Eine Stadt, in der sich gut leben läßt

Frankreich: Wie ein Blogger Politik macht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Karfreitag war ein Freund bei mir zu Gast, den ein unverbrüchlicher Optimismus auszeichnet - und ich spreche nicht von der Sorte Optimismus, wie er in PR-Agenturen, in der neubürgerlichen Mitte oder in Vanity Fair als Medikament für die notorischen Miesmacher in Deutschland verordnet wird. Was einen immer gleich zum Giftschrank schickt, um sich dort Thomas Bernhard, Cioran oder noch härteres Kaliber zu holen. Diesmal blinzelte mein Freund etwas betrübt in den strahlend blauen Karfreitagshimmel und und ich musste ihn nicht lange fragen, bis er loslegte.

Man könne viel Gutes über Deutschland sagen, man lebe hier sicher, friedlich, gut versorgt und angenehm – vor allem in München, wo sich im kreativen Bereich auch noch etwas Geld verdienen lasse, in Berlin sei das ja anders. Gutes Essen, schöne Stadt, schöne Umgebung; aber zum ersten Mal in seinem Leben würde er feststellen, dass diejenigen, die tatsächlich ernsthaft auf die Frage „Wie geht's?“ antworten und zwar mit „schlecht, Stress, keine Freude, keine Zeit“ in der Mehrheit seien. Zwar habe es früher schon oft genug solche Perioden gegeben, in denen es schwierig war, aber immer gab es etwas, worin sich eine Veränderung zum Bessern gezeigt habe, zumindest habe er das immer so beobachtet. Jetzt nicht mehr, von einer größeren Utopie, die inspirieren könne, wolle er gar nicht reden, ihm würden schon kleinere Signale reichen, die frisches Leben in die stagnierende Mainstream-Wirklichkeit brächten. Doch sehe er davon keine Spur. Nicht in Deutschland und nicht anderswo in Europa, sonst wüßte er ja auch, wohin er gehen wolle.

In solchen Fällen sind Geschichten aus Frankreich immer willkommen.

Bild: Christophe Grébert

Möglich nämlich, dass folgendes Beispiel aus Frankreich der Anfang zu Größerem ist. Dass peu à peu daraus eine ganze Welle entsteht, welche die politischen Machtverhältnisse nachhaltig verändert. Was der Bürgermeister von Puteaux, einer kleinen, modernen Stadt in der Peripherie von Paris, zu fürchten gelernt hat (vgl. Peripherie-Watch), müssen vielleicht künftig viele Amtsinhaber - und nicht nur in Frankreich - fürchten: einen scharfen, unermüdlichen Beobachter ihrer Aktivitäten, der seine Kritik an der Amtsführung im Netz veröffentlicht. Ein Blogger als Lokaljournalist also? Doch schon ein alter Hut?..

Im Jahre 2002 hatte Christophe Grébert, der Anfang der neunziger Jahre in das kleine wohlhabende Städtchen gezogen war, die Idee, eine Webseite über Puteaux zu machen: MonPuteaux.com. Als er dem Bürgermeister zufällig im Ort begegnete, erzählte er ihm davon. "C'est très bien, très bien..." gab Monsieur Ceccaldi-Raynaud da noch zu Antwort. Wie Grébert schreibt, wußte der Bürgermeister damals aber noch nicht, was eine Webseite ist, geschweige denn ein Blog, und wohl auch nicht, was das engagierte Mitglied der Parti Socialiste Grébert mit diesem Medium machen würde: Er schaute in beinahe jede Ecke der Kleinstadt und verglich Anspruch („Die Stadt, in der sich gut leben läßt“) mit Wirklichkeit.

Er präsentierte Fotos, welche den städtebaulichen Verschönerungen – schon immer ein Herzensprojekt von ehrgeizigen Bürgermeistern – die häßliche Realität vorhielten. Grébert begab sich in Stadtratssitzungen, wo man ihn zu entfernen suchte, bzw. ihm den Zugang verweigerte, weil er laut Bürgermeister eine öffentliche Gefahr darstellte. Während andere – mit Ausnahme vielleicht von Rentnern - die Kommuniqués der Kommune höchstens oberflächlich lesen, verfolgt der Blogger jedes Detail, veröffentlicht und prüft Haushalts-Rechnungen der Gemeinde, als ob es um den eigenen Lohnzettel ginge.

Es kam, wie es kommen musste, Bürgermeister Charles Ceccaldi-Raynaud bzw. dessen Tochter Joëlle, die den Posten ihres Vaters im April 2004 übernahm, ging die Einmischung des Bloggers in innerstädtische Angelegenheiten und dessen Publikationen zu weit: Der Streit wurde schließlich vor Gericht gebracht, es kam zu mehreren Prozessen (deren Umstände Grébert standesgemäß in einem Podcast erklärt)Bislang ging Grébert als Sieger hervor, doch die Vertreter der Gegenseite haben Widerspruch eingelegt. Ende diesen Monats ist der nächste Prozess anberaumt.

Der Fall wurde „emblématique“ und der Blogger Grébert über die Blogossphäre und Frankreich hinaus bekannt. Seine Gegner boten öffentlich kein „vorteilhaftes Bild“, so etwa im französischen Fernsehen, das Ausschnitte vom Trubel in Puteaux zeigte. Mit der Gründung eines eigenen Blogs versucht Charles Ceccaldi-Raynaud, das angeschlagene Image zu reparieren, das im September 2005 durch einen Machtkampf zwischen Vater und Tochter - der Vater verlangte den Bürgermeisterstuhl von seiner Tochter zurück – weiter belastet wurde.

Auch Christophe Grébert hat seine Öffentlichkeitsarbeit mittlerweile ausgebaut: es gibt ein Blog, das sich auf die Videoüberwachung in Puteaux konzetriert, eines, das die Homophobie im Visier hat und eines, das sich an die Jugend und die Senioren des Ortes wendet. Vielleicht etwas zuviel Arbeit für einen Einzelnen, denn nicht jedes Blog ist auf aktuellem Stand. Und vielleicht weiß die Bevölkerungsmehrheit in Puteaux die zukunftsträchtige, engagierte Arbeit von Grébert noch nicht richtig zu schätzen. Denn immerhin besetzt Joëlle Ceccaldi-Raynaud noch immer den Bürgermeisterstuhl und die Beteiligung beim neuesten ambitionierten Projekt von Grébert könnte größer sein.

Der Blogger unternimmt jetzt nämlich den nächsten folgerichtigen Schritt: Sein Blog soll nicht nur die Transparenz der kommunalen Politik erhöhen, sondern auch die politische Partizipation auf eine neue Stufe heben: „Lasst uns zusammen Puteaux verändern“, lautet sein neuestes Projekt. Die Bürger der Stadt sollen bis März des nächsten Jahres Vorschläge machen, wie man den Ort verbessern könnte, gemeinsam soll man das „Projekt der Putéoliens“ verfassen. Selbstverständlich hat der Aktivist dafür eine eigene Webseite ins Leben gerufen, welche die Baustelle für das Projekt des „gemeinsamen Hauses“ sein soll. Bislang gibt es noch nicht viele Kommentare und neue Ideen zu lesen. Und die meisten Kommentare konzentrieren sich auf die anstehende Präsidentschaftswahl in Frankreich – Grébert engagiert sich wie derzeit viele andere Blogger im Nachbarland für einen Kandidaten, in seinem Fall ist es Ségolène Royal von der Parti Socialiste. Aber nach der Wahl ist vor der Wahl – und bis März 2008, den nächsten Kommunalwahlen, bleibt ja noch etwas Zeit für die citoyens engagés von Puteaux.