"Eine Lieferung ist nicht möglich"
Seite 5: Auf der Barrikade
In Belleville ging der Arbeiteraufstand von 1870/71 zu Ende, der auch für die Geschichte der Frauenemanzipation bedeutsam ist. Die letzten Barrikaden der Pariser Kommune fielen in der rue Ramponeau. Sur la barricade(1907) ist wahrscheinlich der letzte Film, den Alice Guy für die Gaumont drehte, bevor sie mit ihrem Gatten Herbert Blaché in die USA übersiedelte. Der Firmenchef wollte keinen Ärger mit Zensur und Behörden und daher keine kontrovers diskutierten (oder unterdrückten) Themen. Man könnte also denken, dass Alice dem Patron noch rasch ein ungewünschtes Ei ins Nest legte, ehe sie die Koffer packte. Dazu passt, dass die Gaumont den Film offenbar lieber als L’Èmeute (Der Aufstand) vertrieb und zu diesem Titel auch ein Plakat malen ließ. Das war allgemeiner und half dabei, die Geschichte auf der Zeitachse nach hinten zu schieben, weg vom Jahr 1871. Dieses Datum wurde dadurch noch heikler, dass die Frauen und Männer in Alice Guys Film ihre letzte Barrikade in den Straßen von Belleville bauen, also da, wo ein Vierteljahrhundert früher (damals eine eher kurze Zeitspanne) tatsächlich gekämpft worden war.
Zumindest bei den Filmhistorikern stieß die angestrebte Verschiebung, weg von den Barrikaden der Kommune und hin zu einem anderen Aufstand, durchaus auf Resonanz. Der eigentlich gut informierte Richard Abel, Autor des Standardwerks The Ciné Goes to Town, siedelte die Handlung von Sur la barricade noch 1994 im Jahr der Julirevolution von 1830 an, der Eugène Delacroix sein berühmtes Gemälde Die Freiheit führt das Volk widmete (in der überarbeiteten Neuauflage des sehr lesenswerten Buchs von 1998 ist 1830 durch 1871 ersetzt). Zumindest den Franzosen, die den Film damals sahen, muss klar gewesen sein, dass in den viereinhalb Minuten eine Geschichte aus dem Jahr 1871 erzählt wurde.
Ein Sohn geht los, um Milch für seine Mutter zu holen, wird dabei in die Straßenkämpfe verwickelt und nach der Erstürmung der Barrikade durch Regierungstruppen mit den überlebenden Kommunarden an die Wand gestellt. Der junge Mann bittet den kommandierenden Offizier, seiner Mutter die Milch bringen zu dürfen und verspricht, dann wiederzukommen und sich füsilieren zu lassen. Gesagt, getan. Der Sohn gibt die Milch ab, geht zurück zum Ort des Blutbads und würde nun erschossen werden, wenn ihm die misstrauisch gewordene Mutter nicht gefolgt wäre, um sich schützend vor ihn zu stellen und um Gnade für ihren Sohn zu bitten. Der Offizier hat ein Einsehen und zieht mit seinen Leuten ab. Der junge Mann darf weiterleben.
Auch dieser Film lässt einem Kinoerzähler alle Möglichkeiten. Er kann eine rührselige Geschichte über die Mutterliebe daraus machen; sich über die Absurdität bürgerlicher Ehrbegriffe mokieren; das Martyrium der Kommunarden herausstellen und die Brutalität der Regierungstruppen anprangern, die sogar einen braven Sohn erschießen würden, der zur falschen Zeit am falschen Ort war; und die Söhne der Welt dazu aufrufen, auf die Barrikaden zu gehen und das Unrechtsregime zu bekämpfen. Von der unpolitischen Schmonzette bis zur Agitation mit abschließendem Verteilen der Aufnahmeanträge in die KP ist alles drin. Bemerkenswert an Sur la barricade ist auf jeden Fall, dass er nicht so mit dem Arbeiteraufstand umgeht wie von den gesellschaftlich dominanten Kräften der Zeit gewünscht: der Film zeigt die Kommunarden nicht als marodierenden Haufen, und er schweigt die Kommune nicht tot, leistet vielmehr einen Beitrag zum visuellen Gedächtnis unserer Kultur und hält die Erinnerung an Ereignisse wach, die erst dadurch, dass sie erinnert wurden, ihre Langzeitwirkung entfalten konnten.
Enthusiasmus der Bilder
Jede Filmvorführung konnte anders sein als die am Tag davor oder die an einem anderen Ort. Dem Kontrollbedürfnis des Bürgertums entsprach das natürlich nicht. Das ist einer der Gründe dafür, aus denen der potentiell subversive Kinoerzähler abgeschafft und als unsichtbare, überall gleiche und nicht mehr individuelle Erzählinstanz in die Bilderfolge auf der Leinwand integriert wurde. Bei Sage-femme de première classe hatte der im Kino körperlich präsente Erzähler die Möglichkeit, das Publikum auf den gut gefüllten Geldbeutel des Mannes aufmerksam zu machen, auf das Baby mit der dunklen Haut, auf die abwehrende Haltung des reichen Paares und auch auf die wohlgeformten Beine, die unter den Röcken der Damen hervorlugen. Oder er suchte sich ganz andere Dinge heraus, die er kommentierenswert fand. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt, Groß- und Detailaufnahmen zu sehen, durch eine analytische Montage so kombiniert, dass sich daraus die von der Regie gewünschte Botschaft ergibt. Wenn im Kino einer sitzt und Kommentare abgibt wie früher der Erzähler, stört er die Vorstellung und wird aufgefordert, den Mund zu halten.
Nimmt man heutige Sehgewohnheiten zum Maßstab ist der Hebammen-Film "primitiv": Eine statische Totale, die Kamera behält die Distanz zu den Figuren bei, eine aufgemalte Mauer, wackelige Kulissen. Für Alice Guy dürfte der Film trotzdem spektakulär gewesen sein (als Ehemann im Pierrot-Kostüm schaut sie immer wieder in die Kamera als wolle sie uns auffordern, uns selbst einen Reim auf das Gesehene zu machen). Das Hervorholen der Babys aus den Kohlköpfen, mit dem sie das Publikum ein paar Jahre davor begeistert hatte (in La Fée aux choux), ist Teil einer kleinen Geschichte geworden. Statt einer Kameraeinstellung gibt es zwei. Die erste zeigt die Szene vor der Gartenmauer. Sie endet, wenn die Fee und das Ehepaar durch eine Tür in der Mauer gehen. Wenige Jahre zuvor wäre der Film damit vorbei gewesen. Jetzt geht er weiter. In der zweiten Szene sind wir auf der anderen Seite der Mauer, im Garten, den die handelnden Personen nun betreten.
Das frühe Kino zeichnet sich durch eine - im besten Sinne - kindliche Unschuld aus, durch eine fast mit Händen zu greifende Freude an den ästhetischen und narrativen Innovationen, die es dem Publikum präsentieren konnte. Dieses Kino hatte eine Fähigkeit, die auch den Kindern eigen ist: Mit einer nicht nachlassenden Neugier Welten zugleich zu entdecken und zu erschaffen Das bedeutet nicht, dass es deshalb naiv oder unpolitisch gewesen wäre, gar Unterhaltung für die Dummen. Die Unschuld, die ich meine, erkennt man zum Beispiel daran, dass etwas wiederholt und noch einmal vorgezeigt werden durfte, wenn es gut gelungen war. Die Fee öffnet die Tür in der Gartenmauer, geht mit dem Ehepaar hindurch, macht die Tür hinter sich zu. Dann sehen wir vom Garten aus, wie sich die Tür öffnet und die drei Personen hereinkommen, die Fee voran, obwohl sie eigentlich die Letzte in der Gruppe war, damit sie gleich die Wunder dieses Gemüsegartens präsentieren kann.
Ist es nicht toll, fragt Alice Guy durch die Variation des gleichen Vorgangs, das Betreten des Gartens durch die Tür in der Mauer, wie ich es hingekriegt habe, dass der Film jetzt einen zweiten Akt hat, statt nach dem ersten zu enden? Was für ein Unterschied zur Nachrichtenredaktion des ZDF, die mit den von Pionieren wie Mademoiselle Alice entdeckten Mitteln arbeitet und Roger Willemsen die Schädeldecke entfernt, weil es im Computer ein Schnittprogramm gibt, mit dem sich das routinemäßig und - mit Verlaub - ohne eine nennenswerte Denkleistung erledigen lässt. Oder sollen wir annehmen, dass das Abtrennen mit Vorbedacht geschah, damit Klaus Kleber aus dem Kopf des Verstorbenen tiefe Bildung schöpfen kann wie aus einer Suppenschüssel? Nicht wirklich.
Die Freude an dem Medium, mit dem er arbeiten durfte, ist auch den Filmen von Louis Feuillade immer anzumerken. In Erreur tragique beschließt der eifersüchtige René, seine Frau Suzanne zu töten, weil er irrigerweise glaubt, dass sie ihn mit einem anderen Mann betrügt. Suzanne will mit der Kutsche zum Bahnhof fahren. René versteckt einen glimmenden Docht im Zaumzeug, damit das Leitpferd in Panik gerät. Bis dahin wurde die Geschichte in statischen Einstellungen erzählt. Die Kutschfahrt sehen wir von einem fahrenden Automobil aus. Die Kutsche nähert sich der im Auto postierten Kamera, fährt an ihr vorbei, der Kutscher verliert die Kontrolle über das Gespann und fällt vom Bock. Die Pferde gehen durch, und der Kameramann dreht das jetzt vom hinteren Ende der Kutsche aus, mit einer schreienden, um ihr Leben fürchtenden Suzanne.
Die Idee, die Kamera in einem fahrenden Auto zu postieren, hatten vor Feuillade schon andere, und Alice Guys Film mit der Fee als Blumenkohl-Hebamme ist nicht der erste mit zwei Einstellungen. Und doch hat man das Gefühl, etwas beizuwohnen, das es so noch nie gegeben hatte. Manchmal ist es tatsächlich etwas ganz Neues, das man zu sehen kriegt, und manchmal wirkt es so als ob, weil die Macher mit einer solchen Begeisterung bei der Sache waren. Das ist noch heute spürbar, als hätte sich dieser Enthusiasmus den Bildern für alle Zeiten eingebrannt. Ich glaube, das liegt daran, dass die Erfindungskraft der Pioniere auch das als neu und einzigartig adelte, was bereits Wiederholung war und sich die Frische ihrer Werke einer handwerklichen Intelligenz verdankt, die vielen von denen, für die das bewegte Bild als Ausdrucksmittel zur Selbstverständlichkeit geworden ist, komplett fehlt.
Zusammenprall zweier Welten
Der Marquis René de Romiguières, wir erinnern uns, geht in Paris ins Kino und sieht auf der Leinwand seine Frau Suzanne, die zufällig in eine Filmaufnahme geraten ist. Suzanne ist in Begleitung eines fremden Mannes. René kauft eine Kopie des Films, schneidet die Bilder mit Suzanne heraus und ist nun überzeugt, dass sie ihn betrügt. Mit dem Zug fährt er zurück in sein Schloss in den Cevennen. Mitten in der Nacht schleicht er sich wie ein Dieb, ein Mörder oder ein Vergewaltiger in das Schlafzimmer seiner Frau. Dort findet er ein Bild der Unschuld vor. Angesichts der schlafenden Suzanne, von der er nicht glauben kann, dass sie eine Ehebrecherin ist, lässt René von seinen Racheplänen ab. Seine Eifersucht bleibt bestehen. Nachdem eine Durchsuchung von Suzannes Boudoir keine Beweise für ihre Schuld erbracht hat, studiert er erneut den Filmstreifen. Als ihm dann noch ein Brief des vermeintlichen Liebhabers in die Hände fällt, ist er überzeugt, dass Suzanne ihn doch betrügt. Er beschließt, sie zu ermorden.
Das melodramatische Eifersuchtsdrama in Erreur tragique ist das Vehikel für den Zusammenprall zweier Welten. Der Marquis ist ein Landadeliger aus einer rückständigen Gesellschaft der Pferdekutschen und des Feudalismus, der in Paris mit der schockartigen Erfahrung der modernen Großstadt konfrontiert wird, symbolisiert durch die Kinematographie. Die Handlung wird durch den Abgleich der Filmbilder mit der Wirklichkeit vorangetrieben. In die dramatischen Ereignisse verpackt ist Feuillades Plädoyer für ein vorurteilsloses Betrachten dessen, was auf der Leinwand zu sehen ist. Der Marquis glaubt, dort die photographische Evidenz dafür zu entdecken, dass Suzanne durch fremde Betten vagabundiert wie Onésime, der Vagabund des Films im Film, von einer Parkbank zur anderen wandert. Am Ende stellt sich heraus, dass die moralische Verkommenheit auf der Leinwand nur die Projektion seiner eigenen Phantasien ist.
Die Botschaft wird, wie häufig bei Feuillade, von den jeweiligen Fortbewegungsmitteln transportiert. Nach der falschen Interpretation der Kinobilder (Suzanne ist eine gemeine Ehebrecherin) inszeniert der Marquis einen Unfall mit der Kutsche. Nach der richtigen Interpretation (die treue Gattin ist an der Seite ihres Bruder Roger zu sehen) bringt er die knapp dem Tod entronnene Suzanne mit dem Auto nach Hause, die Kutsche ist kaputt. Damit hält die neue Zeit Einzug im Schloss, repräsentiert durch technische Errungenschaften wie das Automobil und das kinematographische Bild, dem der Marquis nun - hoffentlich - vorurteilsfreier begegnen wird.
Interessant ist der mysteriöse Bruder, der als Vorbote künftigen Unheils durch den Film geistert. Roger ist ein Reisender, der kurz nach Frankreich kommt und Suzanne um ein Treffen bittet. René weiß nichts von diesem Schwager, dem seine Gattin liebevoll verbunden ist. Irgendetwas gibt es zu verbergen. Warum muss das Verhältnis zwischen den Geschwistern so konspirativ sein? Die Frage ist leicht zu beantworten. Roger ist das schwarze Schaf der Familie. Der Sohn aus gutem Hause, der sich durch nicht standesgemäßes Verhalten entehrt hat und in die Kolonien abgeschoben wird, bis Gras über die Sache gewachsen ist, war eine aus der Populärkultur des 19. Jahrhunderts (und auch aus der Wirklichkeit) so bekannte Figur, dass Feuillade es bei ein paar Andeutungen belassen konnte. Mehr wäre kaum möglich gewesen, denn der Kolonialismus war 1912, als Erreur tragique entstand, ein äußerst heikles Thema.
Panthersprung zur Filmzensur
Zwischen Deutschland und Frankreich gab es seit Jahren Streit über den Einfluss der beiden Staaten in Marokko. Im Mai 1911 marschierten französische Truppen ein und besetzten zwei der vier Königsstädte, Fez und Rabat. Angeblich hatte der Sultan um Hilfe gegen rebellierende Stammesfürsten gebeten, wovon dieser aber gar nichts wusste. Kaiser Wilhelm II. schickte daraufhin das Kanonenboot Panther nach Agadir. Das Außenministerium begründete den "Panthersprung nach Agadir" mit der Notwendigkeit, die Niederlassungen deutscher Firmen in Marokko zu schützen. Tatsächlich ging es eher darum, sich eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen mit den Franzosen zu sichern. Das Kaiserreich hoffte auf ein Kompensationsgeschäft: die Abtretung französischer Besitzungen, die Deutschland brauchte, um das "Schutzgebiet" Kamerun und das auf Betreiben von Carl Peters erbeutete "Schutzgebiet" Deutsch-Ostafrika zu verbinden.
Von der Konfrontation zwischen Deutschland und Frankreich waren auch die britischen Interessen in der Region betroffen. In Europa wuchs die Angst vor einem großen, den ganzen Kontinent in den Abgrund reißenden Krieg, der sich an der nordafrikanischen Küste entzünden konnte. Europaweit kam es zu Protestkundgebungen von Pazifisten, Rüstungsgegnern und Kritikern des Kolonialismus. Ganz vorne mit dabei waren die Gewerkschaften und - nach einigem Drängen durch den linken Flügel um Rosa Luxemburg und Clara Zetkin - die gute alte SPD. Mitglieder der Arbeiterbewegungen verschiedener Länder luden sich gegenseitig zu ihren Kundgebungen ein, was die jeweiligen Regierungen besonders argwöhnisch beobachteten. Zentren des Protests waren Berlin und Paris, wo fast täglich demonstriert wurde und es zu Zusammenstößen mit der nicht eben zimperlichen Polizei kam.
Im November 1911 wurde die Krise mehr schlecht als recht beigelegt. Das Deutsche Reich verzichtete auf Ansprüche in Marokko und erhielt im Gegenzug von den Franzosen ein Stück von Äquatorialafrika, das aber viel kleiner ausfiel als erwartet und mit dem die angestrebte Verbindung zwischen den beiden deutschen Kolonien nicht zu bewerkstelligen war. Marokko verlor bald danach seine Unabhängigkeit und wurde französisches Protektorat. Die Kriegsgefahr war damit nicht gebannt. Der Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich hatte Imperialisten, Nationalisten und Kriegstreiber aller Art auf den Plan gerufen, die nicht wieder verschwanden, weil die rivalisierenden Mächte ein insbesondere in Deutschland als Niederlage empfundenes Abkommen unterzeichnet hatten.
Auch die Mitglieder der europaweiten Protestbewegung blieben nicht einfach zuhause, weil das Schlimmste vorläufig abgewendet worden war. Die Kundgebungen des Jahres 1912 gegen Krieg und Kolonialismus waren weniger häufig und nicht mehr so gut besucht wie die im Jahr davor, aber sie gingen weiter, obwohl der direkte Anlass, die Marokko-Krise, entfallen war. In einer solchen Situation ist die Versuchung groß, auf unliebsame Proteste mit Repression zu antworten. In Mitleidenschaft gezogen wurde auch das Kino. Trotz jüngster Bemühungen, sich den bürgerlichen Kunstvorstellungen anzupassen, galt der Film weiterhin als eine proletarische Unterhaltungsform. Die treibende Kraft hinter den Protestkundgebungen war die Arbeiterbewegung. Nach Meinung der Behörden bestand da ein Zusammenhang. Für den Aufruhr in den unteren Schichten der Gesellschaft, hieß es, sei das neue Medium mit verantwortlich (und nicht etwa die berechtigte Angst vor einem Weltkrieg). Die Kinematographie war neu und fremd und anders als das Gewohnte, und weil das Fremde irgendwie bedrohlich ist eignet es sich so gut als Sündenbock. Bei der "Flüchtlingskrise" erleben wir gerade wieder, dass es die Eindimensionalität der Gedankengänge ist, die ein Feindbild so wirksam macht.
In Frankreich verschickte das Innenministerium 1909 einen Rundbrief an alle Bürgermeister, in dem darauf hingewiesen wurde, dass der Film juristisch als spectacle de curiosité zu bewerten sei, als eine Zurschaustellung von Kuriositäten, und keineswegs als zu schützendes Kulturgut. Das war die kaum verhohlene Aufforderung, hart durchzugreifen, um die von diesem Spektakel ausgehenden Gefahren abzuwehren. Der Rundbrief sorgte für sporadische Aktivitäten bei Bürgermeistern und Polizei sowie für eine Zensurdebatte in den Printmedien. Im Sommer 1912 war es dann soweit. Es wurden nun reihenweise Filme aus dem Verkehr gezogen, andere bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die Logik dahinter war so wie oft bei der Zensur: Es waren Dinge zu sehen, tatsächlich oder auch nur in der Phantasie der Zensoren, die ein unter Generalverdacht gestelltes Publikum zu diesem oder jenem hätten "anreizen" können. Das galt es zu verhindern. Die Justiz war derselben Meinung. In den auf die Verbots- und Beschlagnahmeaktionen folgenden Prozessen urteilten die Richter durchgängig zugunsten der Behörden. Das stand in einem auffallenden Gegensatz zum Rest der französischen Gesellschaft, in der die Kinematographie zunehmend als etwas akzeptiert wurde, das mehr war als Unterhaltung für verwahrloste Gesellen, und keine Gefahr für Sitte und Moral.
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