"Eine so offene Diskussionskultur ist andernorts nicht mehr selbstverständlich"

Seite 2: "Frontenbildung der Gesellschaft zeigt sich auch im Forum"

Warum ausgerechnet seit 2015?

Kai-Uwe Lassowski: Das steht in direktem Zusammenhang mit den damaligen Entwicklungen, die bis heute gemeinhin als "Flüchtlingskrise" bezeichnet werden. Einer durch die Regierung auferlegten Willkommenskultur standen in zunehmend radikalisierten Teilen der Gesellschaft vermehrt Skepsis, Ablehnung oder gar Fremdenhass gegenüber. Diese Polarisierung schlug sich vornehmlich im Internet nieder.

Als Reaktion oder infolgedessen mussten viele Diskussionsräume und -plattformen temporär, zu bestimmten Themen, einige aber auch dauerhaft eingeschränkt oder geschlossen werden. Nicht alle davon freiwillig, in den wenigsten Fällen jedoch grundlos.

Das Telepolis-Forum bot mit seiner liberalen Sperrpolitik und dem alternativen Tenor die perfekte neue Heimat für jene, die anderswo, oft zurecht, ausgeschlossen wurden. Die Auswirkungen spüren wir bis heute.

Die großen Krisen – der Klimawandel und dann konkreter die Corona-Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine – haben die Polarisierung massiv befördert, und damit auch die wechselseitigen Vorwürfe. Das betrifft die Leitmedien ebenso wie alternative Medienangebote. Im redaktionellen Teil gehen wir damit möglichst offen um, wir versuchen, diese Debatten transparent darzustellen, ebenso die redaktionellen Entscheidungen, etwa in unserer Kolumne "Themen des Tages". Wie macht Ihr das im Forum?

Kai-Uwe Lassowski: Die Frontenbildung in der Gesellschaft zeigt sich ganz klar auch bei uns im Forum. Solange dabei in der Sache diskutiert wird, stellt dies nicht unbedingt ein Problem dar. Doch dabei bleibt es oft nicht. Wird es unsachlich oder gar beleidigend, greifen wir ein, sobald wir darauf aufmerksam werden.

Gleiches gilt, wenn sich Diskussionen zu weit vom Artikelinhalt wegbewegen. Wir versuchen dadurch zu verhindern, dass unter jedem Beitrag zu einem bestimmten Thema die gleichen Grundsatzdiskussionen stattfinden, während der Artikel eigentlich einen konkreten Aspekt oder eine neue Erkenntnis behandelt.

Pandemie und Krieg haben dieses Problem verschärft. Auch mit Desinformation sehen wir uns zunehmend konfrontiert. Da wir nicht jede Aussage im Forum redaktionell prüfen können, erfolgt die Moderation hier nach bestem Wissen und Gewissen. Dabei passieren auch Fehler, aber das müssen wir in Kauf nehmen. Zudem sind wir stark auf die Hinweise unserer User angewiesen, wenn es darum geht, unsere Aufmerksamkeit an die richtigen Stellen zu lenken. Die Moderation im Telepolis-Forum ist und bleibt daher ein Drahtseilakt.

Dennoch hat Telepolis-Forum doch aber einen Wert.

Kai-Uwe Lassowski: Absolut. Immerhin konnte bei uns weiterhin diskutiert werden. Auch wenn vereinzelt gern etwas anderes behauptet wird. Eine so offene Diskussionskultur wie bei Heise ist andernorts längst nicht mehr selbstverständlich.

Niemand verpflichtet den Verlag dazu, überhaupt eine Diskussionsplattform anzubieten. Schon gar nicht in seiner jetzigen Form: In Echtzeit, nahezu ohne jegliche Vorab-Moderation, auch zu unbequemen Themen – an einzelnen Stellen vielleicht sogar entgegen der eigenen Interessen. Die Robustheit und Kritikfähigkeit von Heise hat mir in dieser Sache imponiert.

Doch es bleibt ein schmaler Grat, wenn man sich anschaut, wie hartnäckig einzelne Unruhestifter zum Teil sind. Der Aufwand, der lange Zeit betrieben wurde, allein um etwa die Beitrags-Bewertungen zu manipulieren, ist geradezu absurd.

Vieles von dem haben wir inzwischen weitestgehend in den Griff bekommen. Trotzdem müssen und werden wir uns technisch künftig noch besser aufstellen, um es diesen Trollen so schwer wie möglich zu machen, mit ihren rechten Parolen und Verschwörungstheorien im Telepolis-Forum eine Plattform zu finden.

Gleichzeitig wollen wir die Voraussetzungen schaffen, um wertvolle Inhalte in Zukunft sichtbarer zu machen, diese mehr zu würdigen. Das ist fast die größere Herausforderung. Nicht, weil es diese Inhalte nicht gibt, sondern weil sie oftmals schlicht in der Masse untergehen.

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