Einführen und wieder abschaffen

Beim Thema Studiengebühren demonstrieren die Parteien den großen Unterschied. Was die einen beschließen, heben die anderen wieder auf

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Als die Wählerinnen und Wähler Anfang des Jahres in Hessen, Niedersachsen und Hamburg zur Stimmabgabe gebeten wurden, bestand eine ihrer schwierigsten Herausforderungen darin, entscheidende Unterschiede zwischen den demokratischen Kandidaten und Parteien auszumachen. Hier und da wurde man freilich fündig: In der Energiepolitik etwa, in manchen Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik und immer dann, wenn es um die Reform des Bildungssystems ging.

An den seit vielen Jahren kontrovers diskutierten Studiengebühren scheiden sich freilich nicht nur die Geister, sondern auch die Gesetzesentwürfe und praktischen Maßnahmen. Während CDU und FDP die Campusmaut bereits in sieben Bundesländern eingeführt haben, bekennen sich SPD, Grüne und Linke ungerührt zum gebührenfreien Erststudium und drohen im Falle eines Wahlerfolgs allerorten mit der schnellstmöglichen Zurücknahme der Beschlüsse.

Dabei deuten sich vereinzelt durchaus mögliche Kompromisslösungen an. So hat die nordrhein-westfälische Landesregierung den Hochschulen die Entscheidung über die Einführung und auch über die Höhe der Studiengebühren freigestellt, was in Einzelfällen zu stärker bedarfsorientierten Regelungen führte (Achtungserfolg für protestierende Studenten).

In Hamburg will die erste schwarz-grüne Regierungskoalition auf Länderebene ebenfalls von der Pauschalregelung (500 Euro pro Semester) abweichen und stattdessen 375 Euro pro Semester einfordern. Die Gebühren müssen allerdings erst nach Beendigung des Studiums und nur dann gezahlt werden, wenn die Absolventen ein Bruttojahreseinkommen von mehr als 30.000 Euro erreichen.

„Dringlicher Gesetzentwurf“

In Hessen sind die Fronten bekanntlich verhärtet und Kompromisse nicht in Sicht. Überdies kann es sich SPD-Chefin Andrea Ypsilanti kaum leisten, die Einlösung von Wahlversprechen so flexibel zu handhaben wie sie es beim Umgang mit der Linkspartei versucht hat. Kein Wunder also, dass der Zusicherung, die zum Wintersemester 2007/2008 eingeführten Studiengebühren nach nur einem Jahr wieder abzuschaffen, nun baldmöglichst Taten folgen sollen.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen brachten deshalb am 7. April einen gemeinsamen Gesetzesentwurf in den Hessischen Landtag ein, der die entsprechenden Bestimmungen des Studienbeitragsgesetzes bereits zum Wintersemester 2008/09 außer Kraft setzen soll. Die immer einfallsreiche und stets bürgernahe Linke will noch einen Schritt weiter gehen und mit einem eigenen Antrag dafür sorgen, dass den Studierenden die bislang gezahlten Beiträge auf Antrag in voller Höhe erstattet werden. Sollte Rot-Grün diese „kundenfreundliche“ Regelung nicht unterstützen, wollen sich die Linken dem Antrag der Oppositionskollegen aber auch nicht verweigern.

Neben den allgemeinen Studiengebühren von 500 Euro pro Semester wollen SPD, Grüne und Linke auch die Beiträge für ein Langzeit- und Zweitstudium vollständig abschaffen. Um den jährlichen Verlust von rund 104 Millionen Euro für die hessischen Hochschulen auszugleichen, sollen die fehlenden Beträge nun „im Haushaltsvollzug“ erwirtschaftet und „insbesondere durch Minderausgaben“ refinanziert werden. Für Langzeitstudierende brechen deshalb noch keine rosigen Zeiten an, denn auch Rot-Grün will die Dauer eines gebührenfreien Studiums an klare Regeln knüpfen.

Nach dem Ende der Regelstudienzeit des Studiums sowie nach dem zweiten Semester des Zweitstudiums hat durch die Hochschule von Amts wegen eine Überprüfung der Leistungsnachweise zu erfolgen. Liegt bei der Überprüfung der erforderliche Leistungsstand nicht vor, legt die Hochschule in einem Beratungsgespräch mit dem oder der Studierenden fest, zum Ende des folgenden Semesters einen angemessenen Studienfortschritt nachzuweisen. Erfolgt dieser Nachweis ohne berechtigten Grund nicht, kann der oder die Studierende exmatrikuliert werden.

Dringlicher Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen für ein Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen

Bei der geschäftsführenden CDU-Regierung stoßen diese Vorschläge trotz der vergleichsweise moderaten Regierungserklärung von Ministerpräsident Roland Koch auf wenig Gegenliebe. Mit der in Nordrhein-Westfalen getroffenen Regelung, die Entscheidung in die Zuständigkeit der Hochschulen zu legen, wie sie jetzt auch von der FDP vorgeschlagen, könnte man sich noch anfreunden, doch die Abschaffung der Gebühren für Langzeitstudierende findet die hochschulpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Eva Kühne-Hörmann, schlicht „unglaublich“. Die studierte Juristin und ehemalige Büroleiterin beim Oberbürgermeister der Stadt Kassel will unbedingt verhindern, dass „die Allgemeinheit“ für „Bummelstudenten“ zahlen muss. Doch ihre Chancen stehen nicht gut. Nach den Planungen der Antragssteller soll die zweite und dritte Lesung des Gesetzesentwurfs bereits in der kommenden Woche stattfinden. Die geschäftsführende Regierung könnte noch eine vierte Lesung erzwingen, die Neuregelung zum kommenden Wintersemester aber kaum noch aufhalten.

Unabhängig von den parlamentarischen Strategiespielen gelten die Bestimmungen des Studienbeitragsgesetzes ohnehin nur unter Vorbehalt. Vor dem Hessischen Staatsgerichthof ist ein Normenkontrollverfahren und eine Klage gegen das Studienbeitragsgesetz anhängig, die von mehr als 70.000 Bürgern unterstützt wird. Sie glauben, dass Studiengebühren einen chancengerechten Hochschulzugang unmöglich machen und wollen ihre Abschaffung vor Gericht durchsetzen. Wenn die Richter diese Sicht der Dinge teilen, müssen sämtliche Regelungen ohnehin rückgängig gemacht werden.

Chancengerechtigkeit vs. Finanznöte

Dass Studiengebühren die soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems verschärfen, wenn nicht ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten, etwa in Form von Stipendien geschaffen werden, steht außer Frage. Andererseits sind die chronisch unterfinanzierten Hochschulen auf zusätzliche Mittel angewiesen, um in den Bereichen Forschung, Lehre und Ausstattung nicht weiter Anschluss zu verlieren. Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) legte am Montag neue Zahlen vor, die zeigen, wie sehr die studentischen Beiträge mittlerweile Teil der Finanzplanung sind.

Demnach haben allein die bayerischen Hochschulen durch die Einführung der Studiengebühren vor einem Jahr rund 145 Millionen Euro eingenommen, die nach offiziellen Angaben vorwiegend „für zusätzliches Lehrpersonal sowie zur Verbesserung des Bibliotheksangebots und der IT-Infrastruktur“ ausgegeben wurden. Der AStA der Universität Augsburg hält es zwar für wahrscheinlich, das 40 Prozent dieses Betrages vor allem dazu verwendet wurden, „um Löcher zu stopfen und beispielsweise technische Anschaffungen zu tätigen“, doch auch die von den Studentenvertretern vorgeschlagenen 300 Euro pro Semester wären nachweislich Studiengebühren.

Die aufsummierten Zahlen wecken bundesweit Begehrlichkeiten. Auch Länder, die bislang keine Campusmaut eingeführt haben, können dem Lockruf des Geldes kaum widerstehen. So spekuliert die CDU Schleswig-Holstein, die sich mit dem großen Koalitionspartner SPD eigentlich auf ein gebührenfreies Erststudium geeinigt hatte, dieser Tage darüber, ob es nicht doch sinnvoll sei, sich wenigstens am „Hamburger Modell“ zu orientieren.

10 Semester für 46.000 Euro

Für die Gebührenbefürworter steht grundsätzlich fest, dass den Studierenden eine Beteiligung an den Kosten ihrer Ausbildung zugemutet werden kann. Schließlich ist auch die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten oder der Erwerb von Zusatzqualifikationen vielfach an die Entrichtung von Teilnahmegebühren, Prüfungsbeiträgen o.ä. gebunden.

Das Deutsche Studentenwerk bringt nun allerdings ein bislang wenig beachtetes Argument in die Diskussion. Präsident Rolf Dobischat präsentierte auf dem 11. Regionalen Bildungsforum in Dortmund Zahlen, welche die finanzielle Belastung angehender Akademiker in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Demnach kostet ein zwölfsemestriges Studium in Deutschland bereits ohne Studiengebühren im Durchschnitt mehr als 55.000 Euro. Wer nur zehn Semester studiert, muss immer noch gut 46.000 Euro aufbringen, und selbst die sechssemestrigen Master kommen noch auf 28.000 Euro.

Diese Berechnungen basieren auf den 770 Euro, die Studierenden in Deutschland nach der Sozialerhebung des Studentenwerks von 2006 monatlich zur Verfügung stehen. Zählt man nun durchschnittlich 500 Euro Studiengebühren hinzu, erhöhen sich die genannten Werte noch einmal deutlich auf dann 61.000 (12 Semester), 51.000 (10 Semester) beziehungsweise 31.000 (6 Semester) Euro.

Die Bildungs- und Hochschulpolitik in Deutschland muss neben den institutionellen Kosten, die beispielsweise ein Studienplatz den Staat kostet, unbedingt auch die individuellen Kosten eines Studiums mit in den Blick nehmen. Wir brauchen mehr begabte junge Menschen aus hochschulfernen, einkommensschwächeren Familien. Die tatsächlichen Kosten spielen gerade in diesen Familien die Schlüsselrolle bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium und viel weniger die zu erwartende Bildungsrendite oder das spätere Einkommen.

Rolf Dobischat

Der Präsident des Deutschen Studentenwerks wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass zur Zeit 90 Prozent aller Studierenden mit durchschnittlich 448 Euro im Monat von ihren Eltern unterstützt werden. Damit bildet der elterliche Beitrag die wichtigste Säule der Studienfinanzierung in Deutschland.

Unzufriedene Kunden

Wenn Studierende (und ihre Eltern) via Studiengebühren zu Kunden des Bildungssystems gemacht werden sollen, stellt sich die Frage, ob sie wenigstens entsprechende Gegenleistungen erwarten können. Danach sieht es im Moment allerdings nicht aus, auch wenn die Gesamtheit der Studienreformen in einigen Fachdisziplinen durchaus positive Resonanz findet.

Nach einer gerade veröffentlichten Umfrage des Studienfinanzierers Career Concept AG stimmen aber gerade einmal 5 Prozent der Studierenden der Aussage zu, Bibliotheken und Hochschulräumlichkeiten hätten sich im vergangenen, von Studiengebühren ausstaffierten Jahr qualitativ oder quantitativ verbessert. Drei von vier Nachwuchsakademikern (76,5 Prozent) konnten dagegen keine Veränderung feststellen. Bei der viel kritisierten Lehre sieht die Lage etwas besser aus. 23 Prozent äußerten sich positiv zur Anzahl der Lehrenden und zur individuellen Betreuung. Knapp zwei Drittel (65,8 Prozent) der Studierenden sind jedoch der Meinung, dass sie an den Hochschulen schlecht oder unzureichend betreut werden. Zufriedene Kunden würden sich vermutlich anders äußern.