"Einige im Westen wollen Taiwan zur nächsten Ukraine machen"

Seite 3: "Fünfjahrespläne sind in China Mobilisierungsinstrumente"

Sind das die Gründe für den Aufstieg Chinas und dem Abstieg des Westens?

Wolfram Elsner: Ja, es ist eben diese neuartige Kombination von organisatorischer Leistungsfähigkeit, staatlich wie privat und gesellschaftlich, politischem Willen, langfristigem Entwicklungs-Leitbild und enormer sozialer Mobilisierung.

Das hatte der europazentrierte Staatssozialismus nur vorübergehend geschafft, möglicherweise aber in dieser Form auch nie. Fünfjahrespläne z.B. sind in China keine Top-Down-Vorgaben mehr, sondern Mobilisierungsinstrumente durch grand ideas.

Und China verändert so die Welt, und damit verbessert es seine eigenen Entwicklungsbedingungen, mit inzwischen 140 Partnerländern und 40 internationalen Partnerorganisationen der BRI (darunter etlicher UN-Organisationen).

"Die Militärs der USA wissen genau, dass sie einen Krieg gegen China nicht mehr gewinnen könnten"

Wie schätzen sie in diesem Zusammenhang die Taiwan-Krise ein?

Wolfram Elsner: Der Westen hat sich hier entschieden, den weltweiten Uno-Konsens von 1971 zu revidieren, ein revisionistischer Akteur zu werden. China allerdings kann warten, und die Welt scheint sich eher zu seinen Gunsten zu verändern. Wo die "Post abgeht", sehen wir am Beispiel der südostasiatischen RCEP und der jüngsten Asean-, Bricsplus-, SCO- und EAEU-Konferenzen.

Der Westen verliert im Systemwettbewerb zusehends Marktanteile. Ein ordentlicher Kaufmann setzt sich in einer solchen Situation hin und entwickelt seine Strategie weiter. Was habe ich falsch gemacht? Wo liegen meine Potentiale? Wie sieht eine bessere Strategie unter neuen Bedingungen aus?

Panik und geringe Handlungsfähigkeit aber verführen den Westen dazu, eine Eskalationsstrategie zu betreiben, die Kalaschnikows aus dem Schrank zu holen, die Mafia anzurufen und vor das Headquarter des Konkurrenten zu ziehen.

Einige im Westen wollen also Taiwan zur nächsten Ukraine machen. Die jüngsten Umfragen auf Taiwan aber haben gezeigt, dass 85 Prozent der Menschen dort den Status Quo nicht verändern wollen, von dem sie profitieren. Ich habe auch in Taipei gelehrt und zur engen Verflechtung zwischen Taiwan und dem Festland (Taiwan-Investitionen, Reisen der Taiwanesen aufs Festland) berichtet.

Und wenn in zwei Jahren die GMD auf Taiwan die Wahlen gewinnen sollte, sieht die Lage ohnehin wieder anders aus. Ganz am Rande: Die Militärs der USA wissen genau, dass sie einen Krieg gegen China nicht mehr gewinnen könnten. Ich setze daher für eine friedliche Systemkonkurrenz auch auf gut informierte und halbwegs rationale Militärs.

"Kultur der Diplomatie statt Werte-Ramboismus"

Letzte Frage, auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges: Wie wird es mit China und dem Westen weiter gehen?

Wolfram Elsner: China gewinnt Partner in Afrika, Lateinamerika, Asien, in der Uno, und der Westen ist schlecht beraten, sich in die Rolle des Verhinderers zu begeben. Chinas Aufstieg zur Nummer eins, eingebettet in ein wachsendes internationales Handels- und Kooperations-Netzwerk, ist ja nichts anderes als die Wiederherstellung einer Jahrtausende alten Normalität.

Die 300 Jahre europäisch-angelsächsischer Kolonialismus waren eine historische Ausnahme und sind vorbei. Und bloße Bremser überzeugen in der Welt nicht mehr.

Die Anti-BRI-Initiativen der USA und EU sind alle mehr oder weniger Flops. Und selbst mit einem Chipkrieg werden die USA nichts aufhalten können. Eher werden sie ihr letztes Pulver (vor einem Atomkrieg) verschießen, denn China hat schon ganz andere Technologieboykotte gemeistert und wird wohl mit Photonik das Wettrennen um die Nanometer zwar nicht gewinnen, aber mit einer neuen Technologie umgehen.

Ich setze darauf, dass auch die westlichen Konzerne – von den BlackRocks und Vanguards an Hongkongs, Beijings und Shanghais Börsen bis zu Tesla, VW, BMW, Bosch, Siemens, SAP usw. – und ihre Bosse Klartext reden und die Politiker, deren Diäten sie schließlich nicht zuletzt in China erwirtschaften, zurück auf den Boden holen.

Im Moment bauen sie in China nur leise einen autarken deutschen Industriesektor auf, mit chinesischen Zulieferern, um sich vor künftigen westlichen Sanktionswellen zu schützen. Eine Entkopplung, die sich Habeck und Baerbock so nicht erträumt haben.

Deutschland und die EU sind jetzt schon erkennbar die Verlierer der Sanktionsorgien, die USA haben ihre alte angelsächsische, anti-eurasische Heartland-Strategie ("Verhindere jegliche eurasische Kooperation!") endlich erfolgreich durchgesetzt und den deutschen Hauptkonkurrenten nach 70 Jahren wieder in die zweite Reihe verwiesen.

Insofern ist erkennbar, dass das westliche Sanktionsregime, Gas- und Ölboykott, Nordstream-Sprengung usw. in erster Linie die transatlantischen Konkurrenzverhältnisse verändert haben. Manche sagen, dass das der ganze Sinn der Washingtoner Regie der letzten Jahre und der transatlantischen Schulungen der westeuropäischen Young Global Leaders war.

Wie kommen wir zurück zu einer Kultur der Diplomatie statt Werte-Ramboismus, zu gutem altem bürgerlichem Völkerrecht und Vernunft statt Kriegs- und Siegeseuphorie, zu Akzeptanz und Koexistenz statt Vernichtung des anderen, zu Kooperation, Win-Win und einem guten Leben für alle?

Ich bin heute weniger optimistisch als noch vor drei Jahren. Wenn wir die westliche mediale Käseglocke nicht endlich anheben, die Veränderungen der Welt realistisch wahrnehmen und uns selbst weiterentwickeln, werden wir uns aus der Geschichte verabschieden und wieder eine kleine Halbinsel am Rande Eurasiens werden.

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