat Thomas Hobbes diese Gehorsamspflicht durch ein Gegengewicht ausgeglichen; ein Gegengewicht, das der Autor Philipp Lepenies bewusst oder unbewusst komplett ignoriert: ein Recht auf Widerstand.

Lepenies tut eine so argumentierende Verteidigung von Freiheit als "Fundamentalopposition" und "neoliberale Haltung" ab und behauptet, dass ohne Verzicht "eine sozialökologische Transformation ohne Verbot und Verzicht nicht gelingen wird".

Ja, muss sie denn gelingen? Das könnte man zumindest fragen, und es wäre begründungsbedürftig, zumal "Transformation" dynamischer klingt, als sie ist. Tatsächlich geht es eher um das Unterlassen von Veränderung und ein Zurück in vergangene Zeiten.

In "Deutschland, Ein Wintermärchen" gab Heinrich Heine an Lepenies und alle weiteren Verzichtsprediger bereits vor fast 200 Jahren die beste Antwort: "Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,/ Ich kenn’ auch die Herren Verfasser;/ Ich weiß, sie tranken heimlich Wein/ Und predigten öffentlich Wasser."